Bürgergeld: Warum die CDU-Behauptungen nicht stimmen
IMAGO/Jan Huebner
Erst stimmt sie der Einführung des Bürgergeldes zu, dann kritisiert sie das Bürgergeld als zu hoch und nun möchte die CDU das Bürgergeld in seiner jetzigen Form ganz abschaffen. Begründung: Das Bürgergeld setze nicht genügend finanzielle Anreize zum Arbeiten. Mit dem Bürgergeld würde sich Arbeit nicht mehr lohnen, behauptet CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann.
Schon Mindestlohn höher als Bürgergeld
Das ist jedoch ein Trugschluss. Denn tatsächlich verhält es sich so, dass Beschäftigte, die in Vollzeit zum Mindestlohn arbeiten, ein deutlich höheres Einkommen haben als Personen, die Bürgergeld beziehen. Das haben Berechnungen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung auf Anfrage des ARD-Magazins Monitor ergeben. WSI-Sozialexperte Eric Seils hat für verschiedene Haushaltskonstellationen berechnet, wie hoch das verfügbare Einkommen mit Erwerbsarbeit zum Mindestlohn im Vergleich zum Bezug von Bürgergeld ausfällt.
- Danach haben Alleinstehende, die in Vollzeit zum Mindestlohn arbeiten, im kommenden Jahr pro Monat ein um 532 Euro höheres Nettoeinkommen als alleinstehende Bezieher*innen von Bürgergeld.
- Bei Alleinerziehenden mit einem Kind beträgt der Unterschied zwischen 715 und 765 Euro, je nach Alter des Kindes. Bei Alleinerziehenden mit zwei Kindern sind es zwischen 939 bis 1001 Euro.
- Eine vierköpfige Familie mit zwei Kindern, in der ein Elternteil zum Mindestlohn arbeitet und der zweite nicht erwerbstätig ist, hat netto zwischen 406 und 634 Euro mehr zur Verfügung als bei Bürgergeldbezug.
„Wer arbeitet, der hat mehr“, erklärt dementsprechend die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion Katja Mast auf X (vormals Twitter). Was es Ihrer Meinung „statt schräger Debatten über das Bürgergeld braucht, sind höhere Löhne und mehr Tarifbindung“. Einig sind sich Vertreter*innen von SPD, Gewerkschaften und Sozialverbänden darin, dass sich der Abstand zwischen Bürgergeldbezug und Arbeitseinkommen vorzugsweise dann erhöht, wenn Löhne und Gehälter steigen.
SPD für mehr Lohn, statt weniger Sozialleistung
So sieht es auch Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Dass Bezieher*innen von Bürgergeld Anspruch auf mehr Geld hätten als im Niedriglohnbereich arbeitende Menschen hält er für „nachgewiesenermaßen falsch“. Kritisch hinterfragen ließe sich laut Fratzscher, „ob der Unterschied der Einkommen von arbeitenden und nicht arbeitenden Menschen zu gering ausfällt.“ Der sehr viel klügere Weg als eine Kürzung der Leistungen sei, „Löhne und Arbeitsbedingungen zu verbessern.“
Bereits im September griff Bundesarbeitsminister Hubertus Heil auf dem ver.di-Bundeskongress in die Debatte um das Bürgergeld ein. Schon da wetterte CDU-Chef Friedrich Merz über die bevorstehende Erhöhung des Bürgergeldes zum 1. Januar 2024. Es ärgere ihn besonders, dass einige mit dem Spruch „Arbeit muss sich lohnen“ versuchen würden, Menschen gegeneinander auszuspielen, erklärte Heil im September. Für ihn sei ganz klar, dass arbeiten einen Unterschied machen müsse. Es gehe dabei um Leistungsgerechtigkeit und Respekt, räumte Heil ein.
Aber wenn die CDU, die zwar der Einführung des Bürgergelds zugestimmt, sich aber bei der Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro enthalten habe, solche Debatten führe, „ist das unredlich“, kritisierte Heil. Wenn Arbeit einen Unterschied machen soll und damit auch Lohnabstände zu Sozialleistungen größer werden sollen, „dann ist der Schlüssel nicht, dass Existenzminimum von Menschen runterzurechnen, sondern dafür zu sorgen, dass untere Einkommen entlastet werden und das untere Einkommen wieder stärker steigen“.
Heil: CDU setzt auf Scheinbeschäftigung
Die Vize-Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Dagmar Schmidt betont auch den Gedanken des Bürgergelds. Es sei der richtige Weg, um eine nachhaltige Arbeitsmarktintegration durch Qualifizierung und Weiterbildung zu ermöglichen. In schwierigen Situationen fange das Bürgergeld die Menschen auf, erklärte Schmidt im Nachrichtensender ntv. „Wir haben in der Pandemie gesehen, wie schnell es jemanden treffen kann“, sagte sie. Ihrer Meinung nach sollen die „unanständige Unterstellungen“ an Menschen, die arbeitslos sind, davon ablenken, „dass die Union nichts für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tut“. Wenn es um den Respekt vor harter Arbeit gehe, „wissen wir die Union dann nämlich leider nicht an unserer Seite“, kritisierte Schmidt. Sie verwies dabei auf die Mindestlohnerhöhung und das geplante Gesetz zur Tariftreue.
Am Donnerstag machte Hubertaus Heil noch einmal deutlich, wo der Unterschied zwischen Bundesregierung und CDU in der Arbeitsmarktpolitik liege. „Wir bringen Menschen mit demJob-Turbo und mit gezielter Unterstützung aus dem Bürgergeld in richtige Arbeit“, sagte er dem Portal „wallstreet-online“. „Herr Linnemann und seine CDU setzen dagegen auf unsinnige Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und teure und bürokratische Scheinbeschäftigung“, so der Bundesarbeitsminister.
CDU-Behauptungen ohne Beleg
Katja Mast ging in ihrer Kritik einen Schritt weiter. Sie erklärte, dass es der CDU/CSU vor allem darum gehe, Sozialleistungen zu kürzen, statt dafür zu sorgen, dass die Menschen ordentliche Löhne bekämen. „Im Kern will Herr Linnemann sinnlose Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, statt Menschen in Arbeit zu bringen“, erklärte Mast. Das jedoch sei wirtschaftspolitischer Unsinn und gefährde den sozialen Frieden. Dieser sei aber ein harter Standortfaktor für den Wirtschaftsstandort Deutschland.
Der Wirtschaftswissenschaftler Enzo Weber wies ebenfalls am Donnerstag darauf hin, dass sich die Aussagen der Unionspolitiker, wonach sich Arbeit nicht mehr lohne, empirisch nicht bestätigen ließen. Denn tatsächlich lägen die monatlichen Zugänge „aus Beschäftigung in die Grundsicherung (SGB-II-Arbeitslosigkeit) aber aktuell bis Oktober so niedrig wie noch nie“, erklärte er im Online-Magazin „Makronom“. „Nach der Bürgergeldeinführung Anfang 2023 sind die Zugänge sogar weiter gesunken.“
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.