Peer Steinbrück: „Helmut Schmidt hielt die Deutschen immer für ein gefährdetes Volk.“
imago images / Sven Simon
Vor kurzem hat die Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung das Buch „Zuhause bei Loki und Helmut Schmidt“ herausgegeben. Sie haben die beiden häufiger in Hamburg-Langenhorn besucht. Was ist Ihnen von dem Haus besonders in Erinnerung geblieben?
Das Haus hat mich bei meinem ersten Besuch überrascht. Kein hochherrschaftliches Anwesen, stattdessen alles sehr solide und bürgerlich – Neue Heimat pur. Ein Haus wie aus dem Lego-Baukasten mit diversen An- und Umbauten. Von Anfang an hatte ich das Gefühl: Hier wohnen die Schmidts und nicht der Bundeskanzler a. D. Die zahllosen Bücher, die Kunst an den Wänden, der Flügel in der Halle, vor allem aber die tausend kleinen Erinnerungsstücke mit einem erkennbaren Hang zum Nippes gaben dem Haus etwas Lebendiges. Und: Die Schmidts mochten klare Linien. Heute wirkt das Haus wie ein Museum für skandinavisches Möbeldesign der 1960er Jahre, und es spiegelt schlicht den Charakter seiner ehemaligen Bewohner wider. Loki und Helmut Schmidt waren nämlich nie prätentiös oder eingebildet – selbstgewiss ja.
Bis zum Ausbruch von Corona wurden regelmäßig Führungen durch das Haus angeboten, die stets innerhalb von Minuten ausgebucht waren. Woher kommt das große Interesse?
Ich denke, das breite Interesse beruht auf der Persönlichkeit von Helmut Schmidt und der Sympathie für Loki. Helmut Schmidt ist nach wie vor die Projektionsfläche vieler Menschen für die Sehnsucht nach einem Politikertypus, der Verantwortungsethos und Führungsbereitschaft vereint.
An diesem Dienstag jährt sich Helmut Schmidts Todestag zum fünften Mal. Was ist aus Ihrer Sicht sein größtes Vermächtnis?
Sein Vermächtnis ist ein Pragmatismus in sittlicher Überzeugung. Man ist nicht nur verantwortlich für das, was man tut, sondern auch für das, was man lässt.
Zum fünften Todestag wollte die Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung in Hamburg eine Ausstellung unter der Überschrift „Schmidt! Demokratie leben“ eröffnen. Wegen der Corona-Bestimmungen musste die Eröffnung verschoben werden. Was wird in der Ausstellung zu sehen sein?
In der Ausstellung in der Hamburger Innenstadt werden einerseits Objekte aus dem Wohnhaus in Langenhorn zu sehen sein. Die Ausstellungsgäste sollen anhand des Lebens und Wirkens Schmidts aber auch Grundlegendes über deutsche und internationale Zeitgeschichte erfahren und darüber, wie diese Geschichte unsere Gegenwart und unsere Zukunft prägt. Helmut Schmidt hatte als Politiker große Herausforderungen zu meistern. Die Fragen, denen er sich gewidmet hat, verweisen jedoch nicht auf die Vergangenheit; sie beschäftigen uns weiterhin: Wie wollen wir unsere Demokratie und unseren Wohlstand auch in Zukunft sichern? Wie sorgen wir für eine gerechte und nachhaltige Wirtschaftsordnung?
Die Demokratie in Deutschland steht nicht erst seit den Vorgängen am Reichstagsgebäude im August unter Druck. Können wir etwas von Helmut Schmidt lernen, wie wir damit umgehen sollten?
Helmut Schmidt hielt die Deutschen immer für ein gefährdetes Volk. Angesichts nationalistischer und völkischer Tendenzen sehen wir, dass sich das trotz unserer historischen Erfahrung leider bewahrheitet. Er hatte die Zivilgesellschaft gemahnt und sie aufgefordert, sich diesen Tendenzen zu widersetzen. Das sollten wir alle beherzigen.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.