Inland

Olaf Scholz: „Friedensliebe heißt nicht, sich Putin zu unterwerfen.“

Bundeskanzler Olaf Scholz zieht zwölf Monate nach der „Zeitenwende“ eine positive Bilanz: Deutschland habe sich angesichts des Ukraine-Krieges stark und widerstandsfähig erwiesen. Den Bürger*innen gibt er ein Versprechen.
von Lars Haferkamp · 2. März 2023
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Vor einem Jahr prägt Bundeskanzler Olaf Scholz den Begriff „Zeitenwende“. Er steht für eine neue Epoche russischer Bedrohung nach dem Überfall des Landes auf die Ukraine. Zeitenwende wird nicht nur zum Wort des Jahres 2022, der Begriff ist inzwischen sogar in den englischen Sprachgebrauch eingegangen, so auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2023.

„Ein Jahr Zeitenwende“ bildet auch die Überschrift der Regierungserklärung, die der Kanzler am Donnerstag im Bundestag hielt. Sie ist eine Art Zwischenbilanz seiner Regierungspolitik in den vergangenen zwölf Monaten nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine.

Scholz: „mehr erreicht, als viele uns zugetraut haben“

„Russlands Angriffskrieg, der Bruch des Völkerrechtes und der europäischen Friedensordnung – diese Zeitenwende hat uns allen viel abverlangt in den vergangenen zwölf Monaten“, sagt der Kanzler. Doch Deutschland habe dabei „mehr erreicht, als viele uns zugetraut haben“.  So behaupte sich die Ukraine gegen Russlands Aggression auch mit deutscher Unterstützung. Die Einigkeit von EU und NATO sei in der Krise stärker geworden. „Wir haben den Winter gut überstanden – auch ohne Gas aus Russland“, betont Scholz. „Und: Wir investieren in die Sicherheit unseres Landes – in unsere Bundeswehr, in unsere Energie-Infrastruktur, in die Zukunft unserer Wirtschaft und Energieversorgung.“

Der Kanzler geht in seiner Rede direkt auf die umstrittene „Friedensdemonstration“ am vergangenen Wochenende ein: „Man schafft keinen Frieden, wenn man hier in Berlin ‚Nie wieder Krieg‘ ruft – und zugleich fordert, alle Waffenlieferungen an die Ukraine einzustellen.“ Er macht klar: „Friedensliebe heißt nicht Unterwerfung unter einen größeren Nachbarn. Würde die Ukraine aufhören, sich zu verteidigen, dann wäre das kein Frieden, sondern das Ende der Ukraine.“ Es wäre „eine fatale Ermutigung des Angreifers“, seinen Bruch der Friedensordnung zu belohnen. Zur Forderung der Demonstrant*innen nach Friedensverhandlungen mit Putin sagt Scholz kurz und klar: „Mit der Waffe an der Schläfe lässt sich nicht verhandeln – außer über die eigene Unterwerfung.“

Nie wieder Angriffskrieg! Nie wieder Imperialismus!

Putin reiße die Fundamente europäischer Sicherheit ein. Sein Kriegsziel spreche er offen aus: sich große Gebiete der Ukraine einzuverleiben und die Ukraine als Nation zu vernichten. „Damit legt er die Axt an die vielleicht wichtigste Errungenschaft der Entspannungspolitik von Willy Brandt und Helmut Schmidt – das gemeinsame Bekenntnis in der Schlussakte von Helsinki, Grenzen in Europa nicht gewaltsam zu verschieben.“

Doch die europäische Friedensordnung sei wehrhaft, betont der Kanzler. „Unser ‚Nie wieder‘ bedeutet, dass der Angriffskrieg niemals zurückkehrt als Mittel der Politik. Unser ‚Nie wieder‘ bedeutet, dass sich Putins Imperialismus nicht durchsetzen darf.“

Scholz: NATO wird nicht Kriegspartei

Deshalb stehe Deutschland „so fest an der Seite der Ukraine bei der Verteidigung ihrer Souveränität und ihrer territorialen Integrität. Deshalb leisten wir humanitäre, wirtschaftliche und militärische Hilfe für die Ukraine, für ihre Bürgerinnen und Bürger – mehr als 14 Milliarden Euro in den zurückliegenden zwölf Monaten“.

In der Frage der Waffenlieferungen zeigt der Kanzler Verständnis für Sorgen der Bürger*innen. Unterstützung durch Waffen an die Ukraine – das sei „ungewohnt“ für Deutschland. „Darum verstehe ich alle Bürgerinnen und Bürger, die darüber nicht ‚Hurra‘ schreien. Ihnen versichere ich: Die von mir geführte Regierung macht sich Entscheidungen über Waffenlieferungen niemals leicht.“ Und ein weiteres Versprechen gibt Scholz: Er achte „bei jeder unserer Entscheidungen darauf, dass die NATO nicht zur Kriegspartei wird“.

Kanzler bekräftigt 2-Prozent-Ziel der NATO

Darin zeigt er sich mit US-Präsident Joe Biden einig. Um diese enge Abstimmung fortzuführen, reist er am Donnerstag – wenige Stunden nach seine Rede im Bundestag – zu Gesprächen mit Biden nach Washington. „Ein Jahr Zeitenwende, das heißt auch: ein Jahr transatlantische Partnerschaft – enger und vertrauensvoller denn je“, bilanziert der Kanzler.

Ein weiteres Ergebnis seiner Zwischenbilanz ist, dass Deutschland im Zuge der Zeitenwende „widerstandsfähiger geworden“ sei. Am deutlichsten werde das bei der Bundeswehr. Hier habe die Regierung Schluss gemacht „mit der Vernachlässigung unserer Streitkräfte“. Dafür stehe auch das Sondervermögen für die Bundeswehr. „Dafür steht aber auch der Aufwuchs des Verteidigungshaushalts insgesamt, damit wir dauerhaft das 2-Prozent-Ziel der NATO erreichen. Diese Zusage, die ich hier am 27. Februar vergangenen Jahres gegeben habe, gilt“, verspricht Scholz.

Deutschland ist „stark und widerstandsfähig“

Zugleich gelte: Sicherheitsfragen im Licht der Zeitenwende neu zu denken bedeute auch, den Fokus nicht auf das Militärische zu beschränken. So habe Deutschland in den vergangenen zwölf Monaten „Desinformationskampagnen erlebt, Sabotageakte an kritischer Infrastruktur, auch Cyberangriffe“. Auch dagegen wappne die Regierung das Land. „Denn freie, offene Gesellschaften wie unsere müssen auch im Inneren stark und widerstandsfähig sein.“

Ein weiterer Beweis, „wie stark und widerstandsfähig“ sich Deutschland gezeigt hat, sieht Scholz im gescheiterten Versuch Russlands, das Land mit dem Stopp von Energielieferungen unter Druck zu setzen. „Denn wir sind gut durch diesen Winter gekommen – auch ohne russische Gaslieferungen.“

Viel Applaus für Scholz – Beifall auch von der Union

Am Ende seiner Rede bekommt der Kanzler breiten, langanhaltenden Applaus. Und was vielleicht noch bemerkenswerter ist: Während seiner Rede gibt es immer wieder Passagen, zu denen nicht nur die Regierungsfraktionen applaudieren, sondern auch die CDU/CSU-Fraktion. Olaf Scholz' Appell, dass die Demokrat*innen in der Krise zusammenstehen müssen, scheint auf fruchtbaren Boden zu fallen. Ein gutes Signal zwölf Monate nach der Zeitenwende.

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