Die AfD nach dem Parteitag: „Höcke kann zufrieden sein.“
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Nach den Streitigkeiten der vergangenen Wochen wollte die AfD mit ihrem Parteitag am Wochenende Einigkeit demonstrieren. Ist ihr das gelungen?
Ganz eindeutig nicht. Vor allem Tino Chrupalla wurde mit einem sehr schwachen Ergebnis erneut zum Bundessprecher gewählt. Er geht also nicht gestärkt aus dem Parteitag heraus, im Gegenteil. Es bleibt eher der Eindruck, er ist jetzt eine Art Bundessprecher von Höckes Gnaden. Den Eindruck hat auch die völlig aus dem Ruder gelaufene Debatte über einen Antrag zur Abschaffung der EU und deren Ersatz durch eine neue Gemeinschaft unterstrichen, nach der der Parteitag ja dann auch vorzeitig beendet wurde. Insgesamt hat sich wieder gezeigt, dass die AfD kaum Sachdebatten führen kann, sondern es vor allem um ihr Personal geht. Streit statt Sachdebatte steht weiterhin im Vordergrund.
Chrupalla und Weidel führen bereits die AfD-Bundestagsfraktion, nun also auch die Partei. Wofür stehen sie?
Tino Chrupalla hat nach dem Rück- und Austritt von Jörg Meuthen versucht, Ruhe in die Partei zu bringen und Diskursstrukturen zu etablieren. Das ist ihm aber nicht gelungen, da sein Kurs offenbar nicht von einer breiten Mehrheit in der Partei getragen wird. Viele in der Partei scheinen an Chrupallas bisheriger Führung und daran zu zweifeln, dass er für einen Aufbruch stehen kann. Das wird im deutlich besseren Ergebnis für Alice Weidel als seiner neuen Co-Sprecherin deutlich. Beide stehen für einen nach rechts hin offenen Kurs der AfD. Zwar distanzieren sie sich öffentlich von rechtsextremen Positionen. Gleichzeitig sind sie aber damit einverstanden, dass Personen aus diesem Spektrum auf dem Parteitag wichtige Abstimmungen gewinnen und Posten im Bundesvorstand bekleiden. Die zumindest noch im Ansatz bürgerlichen Kräfte in der AfD haben spätestens seit diesem Wochenende dort keine Mehrheit mehr.
Björn Höcke ist weiter nicht Teil des Bundesvorstands, gilt aber vielen als heimlicher Vorsitzender. Wie groß schätzen Sie seinen Einfluss nach diesem Parteitag ein?
Höckes Einfluss ist sehr groß. Auf dem Parteitag hat er es auf ganz unterschiedlichen Ebenen geschafft, seine Positionen durchzudrücken. Das betrifft sowohl strukturelle Fragen wie die Entscheidung, dass die AfD künftig auch von einer einzelnen Person geführt werden kann, als auch Personalentscheidungen. Im Bundesvorstand überwiegen jetzt Personen, die Björn Höcke nahestehen, deutlich. Aber auch in sachbezogenen Fragen konnte er sich durchsetzen, auch wenn sein Antrag zu Europa mit Ach und Krach zur Überarbeitung an den Bundesvorstand überwiesen wurde. Höcke kann damit zufrieden sein, denn es ist zu vermuten, dass der Antrag dort nun ebenfalls auf Unterstützer treffen wird. Ohne selbst offiziell eine Funktion zu haben, hat Höcke der AfD damit weiter den Weg in eine rechtsextreme Richtung bereitet.
Was könnte das für die Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz bedeuten?
Die Beobachtung durch den Verfassungsschutz war ja auch ein Thema auf dem Parteitag. Einige Delegierte haben sich zu Wort gemeldet und kritisiert, dass bestimmte Entscheidungen Wasser auf die Mühlen des Verfassungsschutzes seien. Die Delegierten hat das in der Mehrheit aber nicht davon abgehalten so abzustimmen, wie sie es getan haben. Björn Höcke hat ja sogar in einem Redebeitrag gesagt, die AfD bestimme selbst, wer Extremist ist und nicht der Verfassungsschutz. Der Verfassungsschutz wird sich die Entscheidungen des Parteitags sicher sehr genau ansehen und sie auch erst nehmen.
Welchen Einfluss könnten die Entscheidungen auf die Wähler*innen der AfD haben?
Wenn man sich die Nachwahlbefragungen nach den letzten Landtagswahlen und auch der Bundestagswahl ansieht, fällt auf, dass eine weit überwiegende Zahl der Wählerinnen und Wähler angibt, die AfD distanziere sich nicht ausreichend vom Rechtsextremismus. Dass die Partei diesen Weg dennoch unbeeindruckt weiter geht, zeigt für mich, dass sie sich schon ein Stück weit von ihrer Umwelt entkoppelt hat und diese Ideologie in der Partei zunehmend Verankerung erfährt. Die AfD hat auf diese Weise eine feste Stammwählerschaft etabliert, die je nach Bundesland unterschiedlich groß ist, bundesweit aber schätzungsweise um die acht Prozent beträgt. Sie wählen die AfD nicht aus Protest, sondern aus Überzeugung und gehen einen Kurs nach rechts offensichtlich mit. Darüber hinaus Wählerinnen und Wähler zu gewinnen, wird aus meiner Sicht aber so nicht gelingen. Über kurz oder lang schaufelt sich die AfD damit möglicherweise ihr eigenes Grab.
Auf dem Parteitag wurde auch wieder deutlich, dass die AfD aus einen Ost- und einem West-Teil besteht, die zum Teil sehr unterschiedliche Positionen vertreten. Wie groß schätzen Sie hier die Spaltung der Partei ein?
Mein Eindruck ist, dass die westlichen Landesverbände einen differenzierteren Kurs der AfD fordern – nicht unbedingt aus inhaltlicher Überzeugung, sondern weil sie sich eine gewisse Anschlussfähigkeit an bürgerliche Wählerinnen und Wähler erhoffen. Bei den Fragen zum Umgang mit Russland und dem Krieg in der Ukraine, um die es ja auch in dem Europa-Antrag ging, wurden aber auch weitere inhaltliche Differenzen zwischen den Ost- und den West-Verbänden deutlich. Mein Eindruck ist derzeit aber nicht, dass sie so groß sind, dass sich die AfD daran auf absehbare Zeit selbst zerlegt. Die wenigen verbliebenen bürgerlichen Kräfte sollten sich nach diesem Wochenende aber fragen, ob sie in dieser Konstellation weiterarbeiten können. Tun sie dies, tragen auch sie Verantwortung für den Kurs der Partei nach rechts.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.