75 Jahre Grundgesetz: Wo steht unsere Demokratie heute?
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier lädt zu einer Debatte über „Zustand und Zukunft unserer Demokratie“ ein. Deutlich wird: Um die Demokratie zu schützen, braucht es Menschen, die sich aktiv für sie einsetzen – und mehr Dialog.
IMAGO / Metodi Popow
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier war Gastgeber des Debattenforums zu "Zustand und Zukunft unserer Demokratie".
„Geglückt, aber nicht garantiert“ – so hieß es bereits im Titel des Debattenforums, das diese Woche am Donnerstag im Schloss Bellevue stattfindet. Vertreter*innen aus Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft kommen zusammen, um vor dem Hintergrund des 75. Jubiläums des Grundgesetzes über „Zustand und Zukunft unserer Demokratie“ zu diskutieren.
Gastgeber Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier macht in seiner Ansprache gleich zu Beginn deutlich: Die Demokratie müsse „wetterfest“ gemacht werden, es gebe viel zu tun. In Deutschland seien Ängste und Populismus in den vergangenen Jahren erstarkt – nun brauche es eine Allianz der Demokrat*innen, „damit nicht erodiert, was uns ausmacht“, mahnt der Bundespräsident. Aus dem Austausch innerhalb der Veranstaltung – gegliedert in die drei Themenblöcke Repräsentation, Dialog und Partizipation – erhoffe er sich neue Erkenntnisse, sowie Möglichkeiten zum Handeln.
Problem: Wachsende Distanz zur Politik
Verschiedene Aspekte und Standpunkte werden in die Diskussion eingebracht, über die Kernprobleme sind sich die Teilnehmer*innen jedoch einig: Die Demokratie stecke in der Krise, immer weniger Menschen fühlten sich von der Demokratie repräsentiert, die Polarisierung nehme zu, und gerade im digitalen Raum schlagen Wut und Protest oftmals in Hass und Gewalt um.
Insbesondere die wachsende Distanz zwischen Bevölkerung und Politik bereite große Sorgen, sagt Michael Zürn vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Man müsse die Menschen davon überzeugen, dass die Demokratie funktioniere, fordert er. Denn nur so könne man den Trend einer sinkenden Wahlbeteiligung ausbremsen und wieder mehr Menschen dazu motivieren, sich selbst auch aktiv in die Politik einzubringen. „Wir müssen das ‚ihr‘ und ‚wir‘ durchbrechen, und daraus ein ‚uns‘ machen“, ergänzt der SPD-Bundestagsabgeordnete Johann Saathoff.
Politische Beteiligung junger Menschen für die Zukunft sicherstellen
Junge Wähler*innen stellen hier einen besonders komplexen Fall dar. Denn diese müsse man auf andere Art abholen, als die älteren Gruppen, nämlich auch im digitalen Raum, betonte die CDU-Bundestagsabgeordnete Serap Güler. Hier gebe es große Konkurrenz durch die AfD, die derzeit erfolgreicher auf sozialen Medien wie TikTok oder Instagram sei, als alle demokratischen Parteien zusammen. Letztere müssen in Zeiten von Desinformationskampagnen vor allem auf klare Kommunikation setzen, denn der größte Angriff auf die Demokratie finde derzeit online statt, erklärt Güler. „Man darf das Feld nicht den anderen überlassen“, ergänzt sie.
Auch eine mögliche Herabsenkung des Wahlalters auf 16 bei den kommenden Bundestagswahlen wird als ein möglicher Ansatz, mit dem politische Beteiligung sichergestellt werden könnte, diskutiert. Es handele sich hierbei um die politische Grundsatzfrage, wie ernst man junge Menschen nehme, gibt Klimaaktivistin und Autorin Luisa Neubauer zu bedenken. Robert Vehrkamp, Senior Advisor der Bertelsmann Stiftung, ergänzt, dass man so das Thema Wahlen in die Schulen bringen könne. Ein Wahlrecht ab 16 ermögliche es allen Kindern, auch denen aus Nichtwähler-Haushalten, mit demokratischer Teilhabe in Berührung zu kommen, und würde so für mehr Gleichheit sorgen, so Vehrkamp.
Dialog und Begegnungen für mehr Zusammenhalt
Doch auch für den Rest der Gesellschaft brauche es neue Angebote, um der immer stärkeren Polarisierung Einhalt zu gebieten. Denn immer weniger Menschen seien in der Lage, unterschiedliche Meinungen, die von den eigenen abweichen, aushalten zu können, berichten die Diskussionsteilnehmer*innen an verschiedenen Stellen. Um ein solches „Aushalten“ wieder zu lernen, brauche es Begegnungsräume und Dialogformate.
Basierend auf ihren Erfahrungen als Leiterin des Dialogformats „My Country Talks“ bei ZEIT ONLINE, berichtet Hanna Israel, dass solche Konzepte tatsächlich Wirkung zeigen. „My Country Talks“, dessen Ziel es ist, Menschen mit stark unterschiedlichen politischen Meinungen miteinander ins Gespräch zu bringen, sei wissenschaftlich begleitet worden. Die Ergebnisse hätten klar gezeigt: Die affektive Polarisierung, also die automatische Abwertung politisch Andersdenkender, habe abgenommen, und Teilnehmer*innen solcher Gespräche sei es danach leichter gefallen, andere Standpunkte anzuhören und in manchen Fällen sogar nachzuvollziehen. Laut Hanna Israel sei es genau das, was die Gesellschaft brauche: gemeinsame Lebenswelten und Begegnungsräume, in denen die verschiedensten Menschen miteinander diskutieren und einander zuhören. Dialog und Begegnung für mehr Zusammenhalt.
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