Gustav Horn: „Die Corona-Krise führt uns die Unsicherheiten der Globalisierung vor Augen.“
Ute Grabowsky/photothek.net
Hat es nach dem Zweiten Weltkrieg schon mal eine ähnliche Belastungsprobe für die Weltwirtschaft gegeben wie jetzt durch die Ausbreitung des Corona-Virus‘?
Das ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abzusehen. Ich würde die Situation zurzeit schon mit globalen Finanzkrisen vergleichen, die wir in der Vergangenheit erlebt haben. Sie haben weltweit die Volkswirtschaften in eine Rezession geschickt. Der große Unterschied ist, dass der Auslöser diesmal nicht an den globalen Finanzmärkten war, sondern es ein medizinischer Vorfall ist.
Gibt es für Vorfälle wie diesen bereits Modelle?
Nein, wir sind eigentlich unvorbereitet, welchen Effekt eine solche Pandemie auf die Wirtschaft hat. Deshalb können wir nur versuchen, Erfahrungen, die wir während anderer Krisen gesammelt haben, auf die aktuelle Situation zu übertragen. Eine wichtige Erfahrung ist, dass die Politik von Anfang an Vertrauen schaffen muss, damit es nicht zu Panikreaktionen in der Bevölkerung und vor allem an den Börsen kommt, die dann dafür sorgen, dass die wirtschaftlichen Schäden noch größer werden.
Die Bundesregierung hat also richtig reagiert, indem sie am Freitag unbegrenzte Kredite für Unternehmen zugesagt hat, die wegen der Corona-Krise in Bedrängnis geraten?
Ja, das war genau die richtige Reaktion. Die Bundesregierung musste klotzen statt kleckern, um das Vertrauen aufrecht zu erhalten. Sie hat damit ganz klar signalisiert: Es kommen Belastungen auf die Unternehmen zu, aber sie tut alles, um diese aufzufangen und abzufedern. Und sie hat gezeigt, dass sie auch die Mittel hat, um die Belastungen aufzufangen. Unternehmen können über die Kreditanstalt für Wiederaufbau Liquiditätshilfen und auch Kredite erhalten, die ihnen über diese schwere Zeit hinweghelfen. Ganz wichtig sind die Ankündigungen zur Kurzarbeiterregelung, damit Menschen auch dann ihren Arbeitsplatz behalten und ihr Einkommen stabil bleibt, wenn es vorübergehend wegen Corona weniger zu tun gibt.
Ist Deutschland wirtschaftlich und finanziell gut für eine solche Krise gerüstet?
Ja, davon bin ich überzeugt. Deutschland steht am Ende eines sehr, sehr langen Aufschwungs. Viele Menschen sind in Beschäftigung, die Arbeitslosigkeit ist gering. Die öffentlichen Haushalte sind weitgehend in einem guten Zustand. Insofern gehen wir aus einer starken Position heraus in die kommenden Wochen und Monate. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit deutlich, dass wir die Krise gut bewältigen können.
Der Dienstleistungssektor ist von den Corona-Maßnahmen unmittelbar betroffen. Rollt in dem Bereich eine Pleitewelle auf uns zu?
Das Spezifische an dieser Krise ist, dass vor allem der sogenannte soziale Konsum betroffen ist. Wenn Menschen Abstand voneinander halten sollen, können sie viele Dinge wie Theater- oder Barbesuche nicht mehr durchführen. Deshalb wird diese Branche zunächst am meisten leiden. Und deshalb braucht es hier auch Soforthilfen, damit die Anbieter nicht Pleite gehen. Die Kurzarbeiterregelung wirkt hier stabilisierend, weil die Einkommen der Beschäftigten erhalten bleiben und für den Konsum genutzt werden können.
Wie könnte der Staat darüber hinaus helfen?
Unternehmen haben bereits die Möglichkeit, zinslose Kredite zu erhalten. Das ist eine riesige Unterstützung und wird vielen helfen, diese schwierige Zeit zu überbrücken. Jetzt geht es darum, dieses grobe Instrument so zu verfeinern, dass die spezifischen Sektoren möglichst unbürokratische Hilfe erhalten können.
China scheint den Höhepunkt der Corona-Krise bereits überwunden zu haben, die Wirtschaft läuft bereits wieder an. Könnte das Land sogar wirtschaftlich gestärkt aus der Krise hervorgehen?
Das Wiederanlaufen der chinesischen Wirtschaft zeigt erstmal, dass die Corona-Krise eine vorübergehende Krise ist. Das ist eine wichtige Erkenntnis. Ob China weltwirtschaftlich gesehen gestärkt daraus hervorgeht, wird auch davon abhängen, welche Konsequenzen die Unternehmen aus der Krise ziehen und ob die Wertschöpfungsketten so erhalten bleiben, wie sie zurzeit sind oder ob mehr Sicherheiten eingebaut werden, also manche Produktionen vielleicht wieder aus China zurückgeholt wird. In dem Fall würde China sogar geschwächt. Andererseits leistet China zurzeit große Hilfe in anderen Ländern im Umgang mit dem Corona-Virus. Das stärkt seine Position in der Welt.
Würden Sie als Erfahrung aus der Krise zu einer Re-Nationalisierung von Produktions- und Wertschöpfungsketten raten?
Nein, das wäre viel zu eng gedacht. Wir sollten stattdessen viel mehr im europäischen Maßstab denken – der in dieser Krise ohnehin viel stärker betont werden sollte. Es gibt in Europa ein reichhaltiges Angebot an Produktion und deshalb sollten wir uns auch europäisch stärker gegen solche Entwicklungen wie jetzt in der Corona-Krise absichern. Institutionen wie die Europäische Investitionsbank und der Europäische Stabilitätsmechanismus sollten wir jetzt stärker in Stellung bringen.
Welchen Einfluss wird die Krise allgemein auf die Globalisierung haben?
Diese Krise führt uns die Unsicherheiten der Globalisierung ganz deutlich vor Augen. Eine Konsequenz wird sein, dass Wirtschaft wie Politik mehr Sicherheitsnetze einbauen werden. Das geht aber nicht national, sondern nur mit einem multilateralen Ansatz. Ein Land allein kann sich nicht gegen die Folgen einer solchen Pandemie schützen. Insofern kann nur eine stärkere Europäisierung die Antwort sein.
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Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.