Inland

Stahl, aber klimaneutral: Wie sich das Saarland neu erfindet

Im Saarland hat die Stahlproduktion Tradition. Das soll auch in Zukunft so sein, aber mit neuen Verfahren ohne CO2. Um die Transformation zu meistern, investiert das Land so viel wie nie zuvor.
von Jonas Jordan · 19. Februar 2023
Heiße Ware: Bei Saarstahl in Völklingen soll auch künftig Stahl gekocht werden, aber klimaneutral.
Heiße Ware: Bei Saarstahl in Völklingen soll auch künftig Stahl gekocht werden, aber klimaneutral.

Unmittelbar am Bahnhof von Völklingen befindet sich das ehemalige Eisenwerk Völklinger Hütte, im Jahr 1873 gegründet, inzwischen stillgelegt und als Industriedenkmal UNESCO-Weltkulturerbe. Nur wenige Hundert Meter weiter steigt dennoch Rauch auf. Stahl wird in der 40.000 Einwohner zählenden Stadt im Saarland bis heute produziert, wenngleich die Saarstahl AG aktuell gebeutelt ist. Die Auftragslage ist mau infolge der hohen Energiepreise, die Produktion ist gedrosselt, seit Anfang Februar sind 1.000 Mitarbeiter am Standort Völklingen in Kurzarbeit.

Die größte Investition, die je im Saarland getätigt wurde

Künftig soll das wieder anders werden. Grüner Stahl soll die Zukunft der Stahlindustrie sichern, die nicht nur der größte Arbeitgeber im Bundesland, sondern auch der größte CO2-Emittent ist. Investitionen in Höhe von 3,5 Milliarden Euro sind dafür geplant. „Das wird die größte Investition werden, die je im Saarland getätigt wurde und gleichzeitig das größte vorstellbare Klimaschutzprogramm“, kündigt Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) an. Welche Umbauten dafür notwendig sind, erläutern Werksleiter Dirk Deckers und Michael Hötzel, der den Schmelzbetrieb leitet, beim Rundgang über das Werksgelände.

Angesichts dessen, was noch nicht sichtbar ist, aber hier bald entstehen soll, wird das Ausmaß des Transformationsprozesses spürbar. Die Halle für den geplanten Elektrolichtbogenofen (EAF), der den Stahl mithilfe von Strom statt mit Koks schmilzt, soll etwa 80 Meter hoch werden – 20 Meter höher als die derzeitige Halle. Das bestehende Gelände wird deutlich erweitert, Schienen und Transportwege werden neu verlegt. „Das erfordert am Ende eine planungstechnische Meisterleistung“, sagt Timo Ahr.

Transformation mit langem Atem

Der 29-Jährige stammt aus einer echten Stahl-Familie. Schon sein Großvater arbeitete in der saarländischen Stahlindustrie, sein Vater ist Betriebsratsvorsitzender der Saarstahl AG in Völklingen, und auch Timo Ahr selbst arbeitete einst für das Unternehmen. Heute ist er der bundesweit jüngste DGB-Vorsitzende und stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion im saarländischen Landtag. Dort hat die SPD mit ihrer absoluten Mehrheit beschlossen, einen Transformationsfonds in Höhe von rund drei Milliarden Euro einzurichten. Mit dem Geld soll der Strukturwandel in dem Industrieland durch staatliche Investitionen aktiv begleitet werden.

Verantwortlich für dieses Sondervermögen ist Finanzminister Jakob von Weizsäcker (SPD). Er verweist auf erste Erfolge wie die geplante Errichtung einer Chipfabrik auf dem ehemaligen Gelände eines Kohlekraftwerkes, die Anfang Februar bekannt wurde. „Mit dem Transformationsfonds, mit substanzieller Unterstützung aus Berlin und Brüssel, mit einer tatkräftigen und innovativen Saarwirtschaft kann der Strukturwandel eine Erfolgsgeschichte für das Klima, für die Wertschöpfung, für gute Arbeit und eine gestärkte Finanzkraft im Saarland werden“, sagt der Minister. Gleichzeitig sei klar, dass der beschleunigte Strukturwandel Zeit brauche. Genehmigungsverfahren, Planungsvorläufe, Bautätigkeit nennt von Weizsäcker als Beispiele. Deshalb sei der Transformationsfonds auf zehn Jahre angelegt.

Woher kommt der Wasserstoff?

In Völklingen soll es schneller gehen. Schon bis 2030 soll der erste EAF in Betrieb genommen und damit 55 Prozent des aktuellen CO2-Ausstoßes eingespart werden. Finanziert auch durch EU-Fördergelder. Da für diese ein Eigenanteil an Fördermitteln notwendig ist, den das Saarland durch den Transformationsfonds bereits vorweisen kann, gebe es nun einen Zeitvorteil, glaubt Ahr.

Für ihn als saarländischen DGB-Vorsitzenden ist es wichtig, dass keine Arbeitsplätze verloren gehen sollen. Zeitweise sollen sogar mehr Jobs entstehen als zurzeit. Auch das Thema Aus- und Weiterbildung spiele bereits eine große Rolle im Unternehmen, wie eine Sprecherin erklärt. Die 500 Auszubildenden der SHS – Stahl-Holding-Saar würden entsprechend mit Blick auf die klimaneutrale Transformation geschult.

Doch nicht nur Finanzierung, Bau und Qualifizierung sind notwendig, damit in wenigen Jahren in Völklingen grüner Stahl produziert werden kann. Vor allem wird dafür aus Erneuerbaren Energien erzeugter Wasserstoff benötigt. Ein Teil davon soll am Standort selbst hergestellt werden. Das wird jedoch kaum ausreichen. Deswegen gibt es die Idee, das Saarland an das europäische Wasserstoffnetz anzuschließen. Das brächte den zusätzlichen Vorteil, dass damit auch Busse im Nahverkehr betrieben werden könnten, so Ahr.

Das Saarland soll Vorreiter sein

Susanne Speicher, Klimaschutzaktivistin und Mitgründerin von Fridays for Future im Saarland, hält weitere Anstrengungen in jedem Fall für notwendig: „Es ist begrüßenswert, dass man bei einem Hauptemittenten von CO2 das Ruder herumreißen will und sich auf den Weg macht zu einer nachhaltigeren Produktion. Doch die Transformation der Industrie ist nur ein Teil dessen, was das Saarland in eine Vorreiterrolle bringen kann“, sagt sie. Diese Hoffnung teilen alle Seiten – Wirtschaft, Politik, Gewerkschaften und Klimaschützerinnen –, dass das kleine Saarland die Transformation gut und zügig meistern und so zum Vorbild für andere Regionen in Deutschland und Europa werden könnte. „Im Saarland zeigt sich der Strukturwandel früher und härter. Wir sind damit der Lackmustest, wie es gelingen wird, Arbeitsplätze und Klima gleichzeitig zu schützen. Gelingt das bei uns, kann es überall gelingen“, glaubt Ministerpräsidentin Rehlinger.

Mit den Ende Januar vorgestellten Klimaschutzgesetz will das Saarland bis 2030 die Hälfte seiner CO2-Emmissionen einsparen, bis 2045 klimaneutral werden. Dabei sollen nicht nur die bestehenden Industriezweige entsprechend transformiert werden, sondern durch Investitionen in Forschung auch neue Jobs entstehen. Dafür sind 20 Prozent der Gelder aus dem Transformationsfonds vorgesehen. „Die Transformation bestehender Branchen und die Entwicklung neuer Branchen müssen gleichzeitig gelingen“, sagt Finanzminister Jakob von Weizsäcker.

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Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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