Geschichte

75 Jahre Bundestag: Wie Peter Struck Altkanzler Kohl aufs Glatteis führte

Eigentlich sollte es um den Bundeshaushalt gehen. Doch mit seiner Rede führt der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck Altkanzler Kohl dessen Verstrickungen in die CDU-Spendenaffäre vor Augen. Es ist der Anfang vom Ende dessen politischer Karriere. 

von Norbert Bicher · 11. Juni 2024
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Prickelnd ist es nicht, was der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck in dieser „Elefantenrunde“, in der Debatte über den Kanzlerhaushalt am 24. November 1999 zu verkaufen hat. Das erste rot-grüne-Jahr nach dem berauschenden SPD-Wahlsieg von 1998 lässt sich schwer als Erfolgsmodell verkaufen: Verlust der Mehrheit in Hessen gleich zu Beginn des Jahres, der Rücktritt Oskar Lafontaines als Parteivorsitzender und Finanzminister im März, ein Dämpfer bei den Europawahlen,  trotz des Sieges herbe Verluste bei den brandenburgischen Landtagswahlen im September und am gleichen Tag eine krachende Niederlage und der Machtverlust für Ministerpräsident Reinhard Klimmt im Saarland.

„Gnadenloser Populismus“ von Union und PDS

Peter Struck setzt diesen Minuspunkten in seiner Rede tapfer entgegen, was die Koalition bereits auf den Weg gebracht hat und was sie für die Bürger plant. Euphorisch klingt das nicht. Ein wenig lustlos schildert er die einzelnen Politikfelder. Der Beifall der Koalitionsfraktionen ist verhalten. Attacken auf die verfehlte Finanzpolitik des Ex-CSU-Ministers Theo Waigel sollen die Stimmung heben, ebenso wie Angriffe auf den „gnadenlosen Populismus“, mit der Union und PDS Milliardenforderungen stellen, ohne Deckungsvorschläge im Haushalt zu liefern. CDU/CSU und PDS vereint darin, „den Menschen etwas zu versprechen, ohne ihnen zu sagen, wie es bezahlt werden soll“.

„Diese Art der Moral ist nicht unsere Moral“ – als habe er sich selbst das Stichwort geliefert, um thematisch in Fahrt zu kommen. „Weil ich schon einmal beim Thema Moral bin“, fährt Struck fort und Theo Waigel scheint zu ahnen, was kommt, als er einwirft: „Eine ziemlich scharfe Rede.“ Unbeeindruckt fährt der Fraktionsvorsitzende fort: „Es gibt offenbar eine ganz besondere Moral bei Ihnen…“. Und unversehens ist er dort, wo er während der ganzen Rede hinwollte: beim CDU-Spendenskandal, der in den vorherigen Wochen immer mehr in den Schlagzeilen landete.

„Erklären Sie diese Aussage, Herr Kollege Kohl!“

Der CDU-Schatzmeister Walther Leisler Kiep hatte öffentlich über eine Spende von einer Million DM an seine Partei gesprochen.  Von der der ehemalige Bundeskanzler und CDU-Vorsitzende aber ebenso öffentlich behauptete, es gebe sie nicht. Diesen Widerspruch „müssen Sie einmal erklären, Herr Kollege Kohl“, geht Struck den Altkanzler direkt an, und schiebt nach: „Ich wäre Ihnen auch sehr dankbar, wenn Sie gleich darstellen könnten, wie Sie zu der Äußerung von Leisler Kiep stehen, die wichtigsten Gremien der CDU seien stets über die Parteifinanzen informiert gewesen, als Schatzmeister sei er lediglich für die Geldbeschaffung zuständig gewesen; über die Verwendung von Geld entscheide die Partei. Erklären Sie diese Aussage, Herr Kollege Kohl, nachdem Sie öffentlich das Gegenteil behauptet haben.“

Und dann geht er den „Kollegen Kohl“ noch einmal an. Er habe es nicht für möglich gehalten, dass nach der Flick-Affäre in den 80er Jahren „offenbar so weitergemacht worden ist wie vorher, mit schwarzen Konten und Treuhandanderkonten gearbeitet wird und Verstöße gegen das Parteiengesetz leichtfertig eingegangen worden sind. Ich kann das nicht akzeptieren. Wir werden das aufklären, und Sie Herr Kollege Kohl sollten aus eigenem Interesse dazu beitragen.“

Kohls Erfahrung als Zeuge im Untersuchungsausschuss

Die intensive Ansprache hat Kohl provoziert. Er meldet sich zu einer Zwischenfrage, die Struck „selbstverständlich“ erlaubt und fordert von dem SPD-Fraktionsvorsitzenden, dass sich der von SPD und Grünen geforderte und von der FDP unterstützte Untersuchungsausschuss unverzüglich eingesetzt und er noch vor Weihnachten die Chance erhält, dort auszusagen. Süffisant entgegnet Struck:  Der Ausschuss werde in der nächsten Woche konstituiert, dann könne der „Kollege Kohl“ dort die Antworten geben, die er jetzt im Plenum nicht zu geben bereit sei. Und anspielend auf den Flick-Untersuchungsausschuss der 80er Jahre und Kohls Rolle dort fügt er hinzu: „Sie haben ja Erfahrung als Zeuge in einem Untersuchungsausschuss“. 

Die Zwischenrufe der Union werden wütender. „Einen Menschen in der Ehre zu treffen das ist die Absicht“, ereifert sich die hessische CDU-Abgeordnete Hannelore Rönsch. Noch hat Kohl Rückhalt in seiner Partei, noch scharen sie sich um ihn, noch wollen sie das Ausmaß der neuen Spendenaffäre, dass die CDU in eine tiefe Krise stürzen wird, nicht wahrhaben.

Aber es ist nur ein letztes Aufbäumen. Peter Struck hat den Altkanzler aufs Glatteis geführt. Dessen spätere Version, anonyme Spender hätten ihm und der CDU das Geld zukommen lassen, nehmen ihm selbst engste Wegbegleiter nicht mehr ab. Der Sturz ist nicht aufzuhalten. Im Januar 2000 ist er so angeschlagen, dass er den Titel „Ehrenvorsitzender der CDU“ abgibt, abgeben muss.

Strucks provokante Fragen an jenem 19. November beschleunigten den Ehrverlust und Niedergang des langjährigen Bundeskanzlers Helmut Kohl.   

 

Zur Serie: Im September 1949 trat der Bundestag erstmals zusammen. In einer neuen Serie beleuchten wir Reden aus acht Jahrzehnten.

Autor*in
Norbert Bicher

arbeitete in den 1980er und 1990er Jahren frei für den „Vorwärts". Danach war er Parlamentskorrespondent, Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und des Verteidigungs­ministeriums.

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1 Kommentar

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Di., 11.06.2024 - 18:23

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Er mag ja seine Verdienste haben, aber für mich sind seine Worte von der Verteidigung Deutschlands am Hindukusch unvergessen. Was hat das gebracht außer toten Menschen und hohen Kosten ?
Nachdenken (wenn das möglich ist) ist angesagt !!!!!