Klimaschutz: SPD-Fraktionsvize Miersch appelliert an Fridays for Future
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Matthias Miersch, der Bundestag hat vor der Sommerpause das Kohleausstiegsgesetz verabschiedet, eineinhalb Jahre nach Abschluss der Kohlekommission. Die Kritik daran ist heute viel lauter als damals. Hat die Gegenwart die Politik überholt?
Wir haben schon im Koalitionsvertrag ein Klimaschutzgesetz und einen Kohleausstieg über eine Kommission vereinbart, um einen gesellschaftlichen Kompromiss für den Ausstieg zu schaffen. Da kannte man Greta Thunberg und Fridays for Future noch gar nicht. Aber schon damals gab es Widerstände. Die Klimabewegung hat dazu beigetragen, dass das Thema weiter auf der Tagesordnung bleiben konnte.
Jetzt können wir sagen: Wir haben ein Klimaschutzgesetz und wir haben ein Kohleausstiegsgesetz.
In der Fraktion haben Sie als nächsten Schritt die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) genannt. Was kommt nach der Sommerpause auf uns zu?
Mit dem Klimaschutzgesetz und dem Kohleausstiegsgesetz haben wir die ersten Schritte gemacht. Letzteres ist aber nicht in Stein gemeißelt. Wir werden 2022, 2026, 2029 und 2032 prüfen, ob wir parallel Erneuerbare Energien so gut erschlossen haben, dass wir möglicherweise noch schneller umsteigen können, und letztlich Ende der 20er Jahre sehen, ob die Abschaltung des letzten Kohlekraftwerkes noch früher erfolgen kann.
Die Schlüsselfrage ist also, ob wir den Ausbau von Erneuerbaren Energien hinkriegen. Den ersten Anker dafür haben wir jetzt gesetzt: Wir haben gesetzlich festgelegt, dass wir 65 Prozent Erneuerbare Energien im Jahr 2030 haben wollen. Deswegen ist mein Appell an Fridays for Future und alle anderen Klimaschutz-Engagierten: Ihr müsst vor Ort dafür werben, dass wir den Ausbau der Erneuerbaren hinbekommen!
Das wird Gegenstand der Debatten im Herbst sein. Wir werden über finanzielle Anreize für Kommunen und Bürger reden, wenn sie für Windparks vor Ort votieren. Außerdem wird es um Mieterstrom gehen, also wie Mieter direkt von Erneuerbaren Energien profitieren können.
Natürlich kommen auch Strompreise auf die Tagesordnung. Die Belastung durch die EEG-Umlage droht für viele zu steigen, auch weil wir teilweise große Industriezweige aus der Umlagefinanzierung rausgenommen haben. Dadurch müssen die, die noch in der Umlage sind, Bürgerinnen und Bürger und der Mittelstand, mehr zahlen. Das müssen wir überarbeiten.
Und es wird auch um die Koordination des Ausbaus der Erneuerbaren zwischen Bund und Ländern gehen.
Was davon kann noch dieses Jahr auf den Weg gebracht werden?
Die große Frage der Finanzierung wird vermutlich schwierig. Aber was wir unbedingt angehen müssen, sind die Themen Mieterstrom und Anreize für Kommunen und Bürger.
Ein weiterer Block sind die Rechtswege. Wir sehen ja, dass momentan alle Windparks beklagt werden. Meiner Meinung nach nicht immer mit stichhaltigen Argumenten. Da müssen wir schauen, ob wir die Planungsgeschwindigkeit erhöhen können, indem wir zum Beispiel zu Beginn den Prozess transparenter machen und am Ende die Klagemöglichkeiten effizienter gestalten.
Was entgegnen Sie denjenigen, die Investitionen in den Klimaschutz zugunsten der Bewältigung der Corona-Krise kürzen wollen?
Wer heute die Wirtschaft zukunftsfest machen will, der muss den Klimaschutz immer mitdenken. Corona hin oder her. Weltweit werden künftig Produkte gefragt sein, die nachhaltig sind. Wir sind eine Exportnation, also müssen wir auf Nachhaltigkeit und Energieeffizienz setzen. Wenn wir jetzt sagen: Wir können uns dieses und jenes nicht leisten, dann werden die Kosten für die Gemeinschaft durch den Klimawandel künftig viel höher sein.
Genauso dürfen wir Arbeitsplätze nicht gegen Klimaschutz ausspielen. Wir haben es ja in den vergangenen Jahren gesehen: Weil wir bei der Windkraft nicht weitergekommen sind, haben wir einen massiven Arbeitsplatzverlust in der Branche erlebt. Diese Gefahr gibt es auch für die Mobilität der Zukunft. Da müssen Gewerkschaften und SPD zusammenarbeiten. Ich bin aber zuversichtlich, dass das gelingt.
In den vergangenen Monaten sind die CO2-Emissionen gesunken, weil wir uns weniger bewegt haben, weniger konsumiert haben. Jetzt sollen wir wieder mehr konsumieren, um die Konjunktur anzukurbeln. Ist das nicht ein Widerspruch zum Klimaschutz?
Vor zwei Jahren sind wir noch davon ausgegangen, dass wir das Klimaschutzziel für 2020 nicht erreichen. Jetzt erreichen wir es wahrscheinlich, aber der Preis dafür ist wahnsinnig hoch. Es kann niemand ernsthaft sagen: „Das muss fortgesetzt werden.“ Deswegen ist es umso wichtiger, auf die Technik von Morgen zu setzen. Ein Beispiel ist die Wasserstoffstrategie im Konjunkturprogramm: Ich hoffe, dass wir damit neue Antriebe zum Beispiel für Züge und Lkws oder Schiffe und vielleicht sogar Flugzeuge entwickeln können. Die Grundvoraussetzung dafür ist natürlich, dass der Wasserstoff aus Erneuerbaren Energien hergestellt wird.
Deswegen sind Milliardeninvestitionen in diese Bereiche, in die öffentliche Verkehrsinfrastruktur und die Elektromobilität vollkommen richtig. Das sind Investitionen in die Zukunft, dort werden Arbeitsplätze geschaffen und CO2-Emissionen reduziert.
Vor ein paar Tagen wurde Ihr Wahlkreisbüro beschmiert und auf einem Plakat nach ihnen als „Klimagegner“ gefahndet. Wie gehen Sie mit dieser Art von Protest um?
Ich mache mir große Sorgen, wie dieser Wandel unsere Gesellschaft verändert. Es wird sehr polarisiert diskutiert. So funktioniert aber keine Demokratie. Als Politiker muss ich es abkönnen, angegriffen zu werden. Aber bitte sachlich, nicht persönlich – und ein Steckbrief ist persönlich. Ich halte die Empathie für die jeweils andere Gruppe in Diskussionen für unabdingbar. An vielen Stellen vermisse ich sie aber inzwischen.
Wenn sogar Journalisten kommentieren, dass Deutschland im europäischen Vergleich nicht ambitioniert ist und dann Frankreich, Belgien und Schweden als Vorbilder nennen, die massiv auf Atomkraft setzen, dann vermisse ich auch da die nötige Differenzierung. Wir wissen ja, welche Auswirkungen die Atomkraft-Debatte auf unsere Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten hatte. Ich finde es bemerkenswert, wie leichtfertig mit Atomkraft inzwischen umgegangen wird, obgleich wir wissen, dass tausende Generationen nach uns mit den von uns produzierten Risiken umgehen müssen.
Ich bin davon überzeugt, dass unser sozialdemokratischer Weg der Richtige ist. Wir werden den Wandel nur gemeinsam schaffen können. Dass jetzt von einigen kritisiert wird, dass der Ausstieg nicht ambitioniert genug sei, ist völlig in Ordnung. Wir haben mit dem Kohleausstiegsgesetz nicht die zehn Gebote beschlossen. Aber wir haben das erste Mal einen gesetzlichen Ausstiegspfad. Diesen werden auch künftige Regierungen immer wieder prüfen müssen.