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Brand New Bundestag: „Wollen Katalysator für progressive Politik sein“

Im Bundestagswahlkampf unterstützte „Brand New Bundestag“ progressive Kandidiat*innen. Drei von ihnen gelang der Einzug ins Parlament. Mit-Gründer Maximilian Oehl über seine Erwartungen an die Abgeordneten, die Ampel-Koalition und künftige Aufgaben
von Kai Doering · 23. November 2021
Unser Politikansatz steht für einen gesunden, progressiven Pragmatismus: Maximilian Oehl, Mit-Gründer von Brand New Bundestag
Unser Politikansatz steht für einen gesunden, progressiven Pragmatismus: Maximilian Oehl, Mit-Gründer von Brand New Bundestag

Die Idee stammt aus den USA. Nach dem Vorbild der Kampagne „Brand New Congress“, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, 400 progressive Kandidat*innen in den Kongress zu bringen, gründete sich 2019 in Deutschland die Initiative „Brand New Bundestag“ (BNB). Bei der Bundestagswahl unterstützte sie zehn Kandidat*innen verschiedener Parteien mithilfe von Coachings und zum Teil auch finanziell. Drei von ihnen gelang der Einzug ins Parlament. „Mit vereinten Kräften wollen wir nun dafür sorgen, dass die so dringend erforderlichen Reformen Realität werden“, sagt BNB-Mit-Gründer Maximilian Oehl

„Brand New Bundestag“ hat zehn Bundestagskandidat*innen bei ihrer Kandidatur unterstützt. Drei von ihnen haben es in Parlament geschafft. Sind Sie zufrieden?

Wir sind sehr zufrieden. Als wir „Brand New Bundestag“ gestartet haben, haben wir gesagt, schon ein Mandat bzw. allein nah an den Bundestagseinzug ranzukommen, wäre eine Erfolg. Dass mit Rasha Nasr, Kassem Taher Saleh und Armand Zorn nun gleich drei Abgeordnete in den Bundestag eingezogen sind, übertrifft unsere Erwartungen vollkommen. Man darf ja nicht vergessen, dass wir noch eine sehr junge Organisation sind. Besonders freut mich, dass es drei kompetente, sympathische und bodenständige Abgeordnete sind. Ich freue mich sehr, dass sie Perspektiven in den politischen Diskurs einbringen werden, die dort leider bisher stark unterrepräsentiert sind.

Brand New Bundestag hat das Ziel progressive Politiker*innen in die Parlamente zu bringen. Ist das bei allen drei der Fall?

Ja, auf jeden Fall. Grundvoraussetzung dafür, dass wir sie zur Förderung ausgewählt haben, war ja, dass sie zu unseren Zielen und Vorstellungen passen. Alle Kandidierenden identifizieren sich nach wie vor sehr stark mit den Zielen von Brand New Bundestag. Das gilt auch für Rasha, Kassem und Armand. Deshalb bin ich sehr sicher, dass wir in der inhaltlichen Arbeit gemeinsam für die Umsetzung dieser Ziele streiten werden.

Erwarten Sie eigentlich eine Art Gegenleistung für die Hilfe, die Brand New Bundestag den dreien im Wahlkampf geleistet hat?

Nein. Das Bild von einer Gegenleistung ist falsch. Wir haben Personen ausgewählt, die ähnliche politische Ziele haben und eine ähnliche Vision davon, wohin unser Land steuern soll. Mit vereinten Kräften wollen wir nun dafür sorgen, dass die so dringend erforderlichen Reformen Realität werden. Es ist also unsere gemeinsame – progressive – Sache, für die wir uns einsetzen.

Wie soll das praktisch ablaufen?

Wir sind zurzeit dabei, über die „Brand New Bundestag TOP50 Progressives“, 50 progressive Bundestagskandidat:innen, die für einen politischen Aufbruch stehen, ein Netzwerk für progressive Politik zu entwickeln und auszubauen. Es umfasst nicht nur ehemalige Kandidierende und hoffentlich immer mehr politische Mandatsträger:innen, sondern auch Akteur*innen aus der Zivilgesellschaft. So soll der Draht zwischen zivilgesellschaftlichen Initiativen und Abgeordneten möglichst kurz sein. Als Brand New Bundestag verstehen wir uns dabei als Plattform, auf der die verschiedenen Akteur*innen zusammenkommen können. Auf diese Weise wollen wir ein Katalysator für progressive Politik sein.

Im Wahlkampf haben Sie Punkte wie die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels oder auch das Eintreten für die Seenotrettung als Ziele genannt. Bleibt es dabei, auch mit Blick auf die geplante Ampelkoalition?

Ja. Natürlich verfolgen wir ganz genau, was am Ende im Koalitionsvertrag stehen wird. Wir verstehen unserer Rolle dabei so, dass wir uns besonders in den Bereichen einbringen, in denen es gesellschaftlich wirklich brennt: Beim Klimaschutz ist das unter anderem die Frage, ob es ein fixes Datum für den Kohleausstieg gibt bzw. wann genau dieser erfolgen wird. In der Migrationspolitik ist die neue Koalition aufgerufen, den Schutz von Geflüchteten entschieden auf eine solide Grundlage zu stellen. Stichwort: solidarisches, europäisches Asylsystem. Wie aktuell das ist, sehen wir ja gerade an der polnischen Grenze zu Belarus. Die Situation dort beobachten wir mit großer Sorge. Ein dritter, aus unserer Sicht unerlässlicher Punkt der künftigen Koalition ist ein effektiver Eingriff in den schon lange außer Kontrolle geratenen Mietmarkt. Die Sondierungsergebnisse waren hier bislang sehr vage. Da erhoffen wir uns vom Koalitionsvertrag deutlich mehr. In all diesen Fragen, für die es bereits große gesellschaftliche Bewegungen gibt, sehen wir uns als Brand New Bundestag als Verstärker, um sie über unsere Abgeordneten ins Parlament zu tragen.

Wie werden Sie damit umgehen, wenn Brand New Bundestag eine andere Position vertritt als die Fraktion des oder der jeweiligen Abgeordneten?

Unabhängig von Konfliktfällen zwischen unserer und einer möglichen Fraktionslinie erhoffe ich mir vom neu gewählten Bundestag eine andere Art der Diskussionskultur als sie während der großen Koalition gepflegt wurde. Ich habe auch den Eindruck, dass viele der neu gewählten Abgeordneten dieses Anliegen teilen und den offenen Austausch schätzen. Viele wünschen sich einen öffentlichen Wettstreit darüber, was der beste Lösungsansatz für ein Problem ist. Hierfür steht ja letztlich auch das Votum der Wähler:innen: Die Ampel-Koalition soll liberale Ansätze mit dem Sozialen und Ökologischen vereinen. Das ist eine herausfordernde Aufgabe. Aber wenn es gelingt, kann Politik so auch nahbarer und wieder besser nachvollziehbar werden.

Kann Brand New Bundestag der Treiber dieses Kulturwandels sein?

Wir wollen hierzu auf jeden Fall unseren Beitrag leisten. Unser Politikansatz steht für einen gesunden, progressiven Pragmatismus. Wenn wir wirklich die nachhaltige Transformation vorantreiben wollen, dürfen wir die Dinge nicht ideologisch oder machtpolitisch-strategisch betrachten. Stattdessen müssen wir überlegen, wie wir auf pragmatischem Wege so schnell wie möglich vom Fleck kommen. Dafür braucht es breite progressive Allianzen, die über Fraktionsgrenzen hinausgehen und die Zivilgesellschaft, die Wissenschaft und auch die Wirtschaft mit einbeziehen. Genau für diesen Prozess wollen wir mit unserer Arbeit werben und die ein oder andere Weiche stellen.

Die Bundestagswahl war ein großer Erfolg für Brand New Bundestag. Wo werden Sie als nächstes aktiv?

Wir richten schon seit geraumer Zeit unseren Blick auf die Landtagswahlen im kommenden Jahr. Konkret werden wir mindestens einen Kandidaten in Nordrhein-Westfalen unterstützen. Für die Wahlen in Schleswig-Holstein und im Saarland nähern wir uns mit unserem Auswahlverfahren bereits der finalen Phase. Ich denke, auch für die Landtagswahl in Niedersachsen im Herbst, werden wir geeignete Kandidaten finden. Wir wollen uns aber auch auf der lokalen Ebene engagieren und geeignete Personen unterstützen, die bei Kommunalwahlen antreten. Ohne unsere vielen tollen Freiwilligen wäre das alles nicht möglich.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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