Einstufung als Verdachtsfall: Wie es um die Beobachtung der AfD steht
IMAGO/dts Nachrichtenagentur
Die AfD radikalisiert sich zusehends und auf offener Bühne. Sie klagt aber immer noch gegen ihre Einstufung als Verdachtsfall durch den Verfassungsschutz. In erster Instanz hat die Partei verloren. Doch jetzt hat die AfD beantragt, dass der Verfassungsschutz bis zum Urteil in zweiter Instanz auf die stigmatisierende Bezeichnung verzichtet.
In erster Instanz verloren
Im Januar 2021 wurde bekannt, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz beabsichtigte, die AfD als „Verdachtsfall“ einer extremistischen Bestrebung einzustufen. Dagegen klagte die AfD auf Unterlassung. Zugleich stellte die AfD einen Eilantrag, dass sie bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht als „Verdachtsfall“ bezeichnet werden darf. Der Eilantrag hatte teilweise Erfolg. Am 5. März 2021 entschied das Verwaltungsgericht (VG) Köln in einem so genannten Hängebeschluss, dass die AfD bis zur Entscheidung über den Eilantrag nicht als Verdachtsfall bezeichnet werden darf.
Allerdings entschied das VG Köln dann am 8. März 2022, dass die Einstufung der AfD als Verdachtsfall rechtmäßig ist. Zwei Tage später lehnte das VG auch den parallelen Eilantrag der AfD ab. Seitdem kann die AfD vom Bundesamt für Verfassungsschutz öffentlich als Verdachtsfall bezeichnet werden.
Kein Termin für Urteil in Sicht
Das Kölner Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig. Die AfD hat dagegen Berufung eingelegt. Zuständig ist das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster. Auf den Ausgang dieses Verfahrens warten AfD, Verfassungsschutz und die anderen Parteien mit großer Spannung.
Allerdings lässt dieses Berufungsurteil noch lange auf sich warten. Das OVG will noch keinen Termin für ein Urteil nennen. Die Berufungsbegründung der AfD war erst Ende 2022 eingegangen, nachdem die entsprechende Frist auf Antrag der Partei verlängert wurde. Erst im Juli 2023 war die Erwiderung des Bundesamts fertig. Nun hat die AfD wieder Zeit bis September, um zu antworten. Anschließend will der zuständige OVG-Senat mit der „vertieften Bearbeitung“ beginnen, teilte Gerichtssprecherin Gudrun Dahme auf Nachfrage dieses Mediums mit. „Die Gerichtsakten umfassen derzeit cirka 10.000 Seiten“, so Dahme, „Hinzu kommen mehrere hundert Beiakten, die im Oberverwaltungsgericht einen ganzen Raum füllen.“
Solange das Verfahren läuft, darf der Verfassungsschutz die AfD weiter als „Verdachtsfall“ bezeichnen. Die Berufung hat keine aufschiebende Wirkung. Die AfD hatte auch die Ablehnung des ursprünglichen Eilantrags durch das VG Köln nicht angegriffen, sondern rechtskräftig werden lassen.
Hat Haldenwang sich verraten?
Nun hat die AfD am 11. Juli 2023 aber einen neuen Eilantrag gestellt, mit dem sie wieder erreichen will, dass der Verfassungsschutz die AfD bis zur Entscheidung über die Berufung nicht als Verdachtsfall bezeichnen darf.
Nach Informationen dieses Mediums beruft sich die AfD darauf, dass BfV-Präsident Thomas Haldenwang inzwischen offen eingeräumt habe, dass er seine Aufgabe darin sieht, die Umfragewerte der AfD zu senken. Dies zeige, dass er politisch agiere und das Amt seine Kompetenzen überschreite.
Entscheidung möglicherweise noch im August
Tatsächlich hat Haldenwang am 20. Juni 2023 nach der Vorstellung des aktuellen Verfassungsschutzberichts im heute-Journal gesagt, „Nicht allein der Verfassungsschutz ist zuständig dafür, die Umfragewerte der AfD zu senken, aber wir können die Bevölkerung wachrütteln, wir können Politiker wachrütteln."
Das OVG will sich mit diesem Antrag zunächst befassen und vielleicht noch im August eine Entscheidung treffen. Das Gericht hat im wesentlichen drei Möglichkeiten: Es kann Haldenwangs Äußerung für zulässig halten, dann ist der AfD-Eil-Antrag abgelehnt. Oder es hält Haldenwangs Äußerung zwar für unzulässig, aber für irrelevant für die Einstufung der AfD als Verdachtsfall, auch dann wäre der AfD-Antrag abgelehnt. Erfolg hätte der AfD-Antrag nur, wenn die Richter den Schluss der AfD mitvollziehen, dass der Verfassungsschutz nun endgültig als parteipolitisches Instrument enttarnt wurde. Das ist eher unwahrscheinlich.
Umso wichtiger ist die Entscheidung des OVGs in der Hauptsache, mit der aber wohl erst 2024 zu rechnen ist. Da die AfD eine Unterlassung der Einstufung beantragt hat, kommt es bei der Entscheidung über das Wesen der AfD auf den Zeitpunkt des Urteils an. Oder anders gesagt: Jede weitere Radikalisierung schadet der Partei im Berufungsverfahren und macht die Einstufung als Verdachtsfall nachvollziehbarer.