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Gustav Horn: „Der Rechtspopulismus ist ohne Neoliberalismus nicht denkbar“

Um dem Rechtspopulismus die Stirn zu bieten, spricht sich der Ökonom Gustav Horn für eine Renaissance des Lokalen und eine solidarische EU aus. Dabei kommt der SPD eine große Aufgabe zu, betont er im Interview zu seinem Buch „Gegensteuern“.
von Vera Rosigkeit · 6. Mai 2020

Im ersten Teil ihres Buches „Gegensteuern“ geht es um die Ursachen eines zunehmenden Rechtspopulismus. Neben kulturellem Wandel messen Sie dem digitalen Wandel eine große Bedeutung bei. Macht Veränderung Angst?

Aus Umfragen wissen wir, dass Menschen, die zu rechtspopulistischem Wahlverhalten neigen, Angst haben. Und die Verschiebungen, die durch den digitalen Wandel in der ökonomischen Struktur beschleunigt stattfinden und auch der kulturelle Wandel, der damit einhergeht, ist etwas, das den Menschen bedrohlich erscheint. Dabei geht es nicht nur um niedrige Einkommen oder prekäre Beschäftigung, vielmehr ist Angst der gemeinsame Nenner.

Aber auch der Neoliberalismus und ein damit verbundenes anti-humanistisches Denken trugen zum Erstarken rechter Ideologien bei. Wie konnte Politik zulassen, dass die Finanzwelt Staaten reguliert und nicht umgekehrt?

Die staatskritische Debatte fing bereits in den 70er Jahren an. In dieser Zeit wurde das Bild von inkompetenten Beamten und interessengeleiteten Politikern gezeichnet, die über Wirtschaftspolitik bestimmen. Diese Sicht traf auf eine wachsende ökonomische Krise mit ansteigender Arbeitslosigkeit; in der Folge wurde der Staat zunehmend zurückgedrängt. Wenn nun die oben beschriebene Angst durch den digitalen Wandel auf einen Staat trifft, der sich zurückzieht, fehlt die Instanz, die notwendig wäre, diesen Wandel so zu gestalten, dass er im Interesse fast aller ist. Dann fühlt man sich alleine und hat Angst.

Im Buch heißt es, dass sich die neoliberale Logik in Deutschland vor allem in der Debatte um die Agenda 2010 gezeigt hat. Wie viel Verantwortung trägt die SPD zu dieser Entwicklung bei?

Sicherlich hat die SPD die Debatte In den 70er bzw. 80er Jahren nicht vorangetrieben. Aber sie hat das neoliberale Gedankengut Ende der 90er und in den Nullerjahren aufgegriffen. Die Agenda 2010 mit ihrer ganzen Philosophie der Eigenverantwortung in Zeiten von Arbeitslosigkeit, in Phasen von Krankheit oder auch im Alter hat die Menschen auf sich selbst zurückgeworfen. Das war eine bewusste Entscheidung der damaligen SPD-Spitze. Ob die Partei diese Entscheidung in ihrer Gesamtheit mitgetragen hat, ist eine andere Frage.

Lässt sich Rechtspopulismus als Antwort auf den Neoliberalismus deuten oder als Versuch, den Neoliberalismus zu retten?

Der Ursprung des Rechtspopulismus, wenn wir an Bernd Lucke und seine Anhänger denken, ist neoliberal. Es gibt rechte politische und kulturelle Vorstellungen verbunden mit einer neoliberalen Haltung, die auch anti-europäisch ist. In ihr wurden alle Vorurteile gegenüber faulen Südländern schon gepflegt. Das hat weiter an Dynamik gewonnen, als mehr und mehr Flüchtlinge nach Deutschland kamen. Der ganze Hass auf das Fremde wurde auf sie übertragen. Der Rechtspopulismus ist für mich ohne Neoliberalismus nicht denkbar. Die gefühlte Schutzlosigkeit der Menschen rührt genau daher. Es ist sowohl Antwort auf den Neoliberalismus als auch eine Folge.

Der zweite Teil des Buches beginnt mit der Frage, wie Politik nach der Überwindung der Corona-Krise den Drang nach rechts nicht nur aufhalten, sondern umdrehen kann. Da geht es zunächst um die Wahrnehmung der Bürger*innen von Kontrollverlust und mangelnden Respekt. Wie könnte ein erster Schritt aussehen, sie aus diesem Ohnmachtsgefühl herauszuholen?

In einer Renaissance des Lokalen. Politik ist für die meisten Menschen eine Vorort-Erfahrung. Da ist das Schwimmbad, das verfällt, die Straße, die nicht repariert wird und die Sporthalle, für die kein Geld mehr da ist. Viele Kommunen haben heute nur noch sehr begrenzten Handlungsspielraum. Das müssen wir ändern. Und das geht auch.

Bei der Stärkung der Demokratie spielt auch die Zivilgesellschaft eine große Rolle. Welche Rolle nimmt sie im Vergleich zu den Parteien ein?

Es gibt ein großes politische Engagement in unserer Gesellschaft, es fließt nur nicht in die Parteien hinein, bzw. die greifen Forderungen erst unter massivem Druck auf. Diese Verbindung muss enger werden. In den Parteien drehen sich Mitglieder und Funktionäre viel zu sehr um sich selbst mit der Folge, dass die Parteien nicht durchlässig genug sind.

Warum nimmt neben der Kommunalpolitik die europäische Integration eine viel größere Bedeutung ein als der Nationalstaat?

Gerade die Corona-Krise macht deutlich, dass Entwicklungen nicht an nationalen Grenzen Halt machen. Wenn wir den Austausch von Waren und Dienstleistungen wollen, werden wir immer wieder mit globalen Problemen konfrontiert sein. Der Nationalstaat kann schon heute viele Probleme nicht mehr alleine bewältigen. Wir brauchen eine übergeordnete Instanz, die demokratisch legitimiert sein muss und von der Zivilgesellschaft getragen wird. Aus meiner Sicht kann das nur die EU sein. Dazu muss es aber institutionelle Reformen geben, damit es eine viel stärkere Anbindung dieser Institutionen an die Bevölkerung gibt. Momentan gibt es sie nicht, deshalb ist die Abneigung gegen Europa bei Vielen so stark verbreitet.

Das Buch handelt von linker Wirtschaftspolitik, in deren Mittelpunkt soziale Absicherung steht. Schutzmaßnahmen kommen auch beim Gegensteuern gegen rechts eine hohe Bedeutung zu. Wie muss sich die EU ändern?

In der EU dominiert noch immer der Freihandel als Orientierungsmaßstab. Das halte ich für verfehlt. Soziale Sicherheit muss ein Wert sein, so hat es Präsident Juncker zum Ende seiner Karriere sehr stark betont. Da darf man das eine nicht gegen das andere ausspielen. Denn das ist in der Vergangenheit viel zu häufig passiert, so dass viele Menschen die EU als Gegner ihrer sozialen Sicherheit empfunden haben.

Was wäre ein konkretes Beispiel für mehr Solidarität in Europa?

Die Rückversicherung bei Arbeitslosigkeit ist  eine Möglichkeit, um mehr Solidarität auf europäische Ebene zu bringen. In Ländern, die stark von Arbeitslosigkeit betroffen sind und in denen auch die sozialen Sicherungssysteme stark unter Druck stehen, sollte Europa einspringen und helfen.

Fallen die derzeit diskutierten Corona-Bonds auch darunter?

Ob das nun Corona-Bonds oder ein Fonds bei der EU-Kommission ist, wir brauchen viele Möglichkeiten, um Solidarität zu zeigen. Wir dürfen nie vergessen, dass es auch uns mal erwischen kann. Auch wir würden dann direkt davon profitieren.

Solidarität als Strategie gegen den Rechtsruck?

Das ist eine der Aufgaben der SPD, dass sie Solidarität auch europäisch interpretiert und entsprechende institutionelle Änderungen vorschlägt. Da gibt es noch sehr viel Luft nach oben.

Was war das persönliche Anliegen, dieses Buch zu schreiben?

Nachdem ich meinen Job als Direktor des IMK aufgab, habe ich einen Schritt in die Politik gewagt – von der Seitenlinie als Berater aufs Spielfeld. Den habe ich gemacht, weil ich es nicht ertragen kann, wie viel Bedeutung die Rechten politisch dazu gewonnen haben, gerade auch im Osten Deutschlands. Da will ich mir nicht vorwerfen müssen, dass ich da einfach nur zugesehen habe. Das Buch ist das Ergebnis meines Nachdenkens.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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