Maja Wallstein: Warum die Menschen wieder Bock auf die Lausitz haben
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Sie sind in der Lausitz geboren und aufgewachsen und Fan des FC Energie Cottbus, Meister der Regionallige Nordost. Welche Rolle spielt der Erfolg des Verein für die Region?
Energie ist ein wichtiges Aushängeschild für die Region. Die „WOWsitz“ war und ist Energieregion, im wörtlichen und wie eben auch im sportlichen Sinne.
Der Hashtag „WOWsitz“ steht ganz groß auf Ihrem Instagram-Profil – was ist damit gemeint?
Ich bin der festen Überzeugung, dass die Lausitz in den nächsten fünf bis zehn Jahren eine der spannendsten und interessantesten Regionen Deutschlands, vielleicht sogar Europas, ist. Es ist anders als nach Wende. Zum damaligen Zeitpunkt wurde abgewickelt, jetzt wird entwickelt und es gibt den nötigen politischen Wille, diese Entwicklung voranzubringen.
Es gibt so viele Akteur*innen, die da Lust draufhaben. Es ist eine ganz andere Situation als noch zum Wahlkampf 2021. Da bin ich durch die Region gereist und überall hörte ich das, was man immer hört: Aus diesem Dorf sind ganz viele Menschen weggezogen, da stehen Häuser leer, die Gaststätte im Ort hat geschlossen. Jetzt höre ich vielerorts, dass die Leute zurückkehren – selbst aus meinem Abi-Jahrgang.
Vor kurzem habe ich wieder bei zwei Umzügen geholfen. Die Menschen kommen zurück, weil sie einfach Bock auf die Lausitz haben. Das merkt man auch: Man geht keine zehn Meter aus der Haustür und begegnet Leuten, wo man nicht genau weiß, was sie machen, doch es klingt interessant und man möchte sie unterstützen. Ich spüre einfach eine richtig krasse Aufbruchsstimmung.
Der Strukturwandel ist mit Blick auf die Lausitz ein viel gebrauchter Begriff. Vor kurzem machten die Grünen mit ihrem Vorschlag eines früheren Kohleausstiegs auch in der Lausitz Schlagzeilen.
Natürlich brauchen wir insgesamt einen Kohleausstieg. Mir fehlt jedoch zum aktuellen Zeitpunkt total die Fantasie, wie das früher möglich sein soll, und zwar auf ganz vielen Ebenen. Das ist einerseits die Versorgungssicherheit in unserem Land, die es zu gewährleisten gilt. Andererseits gibt es den Willen zur Entwicklung, und das braucht eben seine Zeit. Deshalb halte ich das, was die Grünen machen, aus mindestens zwei Perspektiven für politisch gefährlich.
Erstens, jede politische Aussage, noch dazu von einer Partei, die das Bundeswirtschaftsministerium führt, hat natürlich Gewicht. Übrigens unabhängig davon, ob sich aus der Forderung auch politisches Handeln ergibt. Doch die Partei löst ja etwas aus. Zum Beispiel könnten Unternehmen daraus schlussfolgern: ‚Okay, ich bin hier anscheinend nicht gewollt, dann ziehe ich mich zurück und nach mir die Sintflut.‘
Das ist hochdramatisch, wirtschaftlich wie strukturell. Anders als vielleicht im Rheinland, wo an jeder Ecke hochbezahlte Industriearbeitsplätze existieren, ist das in der Lausitz, zumindest aktuell, nicht der Fall. An zweiter Stelle gibt es eine politische Dimension. Die Aussage ist problematisch, weil sie das Vertrauen in die Politik schädigt. Es gibt zum Kohleausstieg bereits einen Kompromiss, und der wurde ja nicht gewürfelt.
Da saßen alle wichtigen Akteur*innen an einem Tisch, verhandelten anhand von klaren Kriterien und legten am Ende 2038 als Zeitpunkt für den Ausstieg, wohlgemerkt mit Schmerzen, fest. Das wird jetzt alles ad absurdum geführt. Es existiert übrigens auch noch eine dritte Dimension.
Wenn man die ganze Angelegenheit gesellschaftspolitisch betrachtet, spielt die Forderung Leuten in die Karten, die versuchen, den Osten, Sachsen, Thüringen, auch Brandenburg, an sich zu reißen. Sie wollen ja das Scheitern, schüren Angst und Zwietracht und verbreiten dort Hass und Hetze. Das bereitet mir Sorgen.
Auf Ihren Instagram-Profil haben Sie das Gedenken an die historische Rede von Otto Wels am 23. März 1933 zum Anlass genommen, um darauf hinzuweisen, dass heute wieder Rechtsextreme im Parlament sitzen.
Ja, die gibt es wieder und sie sind wirklich schlimm. Gerade den Osten nehmen sie komplett in Geiselhaft. Sie wollen auch, dass alles nach hinten losgeht, weil Angst deren Existenzgrundlage ist. Ohne die Unsicherheit und die Angst gäbe es sie gar nicht. Ich nehme es den Wählerinnen und Wählern, die sich für diese Partei entscheiden, auch gar nicht übel.
Ich nehme es eher den AfD-Funktionären übel, die diese Leute für ihre Zwecke missbrauchen. Viele, auch in meiner Heimat, haben nach besten Wissen und Gewissen ihr Kreuz bei der AfD gemacht, weil sie diesen Wunsch nach Sicherheit und Normalität haben. Aber das ist nicht das, was die AfD bietet, sondern das Gegenteil. Auch die Arbeit, die die AfD im Parlament, in den Ausschüssen macht, ist überhaupt keine Politik für die Ostdeutschen. Wenn man deren Programm umsetzen würde, dann sehe es für den Osten aber bitter aus.
Zurück zur Lausitz und der Energiewende: Wie wird die Entwicklung der Region nach dem Kohleausstieg für Sie aussehen?
Ich glaube, dass wir tatsächlich von einer Kohle- zu einer starken, vielfältigen Wirtschaftsstruktur-Region werden können. Vor allem werden wir eine grüne Region, wahrscheinlich nicht politisch, aber auf jeden Fall wirtschaftlich und energiepolitisch. Wir werden grünen Strom erzeugen, ihn speichern und auch Wasserstoff anbieten können. Außerdem wird in diesem Bereich Forschung betrieben.
Firmen werden sich ansiedeln und tun es bereits und natürlich hoffe ich, dass dadurch gut-bezahlte Industriearbeitsplätze entstehen. Das ist nicht abwegig, denn schon heute kommen wir mit der Entwicklung neuer Industriegebiete nicht so schnell hinterher, wie sich Interessent*innen melden. Da kann man jetzt schon auswählen.
Früher war das anders: Da war man über jeden froh, der sich gemeldet hat und dann kam die große Liste an Forderungen des Unternehmens, damit es sich überhaupt ansiedelt. Heute sind da Betriebe dabei, die Industriearbeitsplätze anbieten und trotzdem gleichzeitig den Anspruch haben, komplett CO2-neutral zu arbeiten.
Haben Sie konkrete Beispiele für grüne Industriearbeitsplätze?
Vor kurzem war ich beim Spatenstich für ein Werk des kanadischen Unternehmens „Rock Tech“ in Guben. Dort soll Lithiumhydroxid für Elektrofahrzeugbatterien hergestellt werden. Da entstehen hochwertige Industriearbeitsplätze. Die größte Herausforderung für uns, für die Region wird es sein, sie zu besetzen. Natürlich haben wir auch schon die anfangs erwähnten Forschungseinrichtungen, wie beispielweise das Institut für Elektrische Luftfahrtantriebe des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Cottbus.
Dort sind 366 Millionen Euro an Strukturmitteln geflossen. Oder das Institut für CO2-arme Industrieprozesse, auch vom DLR. Ein weiteres Beispiel ist „CHESCO“, ein Projekt für elektrisches Fliegen an der Brandenburgisch-Technischen Universität (BTU). Das ist eine Kooperation mit Rolls Royce. Außerdem gibt es in Cottbus ein Innovationszentrum Universitätsmedizin am Carl-Thiem-Klinikum mit den Schwerpunkten Gesundheitssystemforschung und Digitalisierung des Gesundheitswesens.
Dann haben wir das neue Instandsetzungswerk der Deutschen Bahn. Da ist auch eine Milliarde an Strukturfördermitteln geflossen. Kurzum, es ist einfach ein Traum. Die Menschen kommen hierher und haben auf jeden Fall eine Perspektive. Mittlerweile ist der Osten auch kein Niedriglohnland mehr. Wir sind nicht mehr deshalb so attraktiv, weil die Unternehmen für ihre Arbeitskräfte wenig bezahlen müssen. Das ist der Osten nicht mehr. Die Zeiten sind vorbei.
Energie Cottbus spielt als Meister der Regionalliga Nordost um den Aufstieg in die 3. Liga spielen. Am Mittwoch, 7. Juni, findet das erste von zwei Relegationsspielen in Cottbus gegen die Spielvereinigung Unterhaching, Meister der Regionalliga Bayern, statt. Was ist Ihr Tipp?
Meister müssen aufsteigen. Es war eine starke Saison, mit der ich so nicht ganz gerechnet habe, aber es nervt, dass jetzt noch eine Relegation ansteht. Ich befürchte, dass es zu spannend wird und hoffe auf deutlichen Heimsieg: 3:1.
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