Geschichte

Friedliche Revolution in der DDR: Der lange Weg zur Wiedervereinigung

Vor 30 Jahren erkämpften die Menschen in der DDR freie Wahlen. Ein Jahr später, am 3. Oktober 1990, kam es zur Wiedervereinigung. Eine wesentliche Rolle spielt dabei die Ost-SPD – eine Motivation auch für die anstehenden Landtagswahlen.
von Lothar Tautz · 4. März 2019
Demonstration in Ost-Berlin im November 1989: Die SDP hatte großen Anteil an der Politisierung der Zivilgesellschaft in der DDR.
Demonstration in Ost-Berlin im November 1989: Die SDP hatte großen Anteil an der Politisierung der Zivilgesellschaft in der DDR.

Vernunft und Verstand sind in der Welt rare Artikel geworden, sogar ihre Nützlichkeit wird infrage gestellt. Da tun wir jungen alten Europäer gut daran, mit aller Kraft dagegen zu halten, wenn unsere Insel von Recht und Gerechtigkeit nicht als Nebenprodukt des Klimawandels untergehen soll. Besonders wir Deutschen wissen heute, dass kollektive Erinnerung helfen kann, Niederlagen zu verkraften, schlimme Fehler nicht zu wiederholen und Wege in eine lebenswerte Zukunft zu finden. 2019 ist so ein Erinnerungsjahr, in dem der Blick in die Vergangenheit die Gegenwart verstehen hilft und uns die Augen dafür öffnen kann, was als Nächstes zu tun ist.

Zuerst lohnt es sich, 100 Jahre zurück auf das Jahr 1919 zu blicken: Eine revolutionäre Zeit, in der die deutsche Demokratie nach langem Kampf (seit 1848) und nach heftigen Wehen (seit 1918) das Licht der Welt erblickte, durchaus mit Geburtsfehlern behaftet. Als aber die Nationalversammlung am 19. Juli 1919 mit den Stimmen der sozialdemokratischen Mehrheitsfraktion die Weimarer Verfassung beschloss, war der Weg zur Demokratisierung Deutschlands offen. Nur, dass keiner der Weimarer Republik eine Bestandsgarantie in die Wiege gelegt hat: Durch das halbherzige Vorgehen der Demokraten gegen deren Gegner in Adel und Großkapital und ihre Unfähigkeit, Kompromisse zu schließen, hatten die Nazis 1933 ein leichtes Spiel, diesem ersten Versuch eine Demokratie aufzubauen, den Garaus zu machen. Das Ende kennen wir.

Die SPD und das Grundgesetz

Die beiden neuen Anläufe nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs waren ein Geschenk und eine Revolution: Geschenk 1949 in den drei westlichen Besatzungszonen und – mit reichlicher Verspätung – die Revolution 1989 in der DDR. Wobei deutlich hervorgehoben werden darf, dass die Mütter und Väter des Grundgesetzes sich bei der Erarbeitung desselben nichts geschenkt haben, bis es denn – wieder mit wesentlicher Beteiligung der Sozialdemokraten – am 23. Mai 1949 beschlossen wurde. Und dass die anschließende Aufbauleistung der Westdeutschen gar nicht hoch genug geschätzt werden kann. Nicht nur wegen des „Wirtschaftswunders“, sondern genauso wegen der „Bonner Republik“ insgesamt, deren zivilgesellschaftlicher Wert vielen von uns, wie so manchmal in der Geschichte, erst im Nachhinein bewusst geworden ist.

Der „Spiegel“ hat kürzlich mit Blick auf die Novemberrevolution 1918 gefragt: „Warum die Deutschen so oft scheitern“. Wenn sich die Historiker in einem einig sind, dann darin, dass die Revolution 1989 in der DDR erfolgreich war. Und zwar in zweierlei Hinsicht: Sie war friedlich und sie hat zur Demokratisierung der „Diktatur des Proletariats“ geführt.

Die Rolle der Ost-SPD

Und das war keine Selbstverständlichkeit: Schließlich stand einer kleinen Zahl an Friedens- und Umweltgruppen, versammelt unter dem Dach der Kirche, ein waffenstarrendes System von Polizei, Staatssicherheit, Kampfgruppen und Volksarmee gegenüber. Dialog nicht möglich – so schien es. Bis sich die bisher (öffentlich) schweigende Mehrheit der DDR-Bevölkerung Schritt für Schritt unter ebendieses Dach traute. Und anschließend auf die Straße, mit machtvollen Demonstrationen, denen die Staatsmacht nichts mehr entgegenzusetzen hatte.

Die Politisierung der Zivilgesellschaft der DDR begann, spätestens seit dem Sommer 1989, mit wesentlicher Beteiligung von ostdeutschen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, die ihre Partei – die SDP – am 7. Oktober unter dem Verdikt des Verbotes überhaupt erst wieder neu gründen mussten. Sie waren die maßgeblichen Akteure, als nach dem Mauerfall an den „Runden Tischen“ Gerechtigkeit hergestellt, freie Wahlen organisiert und die Einheit Deutschlands in den Grenzen von 1945 vorbereitet wurde.

Sicher ist der Weg der Sozialdemokratie von 1919 bis 1989 keine lupenreine Erfolgsgeschichte. Wir sind eine Partei, also eine Interessengemeinschaft von Menschen, die – oft unter Einsatz ihrer Freiheit und ihres Lebens – für die Demokratie einstehen. Und dabei Fehler machen. Heute sind Freiheit und Leben nicht mehr gefährdet, das ist unser Erfolg. Und es braucht keine Revolution, sondern unseren Einsatz für die kommenden Wahlen. Erfolgreich werden wir sein, wenn wir erhobenen Hauptes in die Wahlkämpfe gehen, selbstkritisch, friedlich und mit Verstand.

Autor*in
Lothar Tautz

(geb. 1950 in Erfurt) war 1989 Jugendpfarrer in Weißenfels und Mitgründer der SDP. Er ist Mitglied des Geschichtsforums der SPD und der AG ehemals verfolgter und inhaftierter Sozialdemokraten.

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