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Gutachten: Warum die Wirtschaftsweisen höhere Steuern empfehlen

Die Sachverständigen zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung empfiehlt, Besserverdienende stärker zu besteuern, um die aktuelle Krisenlast gerechter zu verteilen. Aus der SPD und den Gewerkschaften gibt es dazu viel Zustimmung.
von Vera Rosigkeit · 9. November 2022
Wirtschaftsweise und Olaf Scholz
Wirtschaftsweise und Olaf Scholz

Die fünf Wirtschaftsweisen haben am Mittwoch ihr Jahresgutachten vorgelegt. Es steht unter dem Eindruck der Energiekrise und der Inflationsentwicklung. Es geht dem Titel entsprechend darum, „die Energiekrise solidarisch zu bewältigen“, erklärt die Vorsitzende des Sachverständigenrats Monika Schnitzer am Mittwoch in Berlin. Wie sehr sich die konjunkturellen Aussichten als Folge des russischen Angriffskrieges verschlechtert haben, zeigt Schnitzer im Vergleich zur Frühjahrsprognose. Da ist der Sachverständigenrat noch von einem Wachstum von 3,4 Prozent für das Jahr 2023 ausgegangen. Aktuell erwarten die Wissenschaftler*innen für das gesamte Jahr 2022 jedoch nur noch ein Wachstum von 1,7 Prozent und für 2023 einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 0,2 Prozent.

Ärmerre Haushalte besonders belastet

Hinzu kommen gestiegene Verbraucher*innenpreise: Im Oktober erreichte die Inflation mit 10,4 Prozent den höchsten Wert seit Anfang der 1950er-Jahre, betont Schnitzer. Für das gesamte Jahr 2022 rechnet der Sachverständigenrat mit einer Inflationsrate von 8,0 Prozent und für das Jahr 2023 von 7,4 Prozent. Das alles wirkt sich negativ auf die privaten Haushalte aus. Die sind aber, so die Wirtschaftsweisen, unterschiedlich stark belastet. „Ärmere Haushalte müssten ihren Konsum besonders stark einschränken, weil sie einen größeren Anteil ihres Nettoeinkommens für Energie und Lebensmittel ausgeben, die sich besonders stark verteuerten“, erklärt Ulrike Malmendier, ebenfalls Mitglied des Sachverständigenrates. Entlastungsmaßnahmen seien zwar bereits beschlossen, sollten aber zielgenauer vorgenommen werden, fordert sie. Die hohe Inflation belaste insbesondere die unteren Einkommensschichten.

Die gute Nachricht sei, dass Deutschland sich die notwendigen Kredite leisten können, sagt der Wirtschaftsweise Achim Truger. Auch eine Aussetzung der Schuldenbremse im kommenden Jahr sei möglich, auch wenn sich die Regierung dagegen entschieden habe, fügt er hinzu. Auch Truger empfiehlt mehr Zielgenauigkeit bei den Entlastungspaketen, die zudem Energiesparanreize enthalten und sich auf untere und mittlere Einkommen fokussieren sollten. Der Tankrabatt und die Senkung der Umsatzsteuer auf Erdgas waren das seiner Meinung nach nicht. Die Energiepreispauschale und die geplante Gaspauschale seien energiepolitisch zwar vernünftiger, „aber verteilungspolitisch nicht zielgenau, denn sie entlasten auch in hohem Maße Haushalte mit hohem Einkommen, die die Belastung selbst schultern könnten“, gibt Truger zu bedenken. Sein Fazit: Es werde zu viel Geld ausgegeben und die Inflation unnötig angeheizt.

Energie-Soli von hohen Einkommen gefordert

Der Sachverständigenrat plädiert daher dafür, diejenigen stärker an der Krisenbewältigung zu beteiligen, die die hohen Preise schultern können und macht drei Vorschläge, wie das möglich wäre: Zunächst könnte man den Abbau der kalten Progression verschieben, da dieser vor allem den Haushalten mit hohem Einkommen zugutekomme, sagt Truger. Bundesfinanzminister Christian Lindner plant ihn für Anfang kommenden Jahres. Zudem könnten einkommensstarke Haushalte über einen streng befristeten Energie-Solidaritätszuschlag herangezogen werden oder über eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes. Truger: „Unser zentrales Argument ist, dass diese Maßnahmen das Gesamtpaket zielgenauer machen, die fiskalische Belastung reduzieren und die Inflationswirkung bremsen würde.“

Für die SPD kommt der Vorschlag der Wirtschaftsweisen, Wohlhabende stärker an den Krisenkosten zu beteiligen, zum richtigen Zeitpunkt. „Wir haben beim Debattenkonvent einstimmig beschlossen, dass wir Multimillionen- und Milliardenvermögen sowie sehr hohe Einkommen stärker besteuern wollen, dass wir die Gerechtigkeitslücke bei der derzeitigen Erbschaftssteuer schließen wollen, um dabei auch kleinere und mittlere Einkommen stärker zu entlasten“, sagte SPD-Chefin Saskia Esken gegenüber der Stuttgarter Zeitung am Mittwoch. „Wir prüfen derzeit, welche Rolle eine einmalige Vermögensabgabe oder ein sogenannter Transformationssoli, wie ihn auch die Wirtschaftsweisen fordern, haben können.“

SPD und DGB unterstützen Steuern für Reiche

Zustimmung kommt auch von Seiten der Gewerkschaften. Für DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell bringt schon der Titel des Gutachtens die jetzt notwendigen Schritte auf den Punkt: „Die aktuelle Krise muss solidarisch gelöst werden“, erklärt er. Körzell begrüßt, dass der Sachverständigenrat weitere Entlastungen für besonders von der Energiepreissteigerung Betroffene anmahnt. Die Empfehlung, Steuern für Reiche zu erhöhen um die Krisenlasten gerecht zu verteilen, sei genau richtig. Und auch ver.di teilt die Kritik an der fehlenden sozialen Balance der Krisenpolitik. „Ich begrüße ausdrücklich die Forderung des Sachverständigenrats nach einem höheren Spitzensteuersatz und einem Energie-Soli für Reiche“, betont Frank Werneke, Vorsitzender der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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