Geschichte

Luise Kautsky: Rosa Luxemburgs vergessene beste Freundin

Wie viele andere Frauen durfte Luise Kautsky nicht studieren. Doch in ihrem Haus geht später sozialistische Prominenz aus und ein. So wird die Österreicherin zur wichtigen Biografin einer großen Sozialistin.

von Lothar Pollähne · 13. August 2024
Karl and Luise Kautsky 1920

1890 heiratete Luise Ronsperger Karl Kautsky. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg durch die internationale sozialistische Gemeinschaft. 

„Durch sie verläuft die Mehrheit menschlicher Beziehungen, die die Internationale von gestern mit der heutigen verbindet. Ihre beständige jugendliche Frische, (...)die natürliche Leichtigkeit ihres sozialen Auftretens, ihre dauerhaften, erstaunlichen Bekanntschaften mit Menschen in allen proletarischen Parteien, all dies macht sie zu einem natürlichen Mittelpunkt der Internationale.“ 

Mit diesen Worten beschreibt die österreichische Sozialistin Marianne Pollak am 1. Mai 1928 eine Frau, die in die Geschichte des Sozialismus eingegangen ist, vor allem als Ehefrau und beste Freundin: Luise Kautsky. 

Erfolgreiche und sozialkritische Autorin

Bevor sie den marxistischen Theoretiker Karl Kautsky kennenlernt, ist Luise bereits Sozialistin und im Umfeld der österreichischen (sozialistischen) Partei aktiv. Das liegt an ihrer Bekanntschaft mit Karls Mutter Minna Kautsky. Die sehr erfolgreiche, sozialkritische Autorin ist ständige Kundin in der elterlichen Konditorei, in der Luise nach Abschluss ihrer schulischen Ausbildung als Geschäftsführerin arbeitet. 

„Sie nahm mich nicht nur zu künstlerischen Veranstaltungen aller Art mit, sondern sie war es auch, die mich zuerst in die Versammlungen unserer Partei führte und mir dadurch den Sinn für das politische Leben erschloss“, schreibt Luise 1929 rückblickend über ihre politische Ziehmutter Minna Kautsky. 

Geboren wird sie am 11. August 1864 in Wien als Luise Ronsperger. Das jüdisch assimilierte Elternhaus bietet alle Annehmlichkeiten, die für eine bourgeoise Familie standesgemäß sind. Luise beschreibt ihre häusliche Umgebung als „Paradies auf Erden“. Bereits im Alter von vier Jahren kann sie lesen und entzückt ihre Umwelt mit ihren Leseproben. 

Selbstbewusste und belesene Sozialistin

Die Eltern legen Wert auf eine gründliche Bildung für ihre Kindern, und so kann Luise nach Absolvierung der achtjährigen Volksschule die „Höhere Bildungsschule des Wiener Frauen Erwerb-Vereins“ besuchen, wo sie Französisch, Englisch und Italienisch lernt. Bereits im Alter von 16 Jahren erwirbt sie ihre Matura — aber dann endet ihr Bildungsweg, denn auch in Österreich ist es Frauen nicht gestattet, ein Hochschulstudium aufzunehmen. 

Minna Kautsky ist wohl dafür verantwortlich, dass sich Luise Ronsperger und Karl Kautsky kennenlernen. Der zehn Jahre ältere marxistische Theoretiker hat bereits mehrere Beziehungen und eine Ehe hinter sich, als beide 1890 heiraten und sich danach auf den gemeinsamen Weg durch die internationale sozialistische Gemeinschaft machen. Unmittelbar nach der Heirat ziehen Luise und Karl Kautsky nach Deutschland und lassen sich in Stuttgart nieder, einem der Zentren der linken Sozialdemokratie. 

Fortan arbeitet die selbstbewusste, belesene Sozialistin Luise Kautsky als Sekretärin ihres Mannes, der als Redakteur die sozialdemokratische Theoriezeitschrift „Neue Zeit“ verantwortet. „Sekretärin“ ist maßlos untertrieben, denn kein Schriftstück von Karl Kautsky geht in Druck oder in die Korrespondenz, das nicht von Luise gegengelesen und für gut befunden wird. 

Luise Kautsky und Rosa Luxemburg

Hochachtungsvoll wird sie in jener Zeit auch als Kautskys „Außenministerin“ bezeichnet. Diese Zuschreibung trifft auch auf den Familienmenschen Luise Kautsky zu. 1897 ziehen die Kaustkys nach Berlin und ihr Haus wird zum Anlaufpunkt für die europäische sozialistische Prominenz. Luise Kautsky wird zum gesellschaftlichen Mittelpunkt, denn sie sorgt für die Kommunikation mit den ausländischen Gästen und pflegt die dauerhafte Korrespondenz. 

1899 stößt eine junge Frau zu diesem erlesenen Zirkel, mit der Luise Kautsky alsbald eine innige Beziehung eingeht: Rosa Luxemburg. Dabei ist die erste Begegnung alles andere als freundlich. Rosa bezeichnet die „Frau mit der Schürze“ als „eine dumme Pute, eine Kuh!“ Das Urteil muss Rosa alsbald revidieren. Luise Kautsky wird zum lebenspraktischen, politisch realistischen Korrektiv für den revolutionären Feuerkopf Rosa Luxemburg. Die Freundschaft überdauert auch Rosas Zerwürfnis mit Karl Kautsky, der nicht von der Sachnotwendigkeit der proletarischen Revolution überzeugt ist. 

Als Rosa Luxemburg 1916 inhaftiert wird, beginnt sie einen ausgiebigen Briefwechsel mit Luise Kautsky, den diese 1923 zusammen mit früheren Briefen veröffentlicht. Die „Briefe an Karl und Luise Kautsky“ tragen maßgeblich zur Korrektur des kommunistisch geprägten, ikonischen Bildes Rosa Luxemburgs bei. Nach deren Ermordung am 15. Januar 1919 schreibt Luise Kautsky: „Einem Feuerbrand gleich hat sie in Millionen Herzen Licht und Wärme getragen und den Funken der Begeisterung geweckt — einem Feuerbrand gleich ist sie erloschen, doch in Millionen Herzen glüht der Funke weiter, den sie entfachte.“ 1929 veröffentlicht Luise Kautsky „Rosa Luxemburg. Ein Gedenkbuch“, das als erste Biografie der großen Sozialistin gilt.

Tod in Auschwitz

Nach einer kurzen Phase als Stadtverordnete in Charlottenburg und Groß-Berlin wendet sich Luise Kautsky der eigenen schriftstellerischen Tätigkeit zu. Sie verfasst Porträts von sozialistischen Männern und Frauen und übersetzt frühe Schriften von Karl Marx und Friedrich Engels aus dem Englischen und Französischen. 1924 ziehen die Kautskys wieder nach Wien, nicht zuletzt, weil sie sich in der deutschen Sozialdemokratie nicht mehr heimisch fühlen. Von dort aus berichtet sie für englische Labour-Zeitungen über das „sozialistische Wien“ und seine sozialen Errungenschaften im Wohnungsbau.

Nachdem Adolf Hitler das weitgehend gefällige Österreich im März 1938 „heim ins Reich“ geholt hat, flüchten Luise und Karl Kautsky nach Amsterdam. Karl Kautsky stirbt dort am 17. Oktober des Jahres. Als Nazi-Deutschland in den Niederlanden einmarschiert, will die Labour-Party Luise Kautskys Ausreise nach England organisieren, doch sie lehnt ab. Ihr jüngster Sohn Benedikt ist im KZ Buchenwald inhaftiert und sie fürchtet, von England aus den Kontakt zu verlieren. 

Kurz nach ihrem 80. Geburtstag wird Luise Kautsky nach Auschwitz deportiert. Dass sie ihrem Sohn Benedikt wieder nahe sein würde, der mittlerweile ebenfalls in Auschwitz inhaftiert ist, kann sie nicht ahnen. Freundliche Ärztinnen und Pflegerinnen können jedoch einen Zettelkontakt organisieren und damit ein wenig Menschlichkeit in die letzten Tage von Luise Kautsky bringen. Sie stirbt Anfang Dezember 1944 — wenige Wochen vor der Befreiung von Auschwitz durch die „Rote Armee“.

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Lothar Pollähne

ist Journalist und stellvertretender Bezirksbürgermeister in Hannover.

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