SPD für Staatsbeteiligung an Thyssen-Krupp: „Ein Verkauf wäre hochgefährlich.“
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Nordrhein-Westfalen ist auf Kohle und Stahl aufgebaut. Die Kohle läuft seit einiger Zeit aus. Wie wichtig ist der Stahl noch für das Bundesland?
Sarah Philipp: Wie wichtig der Stahl für Nordrhein-Westfalen ist, sieht man sehr gut an meiner Heimatstadt Duisburg. Wir sind Europas größter Stahlstandort und wollen es auch gerne bleiben. Die Stahlproduktion ist auch eine Frage von guter Arbeit. 47.600 Menschen sind in Nordrhein-Westfalen in der Stahlindustrie beschäftigt, ein großer Teil davon in Duisburg. Die Stahlindustrie ist alles andere als old economy, sondern eine Zukunftsbranche. Dabei kommt es aber darauf an, wie der Stahl produziert wird.
Thomas Kutschaty: Stahl ist nach wie vor ein sehr wichtiger Industriebereich und Kern industrieller Wertschöpfung, auch weit über Nordrhein-Westfalen hinaus. Stahl ist systemrelevant, denn wir werden auch in Zukunft Autos, Flugzeuge und Windanlagen bauen und für all das brauchen wir Stahl. Was sich ändern muss, ist die Art und Weise, wie er hergestellt wird. Die entscheidende Frage wird sein, ob wir es schaffen, in Deutschland Stahl zu wirtschaftlichen Bedingungen und umweltverträglich zu produzieren. In China, Indien und anderen Ländern wird inzwischen zu deutlich günstigeren Preisen, aber eben auch unter schlechteren Umweltbedingungen Stahl produziert. Das ist eine Herausforderung, die die Stahlbranche in Deutschland nicht alleine bewältigen kann.
Der größte Stahlproduzent des Landes Thyssen-Krupp stand schon vor der Corona-Krise unter Druck. Die Situation hat sich in den vergangenen Monaten nun so verschärft, dass das Unternehmen darüber nachdenkt, seine Stahlsparte zu verkaufen. Was würde das für Nordrhein-Westfalen bedeuten?
Thomas Kutschaty: Ein Verkauf wäre hochgefährlich, weil niemand weiß, was mit den Standorten und damit auch den Arbeitsplätzen in Deutschland passieren würde. Auch die Frage, ob ein neuer Eigentümer investieren würde, um die Stahlproduktion zukunftsfest und umweltfreundlicher zu machen, ist mehr als unsicher. Für Nordrhein-Westfalen und Deutschland ist es wichtig, mit Thyssen-Krupp ein Unternehmen zu haben, das in Deutschland Stahl produziert.
Wie groß ist die Sorge vor einem Verkauf in Duisburg?
Sarah Philipp: In Duisburg ist die Sorge vor einem Verkauf der Stahlsparte riesengroß. Diesen Zustand der Unsicherheit gibt es ja schon mehrere Jahre. Das hat ganz viel mit schwerwiegenden Fehlentscheidungen des Managements in den letzten Jahren zu tun. Das geht auch an den Beschäftigten nicht spurlos vorbei. Der Einbruch der Stahlnachfrage in der Corona-Krise hat ihre Sorgen noch deutlich vergrößert. Die Zukunftsangst ist hier spürbar.
Um für Sicherheit zu sorgen, möchte die SPD-Fraktion, dass Nordrhein-Westfalen mindestens 25 Prozent der Anteile an Thyssen-Krupp übernimmt. Warum eine Teilverstaatlichung und keine andere Form der Wirtschaftshilfe?
Thomas Kutschaty: Die Situation bei Thyssen-Krupp ist sehr ernst. Deshalb muss der Einstieg schnell passieren. Eine staatliche Beteiligung am Unternehmen zu mindestens einem Viertel dient als finanzieller Stabilitätsanker und wirksamer Schutz vor Zerschlagung und Übernahme. Das halten wir für sinnvoller als eine reine Subventionshilfe – auch weil wir davon überzeugt sind, dass sich mit Stahl in Zukunft noch Geld verdienen lässt. Die OECD geht davon aus, dass der weltweite Stahlbedarf bis 2050 im Vergleich zu heute nochmal um die Hälfte steigen wird. Die Vorzeichen für ein Unternehmen wie Thyssen-Krupp sind also gut. Wenn das Land am Unternehmen beteiligt ist, kann es perspektivisch nicht nur das investierte Geld zurückbekommen, sondern sogar Gewinne erwirtschaften. Das halte ich für deutlich sinnvoller als Geld für ein Hilfspaket auszugeben.
Die IG Metall begrüßt die Pläne des Landeseinstiegs und auch Thyssen-Krupp selbst ist dafür offen. Woran scheitert die Beteiligung überhaupt noch?
Thomas Kutschaty: Am fehlenden Willen der schwarz-gelben Landesregierung. Auf der Stahldemo in Düsseldorf im Oktober hat Ministerpräsident Armin Laschet angekündigt, dass das Land bereit ist, Thyssen-Krupp zu helfen. In welcher Form und in welchem Umfang das passieren soll, weiß allerdings niemand. Wir brauchen aber schnell eine Entscheidung. Der Ministerpräsident muss jetzt Farbe bekennen, welche Art von Hilfe er leisten will. Unser Vorschlag der Landesbeteiligung schafft nicht nur Sicherheit für das Unternehmen und seine Beschäftigten, sondern sichert langfristig auch Werte für Nordrhein-Westfalen.
Neben der Staatsbeteiligung wollen Sie einen Stabilitäts- und Transformationsfonds für Thyssen-Krupp und weitere Unternehmen der Branche auflegen. Was soll der bewirken?
Thomas Kutschaty: Wenn Stahl eine Zukunft haben will, muss er umweltfreundlich produziert werden. Die Umstellung auf die Produktion von „grünem Stahl“ mithilfe von Wasserstoff ist allerdings noch extrem teuer. Die Anfangsinvestitionen und das Risiko sind derart hoch, dass sie einzelne Unternehmen allein nicht finanzieren können. Deshalb muss der Staat helfen und investieren. Es ist eine gute Investition in die Zukunft des Industriestandorts Deutschland. Wenn wir als erstes Land Stahl umwelt- und klimafreundlich produzieren können, hat das Weltmarktqualität. Unser Know-how können wir dann in viele andere Länder exportieren, die nur darauf warten.
In Duisburg gibt es ja bereits erste Hochöfen, die zumindest zum Teil mit Wasserstoff befeuert werden. Wie sind da bisher die Erfahrungen?
Sarah Philipp: In Duisburg ist die Stahlproduktion mithilfe von Wasserstoff seit einiger Zeit in der Testphase. Praktisch bedeutet das, dass ein Teil des bisher benötigten Kohlestaubs durch Wasserstoff ersetzt wird. Das funktioniert bisher offenbar sehr gut. Das muss nun so bald wie möglich aus der Testanlage in den industriellen Maßstab hochgefahren werden.
Im Corona-Konjunkturpaket der Bundesregierung sind neun Milliarden Euro zur Förderung der Wasserstoffwirtschaft vorgesehen. Wie sehr hilft das bei der Umstellung der Stahlproduktion?
Thomas Kutschaty: Der Ansatz ist auf jeden Fall richtig und eine gute Investition für eine zentrale Zukunftsbranche. Für die Umstellung der Stahlproduktion braucht es neben den öffentlichen Zuschüssen vor allem klare langfristige Rahmenbedingungen für nachhaltig hergestellten Stahl. Wir brauchen einen CO2-Zoll in Europa und einen starken Ausbau bezahlbarer erneuerbarer Energie. Saubere Stahlproduktion darf nicht durch schmutzigen Dumpingstahl aus Russland oder China kaputt gemacht werden, bevor sich das Produkt auf den Weltmärkten durchgesetzt hat.
Thyssen-Krupp braucht schnelle Hilfe, aber könnte die Umstellung der Stahlproduktion auch ein Thema der SPD für den Landtagswahlkampf im kommenden Jahr sein?
Thomas Kutschaty: Gute Arbeit und eine innovative Industriepolitik sind immer ein wichtiges und zentrales Thema für die SPD, auch wenn wir die Zukunft der Stahlproduktion in Nordrhein-Westfalen nicht unter wahlkampftaktischen Gesichtspunkten betrachten. Wir sind davon überzeugt, dass wir systemrelevante Branchen und Wirtschaftszweige in Deutschland halten und gute Arbeitsplätze sichern müssen. Ein mahnendes Beispiel ist für mich immer Großbritannien, das sich von seiner Industrie weitgehend verabschiedet hat und nun fast ausschließlich auf den Dienstleistungsbereich setzt. Das würde ich Nordrhein-Westfalen und Deutschland gern ersparen.
Sarah Philipp: Nachhaltige Industriepolitik ist ein Thema, das die Menschen begeistern kann. Davon bin ich fest überzeugt. Klimaschutz und der Erhalt von Arbeitsplätzen und Wertschöpfung sind keine Gegensätze, sondern zwei Seiten derselben Medaille. Und das verkörpert keine Partei so glaubhaft wie die SPD.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.