Geschichte

Wortbruch der FDP: Gegen die Regierung Helmut Schmidt

Vor 35 Jahren gab es die einzige SPD-Alleinregierung in der Geschichte der Bundesrepublik: vom 17. September 1982 bis zum 1. Oktober 1982. Grund war der Koalitionsbruch der FDP. An jenem 1. Oktober wurde Bundeskanzler Helmut Schmidt mit den Stimmen der FDP abgewählt. Noch zwei Jahre zuvor hatten SPD und FDP ein sensationelles Wahlergebnis eingefahren.
von Renate Faerber-Husemann · 14. September 2017
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Sie dauerte nur ganze 14 Tage: die einzige SPD-Alleinregierung in der Geschichte der Bundesrepublik vom 17. September 1982 bis zum 1. Oktober 1982. Noch zwei Jahre zuvor hatten SPD und FDP ein sensationelles Wahlergebnis eingefahren: SPD 42,9 Prozent, FDP 10,6  Prozent. Ganz ungeniert hatte die FDP unter ihrem Vorsitzenden und Außenminister Hans-Dietrich Genscher ihren Wahlkampf auf den international angesehenen Bundeskanzler abgestellt: „Für die Regierung Schmidt/Genscher“ warben die Liberalen auf ihren Wahlplakaten und suggerierten: Wer Schmidt als Kanzler behalten wolle, müsse FDP wählen.

FDP: Sozialliberale kontra Wirtschaftsflügel

Doch bald schon knirschte es trotz der komfortablen Mehrheit im Gebälk: Die SPD-Fraktion war zerstritten, weil Helmut Schmidt ohne Wenn und Aber zum NATO-Doppelbeschluss stand, der damals nicht nur die Fraktion, sondern das ganze Land spaltete: Nach diesem Beschluss sollte im Westen atomar aufgerüstet werden, falls die Abrüstungsverhandlungen mit der Sowjetunion scheitern sollten.

Auch die FDP war gespalten: Da gab es neben den überzeugten Sozialliberalen den Wirtschaftsflügel unter der Führung von Otto Graf Lambsdorff, der die SPD ständig piesackte mit Forderungen nach Einschnitten in das soziale Netz, beispielsweise mit Kürzungen beim Kinder- und beim Arbeitslosengeld. Die Sozialdemokraten warfen dem Koalitionspartner FDP vor, unverhohlen nur die Interessen der Wirtschaft zu vertreten. Bis heute ist umstritten, ob Genscher nur mit dem Feuer spielen wollte, um möglichst viel für seine Partei herauszuholen oder ob er ganz gezielt auf den Bruch der Koalition hingearbeitet hatte. Sicher ist nur eines: Der Bundeskanzler nahm dem FDP-Chef und Aussenminister das Drehbuch aus der Hand.

Aufregende Wochen in Bonn

Es waren aufregende Wochen in Bonn. Von geheimen Treffen zwischen Genscher und dem CDU-Vorsitzenden und Oppositionschef Kohl wurde gemunkelt. Bald ging es nicht mehr um die Frage, ob und wie die bis 1980 harmonische Ehe zwischen SPD und FDP noch gerettet werden könnte,  sondern nur noch darum, wie der Wechsel gestaltet werden könnte: Neuwahlen? Oder weiter machen mit einem Bundeskanzler Kohl, der  – wie die FDP auch – direkte Neuwahlen scheuen musste. Denn die Empörung in der Bevölkerung war groß, ganz unabhängig von den parteipolitischen Vorlieben. Helmut Schmidt hatte das Land durch schwierige Zeiten gesteuert, durch eine Weltwirtschaftskrise und die bedrückenden Jahre des RAF-Terrorismus. Sein Ansehen war groß, die Bürger vertrauten ihm. Helmut Kohl dagegen war damals der Pfälzer aus der Provinz, über den man Witze machte.

Der 17. September vor 35 Jahren läutete das Ende ein: Helmut Schmidt entließ die vier FDP-Minister. Das Auswärtige Amt übernahm der Kanzler bis zur Neuwahl des Bundestags am 1. Oktober selbst. Finanzminister Lahnstein übernahm zusätzlich das Wirtschaftsministerium von Otto Graf Lambsdorff, Justizminister Jürgen Schmude verwaltete für 14 Tage auch das Innenministerium des überzeugten Sozialliberalen Gerhart Baum und Bildungsminister Björn Engholm wurde auch Landwirtschaftsminister, was für Gelächter im Bundestag sorgte, ebenso wie die Tatsache, dass Egon Franke sich zwei Wochen lang mit dem Titel Vizekanzler schmücken durfte.

Tränen im Bundestag

Während der Bundestagssitzung an jenem 17. September rechnete der Bundeskanzler ab mit dem treulos gewordenen Koalitionspartner FDP und forderte rasche Neuwahlen: „Es wäre nicht in Ordnung, meine Damen und Herren von der FDP, wenn Sie  Ihre 1980 mit den Plakattiteln „Schmidt/Genscher gegen CSU und CDU“ gewonnenen Mandate jetzt in eine Regierung aus CDU/CSU und FDP einbrächten.“ Und an die eigene Partei: „Die SPD ist eine selbstbewusste Partei, die auch -Krisen durchstehen kann! Dies hat sie im Laufe ihrer 120-jährigen Geschichte in weit schwereren Zeiten oft genug bewiesen. Wir tragen die Regierungsvewrantwortung mit innerer Überzeugung, aber wir kleben nicht an unseren Stühlen.“

Am 1. Oktober wurde die sozialliberale Koalition abgewählt. Es gab Tränen im Bundestag bei jenen FDP-Abgeordneten, die den Wechsel ohne Neuwahlen nicht mittragen wollten. Prominente Liberale wie Generalsekretär Günter Verheugen und Ingrid Matthäus-Maier traten aus der FDP aus und fanden in der SPD ein neues politisches Zuhause.

Helmut Kohl wurde am 1. Oktober zum Kanzler gewählt. Er erhielt 23 Stimmen weniger als die neue Koalition besaß. Der am 17. September von Kanzler Helmut Schmidt entlassene Hans-Dietrich Genscher zog wieder in das Aussenministerium ein. Sofortige Neuwahlen, wie von der SPD gefordert, gab es nicht, die hätte die neue Regierung auch fürchten müssen. Erst am 6. März 1983 erhielt Schwarz-Gelb die Legitimation durch die Wähler. An der FDP aber klebte erneut das Image einer Umfaller-Partei.

Autor*in
Renate Faerber-Husemann

(† 2023) war freie Journalistin in Bonn und Erhard-Eppler-Biografin.

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