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Schuldenbremse: Was das Urteil des Verfassungsgerichts bedeutet

Die Bundesregierung darf Gelder für den Kampf gegen Corona nicht für den Klimaschutz verwenden. Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Was das Urteil für den Haushalt und den Klimaschutz bedeutet – wir beantworten die wichtigsten Fragen.
von Kai Doering · 15. November 2023
Sehen die aktuellen Haushaltsberatungen nicht vom Urteil des Bundesverfassungsgerichts betroffen: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesfinanzminister Christian Lindner (v.l.)
Sehen die aktuellen Haushaltsberatungen nicht vom Urteil des Bundesverfassungsgerichts betroffen: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesfinanzminister Christian Lindner (v.l.)

Was hat das Bundesverfassungsgericht entschieden?

Gegenstand des Urteils ist der zweite Nachtragshaushalt zum Bundeshaushalt 2021. Damals hatte die Bundesregierung den Haushalt nachträglich über eine sogenannte Kreditermächtigung um 60 Milliarden Euro aufgestockt und das mit der Notfallsituation während der Corona-Pandemie begründet. Letztlich wurde das Geld jedoch nicht für diesen Zweck gebraucht. Die Bundesregierung schichtete es deshalb mit Zustimmung des Bundestags rückwirkend in den sogenannten Klima- und Transformationsfonds (KTF) um.

Diese Praxis hat das Bundesverfassungsgericht nun für verfassungswidrig erklärt. Der Bundestag habe zwar einen Spielraum, wie er mit einer Notlage umgehen will und durfte daher 2021 Schulden über die Vorgabe der Schuldenbremse hinaus machen. Die Begründung, warum später die Mittel für das Klima ausgegeben werden sollten und warum das helfen könnte, die Corona-Folgen abzumildern, sei jedoch nicht ausreichend gewesen.

Welche Folgen hat das Urteil für den künftigen Haushalt?

Nach Aussagen der Bundesregierung erstmal keine. Die Beratungen des Haushaltsausschusses würden wie geplant fortgesetzt. Die sogenannte Bereinigungssitzung findet demnach am Donnerstag statt. Der Haushalt soll in der ersten Dezember-Woche beschlossen werden. So habe er es mit den Vorsitzenden der Regierungsfraktionen besprochen, teilte Bundeskanzler Olaf Scholz am Mittwoch mit.

Welche Folgen hat das Urteil für den Klima- und Transformationsfonds (KTF)?

Dem KTF fehlen durch das Urteil auf einen Schlag 60 Milliarden Euro. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat die Bundesregierung deshalb eine sofortige Ausgabensperre verhängt, wie Finanzminister Christian Lindner am Mittwoch mitteilte. Es solle zügig ein neuer Wirtschaftsplan für den KTF ausgearbeitet werden, um eine weitere Finanzierung aus dem Fonds sicherzustellen.

Was wird aus dem Klima- und Transformationsfonds finanziert?

Finanzpolitisch gesehen ist der KTF ein Sondervermögen, also ein Nebenhaushalt für zweckgebundene Ausgaben des Staates. Im Fall des KTF geht es um die Finanzierung der Energiewende und von Klimaschutz-Maßnahmen. Konkret geht es etwa um die energetische Gebäudesanierung, die Dekarbonisierung der Industrie und den Ausbau der Erneuerbaren Energien, der Elektromobilität und der Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge. „Alle zugesagten Verpflichtungen werden eingehalten“, sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck am Mittwoch zu. Neue Zusagen werde es aber vorerst nicht geben.

Welchen Einfluss hat das Gerichtsurteil auf die Schuldenbremse?

Grundlage der Verfassungsklage der 197 Abgeordneten der Unionsfraktion gegen den Nachtragshaushalt war die Annahme, dass mit der Umwidmung der Gelder die Schuldenbremse umgangen werde. Dieser Rechtsauffassung folgte das Verfassungsgericht. „Nun rächt sich die verfasungsmäßige Verankerung der Schuldenbremse bitterlich“, schrieb der Ökonom Gustav Horn, der auch Mitglied des SPD-Parteivorstands ist, auf X. Kurzfristig bleibe deshalb nur die Verlängerung des Ausnahmezustands. „Längerfristig brauchen wir eine grundlegende Reform.“ Ähnlich argumentiert der Ökonom Jens Suedekum. Die Lehre aus dem Urteil könne sein, „dass an einer grundsätzlichen Reform der Schuldenbremse im Grundgesetz nun kein Weg mehr vorbei führt“.

Welche Auswirkungen hat das Gerichtsurteil auf den Klimaschutz?

Kurzfristig fehlen der Bundesregierung 60 Milliarden Euro für Klimaschutz-Maßnahmen, die aus dem KTF finanziert werden sollen. „Wenn die Regierung diese Ausgaben einfach aus dem Haushalt kürzt, droht sie, die Rezession zu verschärfen. Wenn die Regierung dagegen die Maßnahmen zum Klimaschutz eindampft, um die Lücke zu schließen, verfehlt Deutschland entweder die Klimaziele massiv oder es kommt zu massiven Schäden an der Wirtschaftsstruktur, der Hilfen zur Transformation fehlen“, fasste Sebastian Dullien, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) die Situation auf X zusammen. Die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, Katja Mast, stellte auf X bereits klar: „Wir halten auch nach dem Urteil des BVerfG an unseren Klimazielen fest: Wir wollen klimaneutral werden und weiterhin Zukunftsarbeitsplätze in der Bundesrepublik Deutschland haben.“

Wie könnte es nun weitergehen?

Vorschläge gibt es viele. Die meisten zielen auf die Zukunft der Schuldenbremse. „Man könnte zum Beispiel regeln, dass nach einer Krise nur schrittweise zur Schuldenregel zurückgekehrt werden muss“, schlug der „Wirtschaftsweise“ Achim Truger im „Handelsblatt“ vor. Alternativ könne auch die Ausnahmeregel der Schuldenbremse weiterhin in Anspruch genommen und über mehrere Jahre eine Notlage ausgerufen werden, weil die Haushalte weiterhin betroffen seien. Alternativ schlug Truger vor, fehlende Einnahmen im Haushalt durch einen befristeten Energie- oder Klima-Soli auszugleichen. „Die Bundesregierung muss als Konsequenz (des Gerichtsurteils, Anm.d.Red.) die Schuldenbremse mindestens für ein weiteres Jahr aussetzen, um die notwendigen Kredite aufnehmen zu können und versprochene Maßnahmen zu finanzieren“, forderte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, auf X.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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