Geschichte

Zum Tod von Hermann Scheer: Zukunftsentwurf Solarzeitalter

Am 14. Oktober 2010 verstarb Hermann Scheer. Ein Nachruf auf den grünen Vordenker in der SPD, der sich viele Jahre für Gerechtigkeit, Frieden und verantwortlichen Umgang mit natürlichen Ressourcen einsetzte.
von Stephan Grüger · 16. Oktober 2010
Hermann Scheer auf dem SPD-Parteitag 2009 in Berlin.
Hermann Scheer auf dem SPD-Parteitag 2009 in Berlin.

Sein Ziel war eine gerechte und friedliche Welt. Seine Überzeugung war, dass dieses Ziel nur über eine gerecht verteilte Verfügungsgewalt über Ressourcen zu erreichen ist und dass die wichtigste Ressourcenfrage die Energiefrage ist. Hermann Scheer war davon überzeugt, dass nur das Vorhandensein von ausreichender und bezahlbarer Energie Grundlage aller gesellschaftlicher Fortentwicklung ist.

Zukunftsentwurf Solarzeitalter

Für diejenigen, die Katastrophenszenarien ausmalen und den Verzicht predigen, hatte er nicht viel übrig. Er wusste, dass man mit einer solchen "Verzichtsethik", so ein von ihm geprägter Begriff, keine Gestaltungsmehrheiten und keine Zukunft gewinnen kann. "Keine Gesellschaft kann mit einem Mühlstein um den Hals leben, das kann nur zu Ignoranz und Zynismus führen", hat Hermann Scheer einmal in einem Interview gesagt. Sein Credo dagegen war ein pragmatischer, realistisch umsetzbarer positiver Zukunftsentwurf: Das Solarzeitalter.

Hermann Scheer kam aus der Friedens- und Sicherheitspolitik, als junger Bundestagsabgeordneter hat er sich Anfang der 80er Jahre mit Abrüstungsfragen auseinandergesetzt. Er stimmte aus sicherheitspolitischer Überzeugung dem NATO-Doppelbeschluss zu, setzte sich aber damals schon kritisch mit der Janusköpfigkeit der zivilen und militärischen Nutzung der Atomenergie auseinander.

Der verantwortungslose Umgang mit dem zum Teil Jahrhunderttausende strahlenden Atommüll und die Tatsache, dass ein Großteil der weltweiten kriegerischen Konflikte dem Zugang zu Rohstoffen und Energieträgern geschuldet ist, ließ in ihm die Überzeugung reifen, dass es einer energiepolitischen Alternative bedarf. Hinzu trat die Erkenntnis der baldigen Endlichkeit der meisten Energieressourcen - mit Ausnahme der solaren Energien, also Sonne, Wind und Wasserkraft.

Erfolgreiche Wirtschaftspolitik statt Verzichtsaufrufe

In seinem 1989 erschienen Buch "Das Solarzeitalter" entwickelte Hermann Scheer die Perspektive einer Gesellschaft auf der Basis dezentraler erneuerbarer Energien. Der Clou dieser Perspektive war der vollständige Verzicht auf die damals so beliebten Verzichtsaufrufe und die Mobilisierung von privater - sprich: bürgerlicher - Initiative und privatem Kapital durch politische Rahmensetzung.

Ein Jahrzehnt und einige Bücher später wurde dieser Ansatz mit dem Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder in die politische Tat umgesetzt. Seitdem wurden durch den Ausbau der Erneuerbaren Energien mehr als 300.000 neue Arbeitsplätze geschaffen und die Technologien der Erneuerbaren Energien wurden zu einem deutschen Exportschlager - Effekte, die von Hermann Scheer vorausgesagt wurden. Und so ist mit dem Namen Hermann Scheer die erfolgreichste Wirtschaftspolitik verbunden, die je von einer Bundesregierung umgesetzt wurde.

Ebenfalls 1999 erhielt Hermann Scheer den alternativen Nobelpreis für seinen Einsatz für die Erneuerbaren Energien. Dieser Auszeichnung gingen bereits einige andere Auszeichnungen voran, ihr folgten noch einige mehr, darunter 2008 die Ehrenprofessur der Tongji-Universität in Shanghai. Einer der größten Erfolge für Hermann Scheer war aber sicherlich die Einrichtung der International Renewable Energy Agency (IRENA) im Jahre 2009, für die er sich seit der Gründung der gemeinnützigen europäischen Vereinigung zur Förderung der Erneuerbaren Energien, EUROSOLAR, im Jahre 1989 unermüdlich eingesetzt hatte.

Herzliches Lachen und beharrliche Konsequenz

Hermann Scheer war ein lebensfroher und unglaublich vitaler Mensch. Seine Freunde erinnern sich an sein herzliches Lachen wie an sein verschmitztes Lächeln. Was er sich vornahm, das verfolgte er mit beharrlicher Konsequenz. Sein überzeugter und überzeugender Kampf für die Erneuerbaren Energien hat ihm bereits zu Lebzeiten viel Anerkennung, aber auch viele Gegner eingebracht.

Dabei haben viele seiner Gegner bis heute nicht verstanden - oder nicht verstehen wollen - worum es Hermann Scheer überhaupt ging. Sie taten ihn als Utopisten oder verschrobenen Umweltschützer ab, haben seine tiefen Gedanken verzerrt und verkürzt wiedergegeben und ihn sogar übel geschmäht. Dies hat ihn zum Teil tief getroffen. Es wäre verlogen, dieses nun angesichts seines Todes nicht anzusprechen. Vor allem aber wäre es sicher nicht in seinem Sinne. Und so manchem stünde es gut an, sich wenigstens jetzt zumindest bei seiner Familie zu entschuldigen.

Unsere Gedanken sind bei seiner trauernden Familie und bei seinen Freuden. Wir sollten Hermann Scheers Vermächtnis nicht nur in Ehren halten, sondern mit Mut und neuer Kraft seinem Vorbild folgen und den Weg ins Solarzeitalter bahnen. Nur in der Tat können wir diesen tatkräftigen Menschen ehren!

Autor*in
Stephan Grüger

Stephan Grüger ist SPD-Landtagsabgeordneter in Hessen. (Ehem. stellv. Juso-Bundesvorsitzender und 1995 bis 1999 Leiter der Solarkampagne der Jusos).

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