Der Architekt der Ostpolitik feiert am 18. März seinen 90. Geburtstag. Eine Würdigung Von Bundespräsident a. D. Richard von Weizsäcker.
Egon Bahr hat als eine herausragende Persönlichkeit der Zeitgeschichte wie wenige andere dazu beigetragen, die deutsche und europäische Teilung Schritt für Schritt zu überwinden. In den Nachkriegsjahren widmete er seine aktive Tätigkeit als engster Mitarbeiter der gemeinsamen Sache mit Willy Brandt, dem damaligen Regierenden Bürgermeister von Berlin West. Nach dem Bau der Mauer 1961 war es Bahr, der sich mit ganzer Kraft der Aufgabe zuwandte, den von der Teilung schwer getroffenen Menschen seiner Stadt Wege zueinander zu ebnen. So kam es zum Passierscheinabkommen, das den Berlinern praktische Erleichterungen und neue Zuversicht brachte.
Treibende Kraft der Ostpolitik
Sein zentrales Ziel verlor er dabei niemals aus den Augen: die Teilung Deutschlands zu überwinden. Ein Ende des Kalten Krieges stand aber damals noch nicht in Aussicht. Bloßes Abwarten jedoch war für ihn sowohl für das geteilte Berlin als auch für das geteilte Land unverantwortlich. Er brachte seine Gedanken mit dem berühmt gewordenen Motto „Wandel durch Annäherung“ auf jenen Begriff, der damals ebenso heiß umstritten wie langfristig unumgänglich war. Es galt, zum Wohl der Bürger mit der anderen Seite zu sprechen. Praktische Erleichterungen sollten nun nicht länger durch Doktrinen behindert werden.
Diesen Weg ging Bahr entschlossen voran. Als 1966 Willy Brandt Außenminister und Bahr sein entscheidender und wichtigster außenpolitischer Berater wurde, war die Zeit gekommen, in der die Ost- und Deutschlandpolitik in ihre prägende Phase trat. Bahr war die treibende Kraft und Schlüsselfigur. Er hatte die schwierigste Aufgabe, einen deutschen Weg der Entspannung mit den Vier Mächten und den östlichen Nachbarn – vor allem mit Moskau – in ein brauchbares Bündel von Vereinbarungen zu fassen.
Es ist und bleibt sein historisches Verdienst, diese Verhandlungen insbesondere mit Moskau so zäh und klar geführt zu haben, dass daraus praktische Verbesserungen, neues Vertrauen, ein Mehr an Sicherheit erwuchsen. Mit der Gipfelkonferenz von Helsinki im Jahr 1975 erreichte diese Entspannungspolitik ihren Höhepunkt. Neue Spielräume entstanden bis hinein in die Bürgergesellschaften. Sie bereiteten den Weg für die Überwindung der Teilung Europas.
Bahrs erste Maxime lautete stets: Ohne Frieden ist alles nichts. Zeit seines Lebens, bis in die Gegenwart, hat er sich mit Übersicht und Scharfsinn dem Thema Friedensverantwortung und Sicherheit, insbesondere auch den Fragen der nuklearen Nichtverbreitung, gewidmet.
Ein Patriot und großer Berliner
So wurde er auch ein maßgeblicher Impulsgeber, um gemeinsam mit Helmut Schmidt, Hans-Dietrich Genscher und mir als „deutsches Quartett“ aktiv die Initiative vier namhafter US-Politiker, Henry Kissinger, George Shultz, William Perry und Sam Nunn für eine atomwaffenfreie Welt zu unterstützen.
Immer verbindet mich mit Egon Bahr eine hohe Wertschätzung, mit diesem Patrioten und großen Berliner, dem wir alle so viel zu verdanken haben.
Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker lässt keinen Zweifel: Egon Bahrs Entspannungspolitik „bereitete den Weg für die Überwindung der Teilung Europas“.
Stationen: Egon Bahr
1922: Geburt am 18. März im Treffurt (Thüringen)
1956: Mitglied der SPD
1960–66: Sprecher des Berliner Senates
1969–74: Staatssekretär im Bundeskanzleramt
1972–90: Mitglied des Bundestages
1974–76: Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit
1976–1981: Bundesgeschäftsführer der SPD
Richard von Weizsäcker war von 1984 bis 1994 Bundespräsident. Der CDU-Politiker von 1981 bis 1984 Regierender Bürgermeister von Berlin (West).