Inland

Klimaneutralität: Auf dem Weg zum grünen Stahl

Der ökologische Umbau der Stahlindustrie stellt Staat und Wirtschaft vor große Herausforderungen – und auch die Beschäftigten.
von Vera Rosigkeit · 9. April 2021
Die Stahlindustrie will ihren CO2-Ausstoß massiv senken: Hier ein Mitarbeiter der Salzgitter AG vor aufgewickeltem Stahl. Kohle soll bei der Erzeugung von Stahl schrittweise durch Wasserstoff und Strom aus Erneuerbaren Energien ersetzt werden.
Die Stahlindustrie will ihren CO2-Ausstoß massiv senken: Hier ein Mitarbeiter der Salzgitter AG vor aufgewickeltem Stahl. Kohle soll bei der Erzeugung von Stahl schrittweise durch Wasserstoff und Strom aus Erneuerbaren Energien ersetzt werden.

Rund 30 Milliarden Euro bis 2050. So beziffert Heiko Reese das Investitionsvolumen, „das wir brauchen, um CO2-neutralen Stahl herzustellen. Damit könnten wir die Emissionen in der Stahlindustrie um 95 Prozent senken“, sagt der Stahlexperte der IG Metall.

Der Wandel hat begonnen

Die Transformation zur Produktion von grünem Stahl hat längst begonnen: In Salzgitter wird derzeit die erste flexibel mit Wasserstoff zu betreibende Eisenerz-Direktreduktionsanlage errichtet. Vergangenen Dezember überreichte Bundesumweltministerin Svenja Schulze der Salzgitter AG für ihr Projekt Salcos den Förderbescheid aus dem Programm Dekarbonisierung der Industrie in Höhe von fünf Millionen Euro. Windkrafträder sowie eine Hochtemperatur-Elektrolyse, um Wasserstoff selbst zu erzeugen, sind am Standort bereits vorhanden. „Es tut sich was“, sagt Nils Knierim, Mitglied der Vertrauenskörperleitung der Salzgitter Flachstahl GmbH. Zwar sei noch alles im Versuchsstadium, doch schon so ausgereift, dass man auch im größeren Stil etwas machen könne.

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Doch dazu braucht es deutlich mehr Förderprogramme, erklärt Heiko Reese den Weg zur Klimaneutralität: Rund 70 Prozent des Rohstahls, der in Deutschland produziert wird, werde in der sogenannten Hochofenroute hergestellt, die verbleibenden 30 Prozent im Elektrolichtbogenofen, in dem Schrott eingeschmolzen wird. Setze man bei letzterem Verfahren Strom aus Erneuerbaren Energien ein, sei diese Route bereits klimaneutral. Beim Hochofen sieht das anders aus, beschreibt Reese.

Wasserstoff statt Kokskohle

Hier werde Eisenerz mit Hilfe von Koks reduziert. Wolle man das umstellen, müsse Kokskohle künftig durch Wasserstoff ersetzt werden. Und um Eisenerz mit Wasserstoff zu reduzieren, müssen Hochöfen durch sogenannte Direktreduktionsanlagen ersetzt werden. „Das macht einen hohen Anteil an Investitionskosten aus, die auf die Stahlindustrie zukommen.“ Hinzu kämen erhöhte operative Kosten durch den Einsatz von Wasserstoff. Der koste nämlich heute dreimal so viel wie Kokskohle, so Reese. Auch da brauche man als Stahlunternehmen Unterstützung, auch wenn der Preis perspektivisch sinken werde. Den Investitionsbedarf in Salzgitter schätzt er auf rund fünf Milliarden Euro. „Alle warten händeringend darauf, das die entsprechenden Förderprogramme aufgelegt werden, um mit der Transformation zu starten.“

Doch was macht die Transformationen mit den Menschen, was bedeutet sie für die Beschäftigung, und mit welchen Vorstellungen gehen die Gewerkschaften an diesen notwendigen Wandel? Diese Fragen sind Teil des Transformationsprojekts der IG Metall, das Betriebe, die durch Digitalisierung oder den Umbau ihrer industriellen Produktionslinie herausgefordert sind, begleitet. „Wir müssen uns fragen, was wir als Gewerkschaft fordern und welche Voraussetzungen wir haben müssen, damit es nicht nur schöne Zeichnungen gibt, sondern auch Produktionsanlagen, die so funktionieren, wie sie funktionieren sollen“, erklärt Knierim.

Industriestandorte erhalten

Einige Forderungen hat die IG Metall bereits benannt: zum Beispiel, dass auch die Grundstoffproduktion in Deutschland stattfinden soll. Denn es geht nicht nur um eine Transformation hin zur klimaneutralen Produktion, sondern auch um den Erhalt des Industriestandorts und die Sicherung von Arbeitsplätzen. Für den Standort Salzgitter um rund 6.000 Beschäftigte, davon 5.650 als Stammbelegschaft und rund 360 Auszubildende, 91 pro Lehrjahr, berichtet Knierim. „Wir sind ein integriertes Hüttenwerk, wir machen von Erzvorbereitung bis zum Endprodukt alles auf einem Gelände“, fährt er fort. Das soll auch in Zukunft so bleiben. „Wo heute integrierte Hüttenwerke stehen, müssen in Zukunft die Anlagen stehen, die wir für eine CO2-freie Stahlproduktion brauchen.“ Deshalb verunsicherte es die Kolleginnen und Kollegen im vergangenen Jahr sehr, als sie erfuhren, dass eine Machbarkeitsstudie in Wilhelmshaven vorgesehen hat, dort eine Direktreproduktionsanlage zu bauen, um den sogenannten Eisenschwamm zu produzieren, den man dann nach Salzgitter bringen könnte.

Überhaupt sei das große Ganze für viele Kolleginnen und Kollegen bisher noch nicht greifbar. Die Versuchsanlagen seien sichtbar, aber alles in kleinem Stil und abgegrenzt als eigenes Projekt – es sind kleine Schritte. Natürlich müsse es in einem nächsten Schritt auch um die Qualifizierung der Beschäftigten gehen, das haben wir als Gewerkschaften auf dem Schirm, so Reese. Das mache aber erst Sinn, wenn die konkreten Investitionsbeschlüsse getroffen sind. Die bestehenden Förderprogrammen reichen dazu noch nicht aus, sind jedoch notwendig. „Die Förderung entscheidet darüber, ob die Transformation gelingt oder nicht“ erklärt er mit Verweis auf das Zukunftsprogramm der SPD. Das beinhaltet, Schlüsselindustrien auf ihrem Weg zur Klimaneutralität zu unterstützen und „Deutschland bis 2030 zum Leitmarkt für Wasserstofftechnologien“ zu machen – auch „für die Erzeugung klimafreundlichen Stahls“.

Es geht um zehntausende Jobs

Alle Stahlstandorte in Deutschland hätten bereits Pläne, wann die Direktreduktionsanlagen errichtet werden sollen und warten auf die konkreten Förderbescheide dafür, so Reese. Insgesamt gehe es um 85.000 Beschäftigte. Und an jedem Arbeitsplatz hängen nochmal 6,5 weitere Arbeitsplätze in der weiterverarbeitenden Industrie.

Im Sommer 2020 hat die Bundesregierung ein Handlungskonzept Stahl vorgelegt, das derzeit in konkrete Maßnahmen umgesetzt wird. „Das Konzept ist gut, die Umsetzung viel zu langsam. Hier muss viel mehr Geschwindigkeit aufgenommen werden“, so Reese weiter. Um das Klimaziel bis 2050 zu erreichen, müssten die Investitionen jetzt getätigt werden. „Wir wissen, dass wir das machen wollen, reden darüber, was wir brauchen, wissen aber nicht ob das Geld kommt und wann es dann richtig losgehen kann“, erklärt Knierim die aktuelle Situation. Genau da werde es den Kolleginnen und Kollegen und auch ihm manchmal mulmig, wenn es beispielsweise heißt, dass die Schuldenbremse nicht ausgesetzt werden könne. Was bedeutet das denn in der Konsequenz?, fragt er. „Die Schuldenbremse bremst ja nicht die Schulden, sondern die Investitionen.“

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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