Inland

Bernd Westphal: „Vier-Tage-Woche ist denkbar“

Elektromobilität, Digitalisierung, Strukturwandel - die deutsche Wirtschaft steht vor tiefgreifenden Veränderungen. Wie sich die SPD die Zukunft zwischen Lausitz und Ruhrgebiet vorstellt, hat die AG Wirtschaft und Energie in einem Papier formuliert. Ein Interview mit dem Sprecher der AG, Bernd Westphal.
von Benedikt Dittrich · 4. Juli 2019
Faire Teilhabe am Wohlstand der boomenden Wirtschaft: Das SPD-Wirtschaftsforum hat konkrete Vorstellung, wie sie erreicht werden kann.
Faire Teilhabe am Wohlstand der boomenden Wirtschaft: Das SPD-Wirtschaftsforum hat konkrete Vorstellung, wie sie erreicht werden kann.

Bernd Westphal, die AG Wirtschaft und Energie fordert den Umbau der Automobilindustrie hin zu mehrelektrischen Fahrzeugen und eine flächendeckende Ladeinfrastruktur. Fahren wir also bald nur noch E-Autos?

Die Automobilindustrie ist in Deutschland ein wichtiger Teil der Wertschöpfung -das muss auch so bleiben. Die Automobilindustrie will jedoch vor allem auf batterieelektrische Antrieb setzen. Wir möchten aber auch die Wasserstofftechnologie weiterentwickeln. Denn die Probleme, die es bei E-Autos und Batterien gibt, zum Beispiel die niedrige Reichweite, keine Batterieproduktion in Deutschland und die Ladedauer, die sehen wir bei Wasserstoff nicht. Da gibt es ein hohes Zukunftspotential.

Warum dann nicht gleich komplett auf Wasserstoff setzen?

Wir brauchen beides. Die Reduzierung der CO2-Flottengrenzwerte bis 2030, die auf europäischer Ebene festgelegt wurden, ist ein knackiges Ziel. Das kann die Automobilindustrie nur erreichen, wenn sie die Emissionen bei ihren Flotten relativ schnell reduziert. Auch klimaneutrale E-Fuels (elektrische Kraftstoffe) könnten helfen. Elektromobilität auf Batteriebasis ist gerade bei Nahverkehr und für die Kurzstrecke eine super Option. Aber nur darauf zu setzen, ist falsch. Deutschland muss bei allen Zukunftstechnologien vorne mit dabei sein.  

Deutschland soll also bei Zukunftstechnologien vorne dabei sein. Wo in Deutschland soll das denn passieren?

Je nach Technologie haben wir regionale Netzwerke mit unterschiedlichen Kompetenzen. Mir kommt es insbesondere drauf an, die Kohleregionen zu unterstützen. Dazu hat sich die Bundesregierung verpflichtet. Dort gibt es gut ausgebildete Facharbeiter in der Bergbau- und Energiewirtschaft. In den Tagebauen gibt es Elektriker, Industriemechaniker, Handwerker, die ihr Fach verstehen. Das sind Experten, Fachkräfte, für die wir Arbeitsplatzperspektiven brauchen. Mit diesem Personal könnten neue Strukturen, neue Industrien entstehen. Damit würden wir auch den Strukturwandel positiv gestalten. Wenn aber die Bundesforschungsministerin die Batteriezellenforschung lieber nach Münster verlegt, in eine der reichsten Regionen in Deutschland, dann ist das kontraproduktiv. So etwas müsste man in der Lausitz, in Cottbus aufbauen.

Die Industrie verändert sich auch durch die Digitalisierung. Viele befürchten dadurch den Verlust von Arbeitsplätzen, nicht nur in den Kohlerevieren. 

Es gibt Prognosen, unter anderem vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg, die davon ausgehen, dass am Ende mehr Jobs geschaffen werden als wegfallen. Aber trotzdem müssen wir das mitdenken. Wenn die Unternehmen höhere Gewinne erzielen durch die Digitalisierung, darf das Geld nicht nur in den Taschen der Unternehmer landen. Die Digitalisierungsdividende muss auch bei den Beschäftigten in Form von Ausbildung, Weiterbildung oder guten Arbeitsbedingungen ankommen. Eine Vier-Tage-Woche ist denkbar, wenn Maschinen die Arbeit übernehmen.

Es fehlen aber jetzt schon gut ausgebildete Fachkräfte. Wird die Digitalisierung diesen Mangel nicht noch verstärken?

Natürlich müssen wir in Bildung investieren. Wenn man da spart, wird’s teuer. Das muss aber nicht nur universitäre Bildung sein. Studium und Ausbildung sollten besser verzahnt werden. Im Moment fehlen Fachkräfte. Wir brauchen immer noch jemanden, der den Heizkörper an die Wand schraubt. Das ist schulische Bildung und Berufsbildung. Der Dachdecker, Chemikant, Gärtner, Elektriker, Tischler oder Schlosser, die sind auch allesamt betroffen von der Digitalisierung, die dürfen wir nicht vergessen, die müssen wir weiterbilden.

Welche weiteren Herausforderungen bestehen für die Wirtschaft?

Eine ganze Reihe vom globalen Handel bis zur Schaffung eines innovationsfreundlichen Umfelds. Eine inklusive Wirtschaft muss vor allem einen Mehrwert für die Gesellschaft erbringen. So muss zum Beispiel die Finanzierung unserer Sozialversicherungssysteme, die heute zum großen Teil auf lohnbezogenen Beiträgen basiert, neu gestaltet werden. Vielleicht brauchen wir dann sogar etwas ganz anderes, beispielsweise eine Abgabe auf die Wertschöpfung. Früher hat man diese Überlegung Maschinensteuer genannt. Wir müssen die Finanzierung unserer Sozialversicherung demografie- und zukunftsfest auf neue Beine stellen. Sozial- und Wirtschaftspolitik sind immer zusammen zu denken. Wir sind nicht trotz, sondern wegen unserer Werte und hohen Sozialstandards wirtschaftlich so erfolgreich.

Autor*in
Benedikt Dittrich

war von 2019 bis Oktober 2022 Redakteur des „vorwärts“.

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