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Verdachtsfall: Warum die AfD jetzt beobachtet werden darf

Der Verfassungsschutz darf die AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall einstufen. Das hat das Verwaltungsgericht Köln jetzt entschieden.
von Christian Rath · 9. März 2022
Der Verfassungsschutz darf die AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall einstufen.
Der Verfassungsschutz darf die AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall einstufen.

Wegen des großen öffentlichen Interesses und wegen Corona fand die lange erwartete Verhandlung im gediegen-eleganten Kristallsaal der Kölner Messe statt. AfD-Chef Timo Chrupalla war persönlich gekommen, um seine Partei zu verteidigen.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hatte in den vergangenen zwei Jahren auf mehr als tausend Seiten aufgelistet, warum es „tatsächliche Anhaltspunkte“ sieht, dass die AfD rechtsextremistisch ist. In der rund zehnstündigen Verhandlung argumentierte BfV-Anwalt Wolfgang Roth, dass der „Flügel“ ein ethnisch homogenes deutsches Volk anstrebe, das Migrant*innen und eingebürgerten Deutschen von vornherein die Zugehörigkeit verwehre. „Das verstößt gegen die Menschenwürde“, erklärte Roth und berief sich auf das NPD-Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Wie Rechtextremist*innen sprächen AfD-Politiker*innen vom drohenden „Volkstod“ oder einer geplanten „Umvolkung“.

Meuthen als Kronzeuge

Auch die Islamfeindschft der AfD sei extremistisch. Der Islam werde nicht sachlich kritisiert, sondern generell abgelehnt. Ohne Differenzierung werde ihm der Terrorismus à la IS und Al Qaida zugerechnet. Der jüngst ausgetretene langjährige AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen wurde vom Verfassungsschutz immer wieder als Kronzeuge für den wachsenden Einfluss des radikalen „Flügels“ in der AfD angeführt. Die Partei warf Meuthen dagegen vor, er wolle nur der AfD schaden und eine neue Partei gründen.

Die AfD wies darauf hin, dass es für manche „Flügel“-Äußerung zur Migrationspolitik auch ganz ähnliche Zitate von CSU-Politikern wie dem einstigen Innenminister Horst Seehofer gebe. „Es kann nicht sein, dass Äußerungen für den Verfassungsschutz nur relevant sind, wenn sie von AfD-Politikern kommen“, so AfD-Anwalt Christian Conrad. Das Gericht unter dem Vorsitzenden Richter Michael Huschens hielt die Argumentation des Verfassungsschutz für plausibel. Das Bundesamt habe gründlich argumentiert und belastende Äußerungen nicht aus dem Zusammenhang gerissen.

Überwachung der AfD mit nachrichtendienstlichen Mitteln

Die Einstufung als Verdachtsfall erfordere keine sichere Gefahr, so Richter Huschens, es genüge ein Gefahrverdacht. „Wenn es im Erdreich nach Öl riecht, ist eine Probebohrung erlaubt.“ Konkret darf die AfD nun mit nachrichtendienstlichen Mitteln überwacht werden, das heißt der Verfassungsschutz darf Telefone abhören und in der Partei Spitzel anwerben. Auch eine Erwähnung im Verfassungsschutzbericht ist nun möglich.

Die AfD kann noch Berufung beim Oberverwaltungsgericht Münster einlegen. Die AfD-Spitze will das Kölner Urteil aber zunächst prüfen. Die Überwachung kann auch nicht sofort beginnen. Im Rahmen eines Eilverfahrens hatte das Kölner Gericht im März 2021 den Verfassungsschutz vorläufig zum Stillhalten verpflichtet. Das Gericht wolle nun dieses Eilverfahren „zeitnah“ abschließen, sagte Richter Huschens. Dann wird es ernst für die AfD.

Junge Alternative bleibt Verdachtsfall

Die Jugendorganisation JA wurde vom Verfassungsschutz schon 2019 als Verdachtsfall eingestuft. Die JA hatte ihre völkische und ausländerfeindliche Argumentation darauf hin zwar etwas gemäßigt, aber nicht genug, so das Gericht. Die JA bleibt damit Verdachtsfall. Auch der „Flügel“ um den Thüringer AfD-Vorsitzenden Björn Höcke wurde vom Verfassugnsschutz 2019 als Verdachtsfall eingestuft, im März 2020 sogar als gesichert rechtsextremistische Bestrebung. Auf Druck des AfD-Bundesvorstands löste sich der Flügel daraufhin im April 2020 formal auf.

Das Verwaltungsgericht billigte nun die ursprüngliche Einstufung als Verdachtsfall. Der Flügel darf heute aber nicht als rechtsextreme Bestrebung bewertet werden, so das Gericht, weil seine Fortexistenz fraglich ist. Auch der Verfasssungsschutz konnte keine sicheren Erkenntnisse vorlegen, dass sich Höcke und Co. weiter als eigene Gruppierung organisieren. Hier erzielten die AfD und ihr Kölner Anwalt Christian Conrad einen Teilerfolg.

Außerdem darf der Verfassungschutz nicht mehr behaupten, der Flügel habe bis zu seiner formalen Auflösung im April 2020 rund 7.000 Mitglieder gehabt. Hier genüge es nicht die „Potenziale“ des Flügels zu schätzen. Das Bundesamt hatte sich unter anderem auf Erklärungen von Björn Höcke berufen, wonach rund ein Drittel der AfD-Mitglieder seinem „Flügel“ zuzurechnen seien. 

Die Beobachtung der AfD ist zeitlich nicht befristet. Solange in einer Partei radikalere und gemäßigtere Kräfte um den Kurs ringen, darf sich der Verfassungsschutz als „Frühwarnsystem“ der wehrhaften Demokratie ein genaues Bild verschaffen. Richter Huschens dankte am Ende Verfassungsschutz und AfD für die sachlich und „nicht-krawallige“ Diskussion. 

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