Geschichte

Willi Brundert: ein Sozialdemokrat, den die SED nicht brechen konnte

Die SED macht 1950 dem sozialdemokratischen Vizeminister Willi Brundert den Prozess. Nach über sieben Jahren Einzelhaft flieht er in die Bundesrepublik. Dort ist er als Oberbürgermeister von Frankfurt erfolgreich. Hier stirbt er an den Haftfolgen.
von Lothar Pollähne · 16. Juni 2022
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Am 13. April 1950 berichtet die sozialdemokratische „Hannoversche Presse“ unter der Überschrift „Dazu dürfen wir nicht schweigen“: „Am 24. April soll in einem ‚Volkseigenen Betrieb‘ des Landes Sachsen-Anhalt ein Schauspiel aufgeführt werden, das es verdiente, in ganz Deutschland und weit über Deutschland hinaus sehr genau beobachtet zu werden:“ Das „Schauspiel“ — eher eine Farce — findet sinnigerweise auf der Bühne des Landestheater Dessau statt und geht als „Conti-Prozess“ in die Justizgeschichte ein.

Walter Ulbricht: Brundert ist ein feindlicher Agent

Angeklagt sind acht Männer, die beschuldigt werden, Vermögenswerte der Dessauer Conti-Gas AG in die Britische Zone transferiert zu haben, unter ihnen der ehemalige stellvertretende Wirtschaftsminister des Landes Sachsen-Anhalt, Willi Brundert (SED). Dem gilt das besondere Augenmerk der DDR-Mächtigen. Walter Ulbricht weiß über ihn zu berichten: “Wir wissen, dass die Feinde Agenten in unser Gebiet geschickt haben, die auf lange Sicht arbeiten. Zu diesen Leuten gehört auch Brundert, der von der englischen Wilton-Park-Schule kommt. Er wurde dort geschult in der Richtung der Rettung der kapitalistischen Herrschaft in Deutschland. Ich habe die Arbeiten Brunderts studiert. Brundert hat kapitalistische Theorien bei uns in der Praxis umsetzen wollen.“

Willi Brundert ist nicht ohne Grund ins Visier der Staats- und Parteikontrolleure geraten. Sie kannten seine Vita genau. Brundert wird am 12. Juni 1912 in Magdeburg als Sohn eines sozialdemokratisch orientierten Schriftsetzers geboren. Nach dem Abitur tritt er 1930 in die SPD und das „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ ein. Während seines Jurastudiums in Halle ist er Vorsitzender der „Sozialistischen Studentenschaft“ und freundet sich mit Adolf Reichwein, Theodor Haubach und Carlo Mierendorf an, die alle im Widerstand gegen Hitler und später im „Kreisauer Kreis“ aktiv sind. Nach Abschluss des Studiums wird Willi Brundert 1935 in Hamburg zum Dr. jur. promoviert.

Jahre in England werden ihm zum Verhängnis

Bis 1941 arbeitet er als Steuerjurist in einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in Berlin. Im September des Jahres wird Brundert zur Marine eingezogen. 1944 gerät er in britische Gefangenschaft und wird zeitweise im Camp 18 in Featherstone Park in Nordengland und in Wilton Park interniert. Dort werden junge Deutsche mit Ausbildungskursen auf ihr Leben in einem demokratischen Nachkriegsdeutschland vorbereitet. Brundert — obwohl selbst interniert — leitet einige dieser Kurse. Sein Aufenthalt in Wilton Park wird ihm im Dessauer Schauprozess als Ausbildung zum englischen Agenten ausgelegt, obwohl Brundert aus seiner Tätigkeit nie ein Geheimnis gemacht hat.

Im Sommer 1946 kehrt Willi Brundert nach Magdeburg zurück, wohl auch in der Hoffnung, alte Kontakte wieder herzustellen. Die SPD findet er in der alten Hochburg Magdeburg nicht mehr vor. Sie ist im April 1946 auf sowjetischen Druck hin mit der KPD zur SED zwangsvereinigt worden. Brundert schließt sich der neuen Partei an, da in deren Frühphase die Einflussmöglichkeiten beider Gründungsparteien anscheinend gleichwertig sind — ein Trugschluss, wie sich alsbald herausstellen soll.

Vizewirtschaftsminister in Sachsen-Anhalt

Noch im Jahr seiner Rückkehr wird Willi Brundert zum Ministerialdirektor im Wirtschaftsministeriums von Sachsen-Anhalt ernannt und damit zum Stellvertreter des Ministers. im Mai 1948 folgt die Ernennung zum Professor für Wirtschaftsrecht an der Universität Halle. Im Zuge der „Conti-Affäre“ wird Willi Brundert am 28. November 1949 verhaftet und der Wirtschaftssabotage, Agententätigkeit und des „Sozialdemokratismus“ beschuldigt. Am 29. April 1950 verurteilt die nachmalige Justizministerin der DDR, Hilde Benjamin, Willi Brundert im Dessauer Schauprozess zu 15 Jahren Zuchthaus. Siebeneinhalb Jahre verbringt Brundert überwiegend in Einzelhaft. Nach seiner Entlassung flieht er 1957 in die Bundesrepublik.

Nach einem längeren Sanatoriumsaufenthalt übernimmt Willi Brundert 1958 die Leitung der hessischen Landesfinanzschule in Rotenburg an der Fulda. Endlich kann sich Brundert auch wieder in seiner SPD engagieren und empfiehlt sich überregional für „höhere“ Aufgaben. Auf Bitten des Hessischen Ministerpräsidenten Georg August Zinn übernimmt Willi Brundert am 1. März 1963 die Leitung der Hessischen Staatskanzlei und wird Chef des Landespersonalamtes.

Als OB prägt er Frankfurt am Main

Schon ein gutes Jahr später schlägt Zinn seinen Staatssekretär als Kandidaten für das Amt des Frankfurter Oberbürgermeisters vor. Nach dem Rücktritt von Werner Bockelmann befindet sich die Frankfurter SPD in einer Krise, und Willi Brundert scheint der geeignete Krisenmanager. Am 2. Juli 1964 wird er gewählt und erwirbt sich rasch allseitigen Respekt, obwohl er wegen der hohen Verschuldung der Stadt unpopuläre Entscheidungen treffen muss. So sagt er 1965 die für 1969 geplante Bundesgartenschau ab und erhöht Gebühren und kommunale Steuern. Gleichzeitig forciert Willi Brundert den Bau der Frankfurter U-Bahn, die 1968 in Betrieb geht.

Schwer gezeichnet von den Spätfolgen seiner Haftzeit wird er am 19. März 1970 wiedergewählt. Willi Brundert stirbt am 7. Mai 1970 mit nur 57 Jahren und erhält ein Ehrengrab auf dem Frankfurter Hauptfriedhof.

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Lothar Pollähne

ist Journalist und stellvertretender Bezirksbürgermeister in Hannover.

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