Inland

Ein Jahr nach der Flut: Neustart für Katastrophenschutz in Deutschland

Am 14. Juli 2021 zerstörte eine Unwetterkatastrophe große Teile von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, mehr als 180 Menschen starben. Nun hat Innenministerin Faeser Pläne für eine Reform des Katastrophenschutzes vorgestellt. Eine Übersicht.
von Jonas Jordan · 14. Juli 2022
Nach der Flutkatastrophe im vergangen Jahr war die Zerstörung, aber auch die Solidarität im Ahrtal groß.
Nach der Flutkatastrophe im vergangen Jahr war die Zerstörung, aber auch die Solidarität im Ahrtal groß.

Es waren erschütternde Bilder, die genau vor einem Jahr aus Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz um die Welt gingen. Eine Flutkatastrophe zerstörte ganze Landstriche. Bäche wurden zu reißenden Flüssen, die alles mit sich zogen. Alleine im Ahrtal starben 139 Menschen, insgesamt mehr als 180. In die Kritik gerieten damals nicht nur die handelnden Person wie der damalige CDU-Landrat des Kreises Ahrweiler oder die Umweltministerin von Nordrhein-Westfalen, sondern auch die Strukturen und Warnsysteme des Katastrophenschutzes in Deutschland.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat daher am Mittwoch in Folge der Flut, aber auch des russischen Angriffskrieges in der Ukraine gemeinsam mit dem Präsidenten des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Ralph Tiesler, und dem Präsidenten des Technischen Hilfswerks (THW), Gerd Friedsam, Pläne für eine Reform des Katastropenschutzes in Deutschland vorgestellt. Zentral dabei sind eine bessere personelle Ausstattung, aber auch eine schnellere Information und Warnung der Bevölkerung im Katastrophenfall.

Gemeinsames Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz

Schon vor einem Monat haben Bund und Länder gemeinsam erste Weichen gestellt. Bei der Innenministerkonferenz Anfang Juni in Würzburg unterzeichneten Nancy Faeser und ihre Kolleg*innen aus den Ländern eine Vereinbarung für die Gründung eines Gemeinsamen Kompetenzzentrums Bevölkerungsschutz. Zu dessen künftigen Aufgaben sagte Faeser am Mittwoch: „Im neu gegründeten Gemeinsamen Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz bündeln wir alle krisenrelevanten Informationen. Wir bringen anders als bisher alle Akteure von Bund, Ländern und Hilfsorganisationen an einen Tisch. So entsteht ein umfassendes digitales 360-Grad-Lagebild, auf das wir jederzeit zurückgreifen können.“

Bessere Warnungen

Nancy Faeser mahnte: „Wir müssen immer vorbereitet sein. Eine rechtzeitige Warnung kann Leben retten. Wir sorgen deshalb für moderne Warnsysteme wie Cell Broadcast – also gezielte Warnhinweise direkt aufs Handy.“ Ab kommendem Frühjahr sollen diese verfügbar sein. Bei einem Warntag am 8. Dezember sollen sie getestet werden. Zudem will die Bundesregierung stärker dafür werben, dass sich mehr Menschen die Nina-Warnapp auf ihrem Smartphone installieren. Gemeinsam mit den Ländern soll die Warninfrastruktur verbessert, mehr Geld in Sirenen investiert werden.

Bevölkerungsschutztag

Ab 2023 soll es jährlich einen gemeinsamen Bevölkerungsschutztag von Bund und Ländern geben, um die Bevölkerung stärker für die Themen Eigenresilienz und Selbstschutz zu sensibilisieren. Das Bundesinnenministerium will zudem mit dem BBK eine Kommunikationsstrategie erarbeiten, um eine größere Handlungssicherheit der Bevölkerung zu erreichen. „Wir brauchen einen Neustart im Bevölkerungsschutz. Wir werden unser Land krisenfester machen. Entscheidend ist, dass wir das Vorgehen von Bund, Ländern und Kommunen viel besser koordinieren, als es insbesondere während der furchtbaren Flutkatastrophe vor einem Jahr der Fall war“, sagte Faeser.

Mit Blick auf den geplanten Bevölkerungsschutztag fügte sie hinzu: „An diesem Tag können wir für Schutzmaßnahmen des Staates, aber auch für die Vorsorge, die jeder selbst treffen kann, werben. So können Menschen sich selbst, ihre Familien und Nachbarn besser schützen."

Zivilschutz-Reserve

Um im Katastrophenfall kurzfristig reagieren zu können, ist der weitere Aufbau einer Zivilschutz-Reserve geplant. „Mit neuen Notfall-Zeltstädten können Schlafplätze, Gesundheitsversorgung, Strom, Wasser und Mobilität für jeweils bis zu 5.000 Menschen in kürzester Zeit aufgebaut werden“, erläuterte Faeser. So sollen Evakuierte, aber auch Geflüchtete kurzfristig untergebracht werden können.

Schutz kritischer Infrastruktur

Einen besonderen Schutz soll es für die kritische Infrastruktur geben, etwa die Energie- und Gesundheitsversorgung. Daher kündigte Faeser an, noch in diesem Jahr dem Kabinett Eckpunkte für ein KRITIS-Dachgesetz vorlegen zu wollen, das Verfahren und Maßnahmen zur Erhöhung der Resilienz und ein umfangreiches Meldewesen für Sicherheitsvorfälle und Berichtspflichten für Infrastrukturbetreiber und staatliche Behörden beinhalten soll.

Bessere personelle und finanzielle Ausstattung

Mehr als 300 Millionen Euro sind im Bundeshaushalt für den Bevölkerungsschutz vorgesehen, ebenso 146 zusätzliche Stellen für das BBK. Auch das THW hat bereits mehr Mitarbeiter*innen bekommen. Das Innenministerium kündigt an, sich in den weiteren Haushaltsverhandlungen für mehr Geld für Ausstattung und Personal und eine effiziente Aufgabenwahrnehmung stark machen zu wollen.

Aufarbeitung der Flutkatastrophe

Nancy Faeser beabsichtigt, noch in diesem Jahr die Länder zu einer Konferenz einladen, um die Flutkatastrophe von vor einem Jahr und den Wiederaufbau systematisch aufzuarbeiten und die entsprechenden Lehren daraus zu ziehen. „Um solche Katastrophen wie im Ahrtal zu bewältigen ist es notwendig, Einheiten aus dem gesamten Bundesgebiet zusammenzuziehen. Nur so können stark zerstörte Städte und Gemeinden effektiv unterstützt werden. Mit unseren 668 Ortsverbänden und mehr als 80.000 Ehrenamtlichen sind wir als THW dafür gut in der Fläche aufgestellt. Der Bevölkerungsschutz muss zudem in der Lage sein, in Ausnahmesituationen betroffene Krisenmanagementstrukturen vor Ort zu ersetzen, um schnelle Hilfsmaßnahmen sicherzustellen“, forderte THW-Präsident Friedsam.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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