„Wir Deutsche haben allen Grund dankbar und solidarisch zu sein!“
Vor 70 Jahren endete der Zweite Weltkrieg mit der Kapitulation des nationalsozialistischen Regimes. Deutschland hatte Europa und andere Teile der Welt in ein Elend gestürzt, das schwer in Worte zu fassen ist. Millionen von Menschen waren tot, das europäische Judentum durch die Gräuel der Shoah beinahe vernichtet. Überall hinterließ der Krieg Verletzte, Verlorene und Verstörte. Städte lagen in Trümmern.
In Trümmern lagen auch die von der NS-Ideologie durchdrungene Gesellschaftsordnung und die Vision einer nationalsozialistischen Herrschaft über Europa und die Welt. Wenn wir in diesen Tagen dem Ende des Zweiten Weltkrieges gedenken, tun wir dies deshalb in großer Einigkeit darüber, dass Deutschland im Mai 1945 eine Befreiung erlebte. Deutschland hatte sich nicht selbst vom faschistischen Regime befreien können – es musste mit Gewalt befreit werden. Die Selbstbefreiung vom Nationalsozialismus auf individueller und gesellschaftlicher Ebene dauerte freilich weitaus länger als die militärische Niederwerfung der Nazis durch die Alliierten – sie sollte die Deutschen noch Jahre und Jahrzehnte beschäftigen und einen schmerzlichen Weg der Selbsterkenntnis und Aufarbeitung erfordern.
Freiheit nur für Westdeutschland
Auf diesem Weg half, dass die westlichen Alliierten Deutschland die Hand zum Frieden reichten. Nur wenige Jahre nach dem Ende des Krieges wurde die Bundesrepublik Deutschland Gründungsmitglied der Montanunion und der Römischen Verträge, konnte gar der NATO beitreten. Der Einsicht der USA, Großbritanniens und Frankreichs, dass Integration die beste Friedenssicherung darstellt, verdanken wir die schnelle Erholung und internationale Einbindung Deutschlands nach dem Krieg. Dabei darf nicht vergessen werden, dass in den Genuss von Freiheit und Demokratie nach dem Kriegsende nur der westliche Teil unseres Landes kam: Aus der sowjetischen Besatzungszone wurde mit der DDR ein unfreier Staat. Europa wurde geteilt, in Mittel- und Osteuropa entstanden sowjetisch dominierte Einparteiensysteme, die ihren Bürgerinnen und Bürgern die Freiheit, die wir in der Bundesrepublik erleben durften, verweigerten.
Auch die deutsche Sozialdemokratie hatte großen Anteil am Aufbau von Freiheit und Demokratie in Deutschland – wenn auch die Nachkriegsjahre als konservativ-liberal geprägte „Ära Adenauer“ in die Geschichte eingingen. Noch vor der Kapitulation Deutschlands am 8. Mai 1945 nahmen Gruppen der SPD – zunächst noch illegal – die Arbeit wieder auf. Ich denke dabei beispielsweise an die sozialdemokratischen Mitglieder des Parlamentarischen Rates, die dem Grundgesetz viel von seiner fortwährenden Strahlkraft gaben. Am gewerkschaftlichen Neuaufbau waren Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten von Beginn an beteiligt.
Hoher Bluttzoll der Befreier
Wenn ich heute an die Befreiung Deutschlands vom Faschismus denke, empfinde ich große Dankbarkeit gegenüber den Alliierten: Russen, US-Amerikaner, Franzosen, Briten, und auch Polen, die in alliierten Armeen mitkämpften, gaben ihr Leben für die Beendigung der NS-Herrschaft. Gerade die Völker der Sowjetunion zahlten einen unglaublich hohen Blutzoll nicht nur für die Befreiung, sondern auch durch den deutschen Vernichtungskrieg im Osten.
Für die wirtschaftliche und soziale Stabilisierung sowie den Aufbau einer funktionierenden Demokratie in Westdeutschland sind wir gerade den USA zu großem Dank verpflichtet. Dies wird – bei aller berechtigten Kritik an Defiziten der US-Politik – heutzutage von vielen Protagonisten gerne vergessen. Und angesichts des unermesslichen Leids, das Deutschland Polen einst zugefügt hat, blicke ich ebenfalls mit großer Dankbarkeit auf die schier unglaubliche Geschichte der Aussöhnung zwischen Polen und Deutschland in den letzten 25 Jahren zurück.
Deutschland trägt Verantwortung auf Grund der Geschichte und auf Grund der Hilfe, die uns einst zuteil geworden ist. Gerade wir müssen nach Kräften für Frieden in der Welt und gute Nachbarschaft in Europa eintreten. Die westlichen Bündnisse sind dabei das Beste, das uns passieren konnte. EU und NATO gehen durch schwierige Zeiten – überholt sind sie keineswegs.
Auch heute Krieg und Verfolgung vor unserer Haustür
Das Gedenken an die Geschichte ist kein Selbstzweck. Es weist uns immer auch auf unsere Gegenwart und Zukunft hin. Während wir noch innehalten und feierlich den Jahrestag des Kriegsendes vor 70 Jahren begehen, sterben Menschen in Kriegen und gewaltsamen Konflikten, durch Terror und auf der Flucht vor Kämpfen, Hunger und Verfolgung. Dies alles geschieht auch vor unserer Haustür. Das darf gerade uns Deutsche nicht kalt lassen. Es muss uns erschüttern, wachrütteln und zum Handeln treiben. Die Geschichte mahnt und verpflichtet unser Land, weiter ein engagierter und verlässlicher Streiter für ein solidarisches Europa in einer gerechteren und friedlicheren Welt zu sein.
ist seit 2014 Schatzmeister der SPD und seit 2022 Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-polnische zwischengesellschaftliche und grenznahe Zusammenarbeit.