Debatte

Kevin Kühnert: „Jugend macht nicht immun gegen rechts"

Die SPD steht nach der Europawahl vor der Herausforderung, sich mehr auf junge Wählerinnen und Wähler zu konzentrieren. Der Generalsekretär spricht über den Wert von Kompromissen.
 

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert spricht über die Herausforderungen durch junge Wählerinnen und Wähler.

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert spricht über die Herausforderungen durch junge Wählerinnen und Wähler.

Bei der Europawahl haben viele der 16- bis 24-jährigen Deutschen den etablierten Parteien den Rücken gekehrt und stattdessen Kleinstparteien ihre Stimme gegeben. Woran liegt das?

Ein Grund ist sicher, dass es bei der Europawahl keine Prozenthürde gibt wie bei der Bundestagswahl. Die Gefahr, dass die eigene Stimme bei den kleinen Parteien „verschenkt“ wird, ist also deutlich geringer. Andererseits haben die eta­blierten Parteien nicht genug Konturen geboten, um für junge Wähler*innen attraktiv zu sein. Viele haben in diesem Wahlkampf die Visionen vermisst. Kleinstparteien können einfacher deutlich machen, wofür sie stehen, weil sie häufig Ein-Themen-Parteien sind. Da weiß man als Wähler recht genau, wofür man wählt, auch wenn es nur sehr wenig ist. Als Volkspartei sucht die SPD dagegen stets auch nach dem Ausgleich von Interessen. Das ist mühsam, aber zwingend notwendig. Denn ohne dieses Bestreben würde die Arbeit im Europaparlament mit mehr als 200 Parteien und Gruppen nicht funktionieren.

Bei der Bundestagswahl hatten die Ampelparteien bei den Jungen noch deutlich vorn gelegen. Nun ­waren es CDU und AfD. Wurden die Erwartungen der jungen Menschen enttäuscht?

Bei Halbzeitwahlen wie jetzt der Europawahl sind die Oppositionsparteien häufig im Vorteil, weil sie nicht mit schwierigen Entscheidungen der vergangenen Monate verbunden werden. Aber: Die CDU lag bei den jungen Wähler*innen deutlich unter ihrem Gesamtergebnis. Die AfD hat bei den Erstwähler*innen deutlich schlechter abgeschnitten, als vor der Wahl befürchtet. Das Ergebnis zeigt, dass junge Menschen, was die AfD angeht, nicht anders ticken als die Gesellschaft insgesamt. Die Mär von der rechten Jugend lässt sich nicht halten.

Trotzdem hatten gerade junge ­Menschen große Hoffnungen in die Fortschrittskoalition aus SPD, Grünen und FDP gesetzt.

Das war und ist auch richtig. Und die Fortschrittsthemen, die diese Regierung anpackt, bleiben auch notwendig. Der Fokus der jungen Menschen hat sich aber verschoben. Sie haben in den vergangenen Jahren so viele Krisen erlebt – erst Corona, dann den Krieg in der Ukraine mit allen innenpolitischen Konsequenzen –, dass sie sich nach Sicherheit und Unbeschwertheit sehnen. Wirtschaftliche Themen gewinnen für sie gegenüber gesellschaftspolitischen zunehmend an Bedeutung. Und hier überwiegen die Sorgen für viele derzeit noch die Erfolge.

Kevin 
Kühnert, 
SPD-General-
sekretär

„Ich ­ermutige alle in der SPD, sich am Kampf um die Deutungs­hoheit in den ­sozialen Medien zu ­beteiligen."

Wie kann Politik jungen Menschen diese Sicherheit zurückgeben?

Egal, in welche Studie man blickt: Junge Menschen beschreiben ihre ganz persönliche Lebenssituation überwiegend als gut. Pessimistisch sind sie aber, was die Gesellschaft und die Zukunft angeht. Es gibt eine große Diskrepanz zwischen der eigenen und der Gemeinschaftsperspektive. Das liegt für mich daran, dass junge Menschen den Staat in den vergangenen Jahren nur als reagierend wahrgenommen haben und die Politik als getrieben. Es hat sich bei ihnen eine Skepsis eingebrannt, ob der Staat bei den großen Herausforderungen noch am längeren Hebel sitzt. Entscheidend ist also, dass die Politik wieder vor die Welle kommt und Handlungsfähigkeit beweist.

Laut aktueller Sinus-Studie trauen viele junge Menschen den politisch Verant­wortlichen nicht zu, die aktuellen Probleme zu lösen. Alarmiert Sie das?

Ich denke, es ist wichtig, ein realistisches Bild von Politik zu zeichnen. Am Ende geht es um eine Kultur des Kompromisses. Meine Botschaft an die junge Generation ist deshalb: Habt Überzeugungen, habt Ideale, aber seid euch dessen bewusst, dass wir in der Demokratie am Ende Kompromisse finden müssen. Ich verstehe, dass das manchmal frustriert, aber nur so kann Politik in vielfältigen Gesellschaften gelingen. Gleichzeitig wünsche ich mir von fortschrittlichen Kräften und damit auch von unserer SPD mehr Emotionen beim Ringen um diese Kompromisse. Denn gute Kompromisse brauchen neben einem technischen Kern immer auch eine Schale aus Emotionen.

Noch mal zurück zur AfD. Bei der Europawahl hat die AfD bei den Jungwähler*innen die meisten Stimmen dazugewonnen. Wie erklären Sie sich das?

Jugend macht nicht immun gegen rechts. Das Ergebnis der AfD unter den Jungwähler*innen spiegelt aus meiner Sicht die Situation in der gesamten Gesellschaft wider. Wo rechtes und menschenfeindliches Gedankengut vermehrt auftaucht, hat es auch Wirkung auf die junge Generation. Und wo die AfD insgesamt stärker ist, da ist sie auch bei jungen Leuten stärker. 


Welche Rolle kann Bildung spielen, um das – wenn wir im Bild bleiben – politische Immunsystem zu stärken?

Eine wichtige. Entscheidend ist aber, dass sie nicht im Sinne eines Bekenntnisunterrichts daherkommt, die den jungen Menschen sagt, wie doof die AfD ist. Wenn das Vertrauen junger Menschen in die Handlungsfähigkeit von Demokratie und Staat fehlt, dann ist es umso wichtiger, dass Schule ein Ort ist, an dem man Demokratie effektiv bei der Arbeit erlebt. Demokratie erlernt man am besten, indem man einen demokratischen Alltag erlebt – in der Schülervertretung, im Sportverein oder im Betrieb. So entsteht ein demokratisches Fundament, auf dem sich dann im Großen aufbauen lässt. So verstehe ich Demokratie-Bildung.

Expert*innen kritisieren, die anderen ­Parteien hätten der AfD mit TikTok ein wichtiges Medium der Jugend überlassen. Hat die SPD da geschlafen?

Für mich ist die Frage der sozialen Medien nur ein Teil der Erklärung. Natürlich nutzen junge Menschen stärker Plattformen wie TikTok oder Instagram als ältere, aber daraus entsteht ja längst noch keine gemeinsame Position oder Haltung. Deshalb kann auch die bloße Präsenz der AfD auf TikTok kein Argument dafür sein, dass sie von jungen Menschen gewählt wird. Aber natürlich machen sich junge Menschen auch in den sozialen Medien ein Bild davon, welche Partei sie als auf der Höhe der Zeit wahrnehmen. Da haben die SPD und auch andere Parteien einige Zeit lang nicht den Eindruck vermittelt, dass wir das wirklich durchdringen. Das ändert sich zum Glück rapide. Und ich ermutige alle in der SPD, sich am Kampf um die Deutungshoheit in den sozialen Medien zu beteiligen. Denn die SPD im Netz, das sind nicht nur die offiziellen Kanäle des Willy-Brandt-Hauses, sondern das müssen letztlich auch Hunderttausende Mitglieder sein, die authentisch Stellung beziehen. 

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3 Kommentare

Gespeichert von max freitag (nicht überprüft) am Fr., 16.08.2024 - 13:53

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Alten und die Migranten, da ist schon von der menge her mehr Stimmpotential vorhanden als bei den Jungen. Die Jungen sind im Übrigen inkludiert, wenn wir uns den Migranten zuwenden- da liegt die Zukunft, und einstweilen auch noch bei den Rentnern

Gespeichert von Uwe Schulze (nicht überprüft) am Di., 20.08.2024 - 19:10

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Das Problem sind nicht nur die „jungen“ Menschen, sondern auch die Älteren und insbesondere diejenigen mit Erfahrung.

Hinzu kommt die geballte Ladung von Sofa-Influencern, die offensichtlich der Meinung sind, man könne die AfD vom Sofa aus mit bunten Bildern bekämpfen. Ein „Daumen hoch“ bedeutet für diese Leute, dass sie sich als Widerstand gegen die AfD verstehen. Aufklärende Beiträge werden meist nach dem dritten Satz abgebrochen; der Rest entspringt oft der Fantasie.

Wir wissen seit zehn Jahren, wohin die Reise der AfD führen soll, aber besonders die demokratischen Parteien verschließen sich davor. Immer wieder hört man aus den Reihen der Politik, dass man sich der AfD inhaltlich stellen will und werde. Die Frage ist jedoch: Wie lange will man dieses Spielchen noch treiben? Waren 10 Jahre Diskussion noch nicht genug? Was ist das Ziel, die AfD bewusstlos zu diskutieren?

Für viele Bürgerinnen und Bürger gibt es nur eine Alternative: ein AfD-Verbot.

Vor einem Jahr warnte ich davor, dass die Politikerinnen und Politiker der demokratischen Parteien ihre Mandate und Funktionen verlieren werden, sollten sie nicht konsequent handeln. Heute sind wir an diesem Punkt angelangt, und noch immer eiern die demokratischen Politikerinnen und Politiker herum. Schlimmer noch, sie würden Bündnisse mit Parteien eingehen, die nicht weniger problematisch als die AfD sind.

Sarah Wagenknecht schwadroniert mit Phrasen wie:“ Man muss dem Willen der Bürger Rechnung tragen“, vergisst aber dabei, das auch sie den Willen der Bürger ignoriert.

Falls von Interesse:

Vor fünf Jahren habe ich mit meiner Petition (https://www.change.org/AfD-Verbot-Jetzt) bereits ein AfD-Verbot gefordert. Im Petitionstext sowie auf unserer Webseite (https://www.afdexit.de) gibt es Berge von Gründen und Fakten, warum die AfD verboten werden muss.

Vor zehn Jahren habe ich selbst im Wahlkampf gestanden, und die damals recht frisch gegründete AfD hat bereits ihr wahres Gesicht gezeigt. Es war und ist nicht die junge Generation, die nicht aktiv genug war oder ist; es sind die mittelalten Politikerinnen und Politiker, die nicht verstehen, dass ihre eigenen Mandate diesmal auf dem Spiel stehen und ihre Funktionen und Posten von Rechtsextremen übernommen werden könnten.

Gerade die SPD hat sich im letzten Jahr gerne in der Öffentlichkeit gegen die AfD positioniert, weigert sich jedoch strikt, konsequent gegen die AfD mitzuwirken. Und so verhalten sich die meisten demokratischen Parteien. Deren Lösung besteht weiterhin in inhaltlicher Diskussion oder dem Eingehen von fragwürdigen Koalitionen.

Merke: Die Demokratie ist nur so stark, wie die Bereitschaft der Menschen, sich für sie einzusetzen und zu kämpfen.
-Uwe-

"Immer wieder hört man aus den Reihen der Politik, dass man sich der AfD inhaltlich stellen will und werde."

Offensichtlich kann man die AfD nicht inhaltlich stellen, da sie in vielen Punkten einfach recht hat. Das könnte man auch einfach mal anerkennen und seine eigene Politik überdenken. Sonst bleibt nur der Versuch über ein Verbot den lästigen Konkurrenten loszuwerden, was aber vermutlich genauso scheitern wird wie die anderen hilflosen Versuche bisher.