Debatte

Umverteilung: Wo der Staat für mehr Gerechtigkeit sorgen muss

Sinnvolle Umverteilung ist notwendig, sagt Ökonom Sebastian Dullien – und widerspricht dem Ruf Michael Hüthers nach mehr Leistungsgerechtigkeit. Wenn die Einkommens- und Vermögensverteilung so auseinanderreiße, müsse der Staat stärker eingreifen, fordert Dullien.
von Sebastian Dullien · 29. Juli 2016
Der Ökonom Sebastian Dullien hält eine sinnvolle Umverteilung für notwendig, wenn die Einkommens- und Vermögensverteilung immer weiter auseinanderreißt.
Der Ökonom Sebastian Dullien hält eine sinnvolle Umverteilung für notwendig, wenn die Einkommens- und Vermögensverteilung immer weiter auseinanderreißt.

In seinem jüngsten Beitrag zur Verteilungsdebatte vertritt der Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, den Standpunkt, dass in Deutschland derzeit keine weiteren Maßnahmen zur Umverteilung notwendig seien. Der Abbau der Arbeitslosigkeit über die vergangenen Jahre sei ein großer Erfolg, jetzt sei Nachsteuerung bestenfalls noch bei unfreiwilliger Teilzeit und frühkindlicher Bildung gefragt. Alle weiterführenden Eingriffe in das Verteilungsergebnis seien ein Schritt zurück in die 1970er Jahre und würden individuell Freiheiten und Leistungsgerechtigkeit beschädigen.

Ungleichheit massiv verschärft

Überzeugend ist diese Argumentation nicht. So wichtig der Abbau der Arbeitslosigkeit zur Begrenzung von sozialer Ausgrenzung ist  – Hüther irrt, dass ausreichend Jobs und Beschäftigung schon eine hinreichende Bedingung für eine gerechte und inklusive Gesellschaft sind. Schlecht bezahlte Jobs mögen besser sein als Arbeitslosigkeit ohne Einkommen, helfen aber nicht den wirtschaftlichen Existenzdruck von den Menschen zu nehmen. Dies ist umso dramatischer, wenn es aus vielen dieser schlechten Jobs keine echten Aufstiegschancen gibt, wie es derzeit oft der Fall zu sein scheint. Echte „Freiheit“ sieht anders aus.

Auffällig ist, dass Hüther das massive Aufreißen der gesellschaftlichen Schere in den vergangenen Jahren ganz einfach ignoriert. Ungewöhnlich für Aufschwungsphasen im historischen Vergleich ist, dass in Deutschland in den vergangenen Jahren die Ungleichheit massiv zugenommen hat, obwohl die Arbeitslosigkeit gefallen ist. Nach Zahlen der EU-Kommission waren 2014 (aktuellere Daten gibt es nicht) in Deutschland 16,5 Millionen Menschen von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht, 1,5 Millionen mehr als 2005. Selbst gegenüber dem Krisenjahr 2008 ist die Zahl damit um 163.000 gestiegen – obwohl sich die Europäische Kommission und die EU-Staaten das Ziel gesetzt haben, die Zahl der Armutsgefährdeten in Europa bis 2020 massiv zu senken. Auch der gerne für die Messung von Ungleichheit beobachtete Gini-Index oder das Verhältnis der Einkommen der oberen 20 Prozent zu den unteren 20 Prozent zeigen an: Ungleichheit in Deutschland hat sich massiv verschärft.

Wo der Staat eingreifen muss

Wenn die Einkommens- und Vermögensverteilung so auseinanderreißt, dann muss der Staat stärker eingreifen. Instrumente gibt es genug: Die Bundesregierung kann mit Allgemeinverbindlichkeitserklärungen die Abdeckung von Tarifverträgen erhöhen. Bei der Erbschaftssteuer könnte man die Steuersätze erhöhen und die jüngst beschlossene übertriebene Schonung von Unternehmenserben korrigieren. Bei der Einkommensteuer ist Luft für eine Steuerreform, die die Mittelschicht entlastet und dafür einen spürbar höheren Spitzensteuersatz von den Reichen einfordert (der allerdings auch später einsetzt). Öffentlicher Wohnungsbau in Ballungsgebieten mit starken Mietpreisanstiegen kann die verfügbaren Einkommen der breiten Bevölkerung steigern.

Was ist mit Hüthers Argument, dass weitere Umverteilungsmaßnahmen „Leistungsgerechtigkeit“ gefährden? Hier drängt sich der Eindruck auf, dass ein positiv besetzter Begriff der „Leistungsgerechtigkeit“ als Verbalkeule gegen sinnvolle Umverteilung eingesetzt wird. Was ist denn hier die Leistung, die gerecht vergütet werden soll? Deutsche Manager verdienen heute ein Vielfaches ihrer Vorgänger von vor 20 oder 30 Jahren und oftmals mehr als das Hundertfache der Einkommen einfacher Arbeiter in ihrem Unternehmen. Es ist nicht zu erkennen, dass heutige deutsche Manager so viel mehr „leisten“ als ihre Vorgänger. Es ist natürlich etwas polemisch zu fragen, was an den Jahresbezügen des früheren VWL-Managers Martin Winterkorn (der wegen der Diesel-Affäre gehen musste) im zweistelligen Millionenbereich „leistungsgerecht“ sein soll, aber die Frage drängt sich auch für die Massen deutscher Manager auf, die am Ende lediglich mittelmäßige Ergebnisse für ihre Unternehmen einfahren.

Deutschland ist bei vielen Verteilungsindikatoren längst schlechter als andere europäische Staaten wie Österreich, Schweden, Frankreich oder die Tschechische Republik. Wer in dieser Debatte einzig mit Begriffen wie „Rückkehr in die 1970er Jahre“, „Leistungsgerechtigkeit“ und „Freiheit“ argumentiert, trägt nicht zur rationalen Diskussion bei, sondern wirft Nebelkerzen.

Autor*in
Sebastian Dullien

ist Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.

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