Geschichte

Wiederaufbau der Gewerkschaften nach 1945

von Die Redaktion · 5. Dezember 2005
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Mit zu den ersten Opfern der Nazidiktatur gehörten 1933 SPD und Gewerkschaften, weil sie Freiheit und Demokratie am konsequentesten verteidigten. Ihre Organisationen wurden zerstört, aber ihre motivierenden Ideen überlebten. So wurden nach der Befreiung 1945 überall in Deutschland Sozialdemokraten aktiv, die vor Ort mit dem Wiederaufbau der SPD und der Gewerkschaften begannen. Allerdings gibt es für die Gewerkschaften keine so markanten und präzisen ,,Gründungsdaten" wie für die SPD: 19. April 1945 um Kurt Schumacher in Hannover, 16. Juni um Otto Grotewohl in Berlin.

Das hängt einerseits mit der restriktiven Politik der Militärregierungen in den Westzonen zusammen: Offiziell wurden Gewerkschaften zunächst nur auf lokaler und später auf regionaler Ebene zugelassen. Erst Ende 1946 und Anfang 1947 konnten Landesverbände gegründet werden, im April 1947 der Deutsche Gewerkschaftsbund für die britische Besatzungszone.

Andererseits ging es bei den Gewerkschaften nicht, wie bei der SPD, nur um eine Wieder-, sondern auch um eine Neugründung. Denn die Diskussionen in Exil und Widerstand hatten zu dem Konsens geführt: Keine Wiedergründung der alten ,,Richtungsgewerkschaften" (sozialdemokratisch, christlich, liberal, kommunistisch), sondern Neugründung einer "Einheitsgewerkschaft" für alle Arbeitnehmer, und zwar für Arbeiter, Angestellte und Beamte, unabhängig von ihren parteipolitischen Überzeugungen. Das bedeutete jedoch, keine strikte Distanzierung von der SPD. Denn die meisten Gewerkschafter, die mit dem Neuaufbau der "Einheitsgewerkschaft" begannen, waren frühere sozialdemokratische Gewerkschaftsfunktionäre. Über 80 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder in der Weimarer Republik waren in den sozialdemokratischen "Freien Gewerkschaften" organisiert.

Zur herausragenden Führungspersönlichkeit beim Neuaufbau der Einheitsgewerkschaft wurde Hans Böckler. Im Kaiserreich und in der Weimarer Republik war er sozialdemokratischer Gewerkschaftsfunktionär und Politiker (1928-1933 Mitglied des Reichstags). Schon vor Kriegsende begann er 1945 als Verfechter der Einheitsgewerkschaft in Köln mit dem Neuaufbau der Gewerkschaften. Im April 1947 wurde er auf dem Gründungskongreß zum Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes für die britische Zone gewählt, in dem 1948 schon 42 Prozent aller Arbeitnehmer organisiert waren. Auf dem Gründungskongress im Oktober 1949 wurde er zum Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) gewählt und blieb bis zu seinem Tod am 16. Februar 1951 im Amt.

Aus dem Bekenntnis zur "parteipolitischen Neutralität" folgte keineswegs, dass sich die ,,Einheitsgewerkschaft" nur noch unpolitisch als rein ökonomische Interessenvertretung verstand. In einer "Entschließung der VII. Interzonenkonferenz" im Februar 1948 in Dresden heißt es: "Es ist Aufgabe der neuen deutschen Gewerkschaften, an der Herstellung eines geeinten Deutschlands durch den Wiederaufbau der Wirtschaft, der sozialen Gesetzgebung politisch maßgeblich mitzuwirken." Das Verhältnis zu den einzelnen Parteien werde davon abhängen, "in welchem Maße die Parteien die Forderungen der Gewerkschaften unterstützen bzw. sie zu ihren eigenen machen". Programmatische Übereinstimmungen (u.a. Forderung nach Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien und Wirtschaftsdemokratie durch Mitbestimmung) waren auch mit bedingt durch personelle Verflechtungen: Die meisten Gewerkschaftsführer waren zugleich Mitglieder oder führende Politiker der SPD; die meisten SPD- Abgeordneten waren (und sind noch) Mitglieder einer DGB-Gewerkschaft (1953: 142 von 162 Bundestagsabgeordneten, 2003: 186 von 251).

Darüber hinaus wirkten nach 1945 die sozialen Ideen der SPD über die eigene Anhängerschaft hinaus, z. B. bekannten sich große Teile der CDU zu einem "christlichen Sozialismus". In zahlreichen politischen Konflikten mit der CDU/CSU unterstützten die Gewerkschaften die SPD, z. B. bei der Ablehnung der Wiederbewaffnung und der atomaren Bewaffnung der Bundeswehr, der Entspannungspolitik im Interesse des Friedens und der deutschen Wiedervereinigung. Darüber hinaus wirkte die Einheitsgewerkschaft auch in der Tradition einer Kultur- und Bildungsbewegung: 1946 Gründung des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts, 1947 Büchergilde Gutenberg und Bund-Verlag, Sozialakademie in Dortmund, 1948 Bildungswerk "Arbeit und Leben".

Von Horst Heimann

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