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Afghanistan-Untersuchungsausschuss: „Wir müssen aus Fehlern lernen.“

Ein Untersuchungsausschuss des Bundestags soll den überhasteten Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan vor einem Jahr aufarbeiten. Warum das gerade für künftige Einsätze wichtig ist, sagt der Ausschuss-Vorsitzende Ralf Stegner im Interview.
von Kai Doering · 1. Juli 2022
Ausschuss-Vorsitzender Ralf Stegner: Auch die Soldatinnen und Soldaten werden die Arbeit des Untersuchungsausschusses genau beobachten.
Ausschuss-Vorsitzender Ralf Stegner: Auch die Soldatinnen und Soldaten werden die Arbeit des Untersuchungsausschusses genau beobachten.

Die Bilder des am Ende überstürzten Abzugs der Bundeswehr aus Afghanistan gingen im August vergangenen Jahres um die Welt. Wie haben Sie die damaligen Ereignisse wahrgenommen?

Ich habe, wie sicher die meisten, vor allem die Fernsehbilder vom Flughafen in Kabul in Kopf: verzweifelte Menschen, die versuchen, in eins der rettenden Flugzeuge zu kommen oder sich sogar an das Fahrgestell klammern, und natürlich die Gewaltausbrüche rund um das Gelände. Das war hochdramatisch und hat uns allen vor Augen geführt, was für ein Desaster der Abzug letztlich gewesen ist.

Hat sich für Sie damals sofort die Frage der politischen Verantwortung gestellt oder standen andere Punkte im Vordergrund?

Es ist sicher ein politischer Reflex, in einer solchen Situation Rücktritte zu fordern, aber ich denke, das normale parteipolitische Spiel kann in so einem Fall nicht die Debatte bestimmen. Zumal nicht Deutschland allein betroffen war, sondern etwa auch die Amerikaner. Für mich stand damals wie heute im Mittelpunkt, dass den Menschen dort möglichst schnell geholfen wird, damit sie in Sicherheit gebracht werden. Darum ging es. Aber natürlich habe ich mich auch damals schon gefragt, wie es sein kann, dass die Taliban binnen weniger Tage große Teile Afghanistans überrennen, obwohl alle Lage-Einschätzungen ein anderes Bild gezeichnet hatten.

Diese Frage soll u.a. der Untersuchungsausschuss des Bundestags aufarbeiten, den Sie seit vergangener Woche leiten. Was ist das Ziel?

Auf jeden Fall nicht eine bloße Vergangenheitsbewältigung, sondern auch der Blick nach vorn. Wenn wir Menschen ins Ausland schicken, die dort ihr Leben riskieren, schulden wir ihnen, dass wir sie so gut wie möglich schützen. Das gilt auch nicht nur für Soldatinnen und Soldaten, sondern auch für zivile Kräfte. Deshalb ist es wichtig, herauszufinden, was beim Abzug auf Afghanistan schiefgelaufen ist. Wo gab es Fehleinschätzungen und warum? Wo gab es Fehler in der Kommunikation? Es wird sicher nicht das letzte Mal gewesen sein, dass wir die Bundeswehr ins Ausland schicken. Wir müssen deshalb aus Fehlern lernen und es beim nächsten Mal besser machen.

Zwei der politischen Protagonist*innen, der damalige Außenminister Heiko Maas und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, sind mittlerweile nicht mehr im Amt. Welche Aufklärung können die beiden noch leisten?

Ich gehe fest davon aus, dass die beiden vom Untersuchungsausschuss als Zeugen befragt werden, wie voraussichtlich auch Angela Merkel als die damalige Bundeskanzlerin. Der Kern der Arbeit wird aber nicht darin liegen, dem Minister X oder der Ministerin Y zu sagen, was sie falsch gemacht haben. Wir wollen uns vielmehr mit den Fehlern, die gemacht wurden, auseinandersetzen und aus ihnen lernen.

Sie haben betont, dieser Untersuchungsausschuss sei „kein Kampfinstrument“ unterschiedlicher Fraktionen. Sehen das die anderen Vertreter*innen im Ausschuss genauso?

Das hoffe ich – und zwar deshalb, weil die jetzige Opposition damals Teil der Regierung war und die damalige Opposition nun Teil der Regierung ist. Das erhöht die Chancen, dass wir gut in der Sache werden arbeiten können ohne große Show-Effekte wie es sonst bei Untersuchungsausschüssen manchmal der Fall ist.

In der kommenden Woche soll noch eine Enquete-Kommission unter der Leitung Ihres Kollegen Michael Müller eingerichtet werden, die den gesamten Afghanistan-Einsatz seit 2001 untersucht. Wo sehen Sie Möglichkeiten der Zusammenarbeit?

Zunächst mal sehe ich sehr gute Möglichkeiten der Zusammenarbeit auf der persönlichen Ebene. Michael Müller ist ein höchst erfahrener Politiker und genau der Richtige, eine solche Enquete-Kommission zu leiten, die aus dem Afghanistan-Einsatz Lehren für die Zukunft ziehen soll. Der Vorteil des Untersuchungsausschusses ist sicher, dass er quasi richterliche Befugnisse hat: Wir können z.B. Zeugen laden und anhören, die wahrheitsgemäß aussagen müssen. Die Langzeitperspektive dagegen hilft, Dinge, die jetzt in Afghanistan passieren, besser einzuordnen und bewerten zu können. Was war das Ziel des Einsatzes? Wieso entwickeln sich die Dinge im Afghanistan so wie sie es gerade tun? Als Land, das sich dort zwei Jahrzehnte engagiert hat, können wir nicht einfach weggucken – auch um denjenigen zu helfen, die jetzt noch das Land verlassen wollen.

Lars Klingbeil hat kürzlich ein neues Verhältnis zur Bundeswehr gefordert. Spielt die Arbeit des Untersuchungsausschusses auch dafür eine Rolle?

Ja, ganz sicher. Die Auslandseinsätze der Bundeswehr liegen zurzeit im zweistelligen Bereich. Wenn wir Menschen in den Einsatz schicken, dürfen wir kein distanziertes Verhältnis zu ihnen haben und sie dürfen auch nicht das Gefühl haben, wir würden ihre Bedürfnisse nicht ernst nehmen. Eine Parlamentsarmee braucht die vollständige Unterstützung des Bundestags. Ich denke, auch die Soldatinnen und Soldaten werden die Arbeit des Untersuchungsausschusses genau beobachten.

Auf einen zeitlichen Rahmen des Untersuchungsausschusses wollen Sie sich bisher nicht festlegen. Trotzdem: Bei welchem Ergebnis wären Sie mit der Arbeit des Ausschusses zufrieden?

Wichtig ist schon, dass wir den Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses noch vernünftig im Bundestag diskutieren. Deshalb sollte er nicht erst kurz vor Ende der Legislatur fertig sein. Unsere Arbeit sollte also nicht sehr viel länger als zwei Jahre dauern, sonst stecken wir bereits im Bundestagswahlkampf. Inhaltlich finde ich wichtig, dass wir eine Antwort auf die Frage finden, welchen Auftrag die Bundeswehr in Afghanistan hatte und wie sie ihn erfüllt hat. War es wirklich nur der Kampf gegen den Terror? War es der Wunsch, eine Gesellschaft umzugestalten? Das würde ich gern herausarbeiten, denn wenn wir künftig im Bundestag der Bundeswehr Mandate erteilen, wird es sehr darauf ankommen, sie klar zu formulieren. Auch das gehört zu der von Bundeskanzler Olaf Scholz ausgerufenen Zeitenwende dazu.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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