Wie Willy Brandt die Sozialistische Internationale wiederbelebte
Als sich die Sozialistische Internationale (SI) Ende November 1976 in Genf traf, war sie in einer schlechten Verfassung. Bruno Pittermann, Vorsitzender seit 1964, war schwer erkrankt und konnte sein Amt schon längere Zeit nicht richtig wahrnehmen. Die Parteien, die in der SI zusammengefunden hatten, strebten zunehmen in unterschiedliche Richtungen: Die SI drohte in eine Mittelmeer- und eine Nordische Internationale zu zerfallen.
Ein Neuanfang für die SI
In dieser Situation trat Willy Brandt, der Vorsitzende der SPD und frühere Bundeskanzler, am 26. November ans Mikrofon. „Wir brauchen einen Neubeginn unserer Zusammenarbeit“, machte der den Delegierten des SI-Kongresses gleich zu Beginn klar. Er selbst wolle als SI-Vorsitzender seinen Beitrag dazu leisten, sei dabei aber „ auf viel Unterstützung angewiesen: auf guten Rat und auf die Bereitschaft, einander zu verstehen und sich zu verständigen, Aufgaben zu übernehmen, Kräfte zusammenzuführen und in vernünftiger Abstimmung sinnvolle Initiativen zu ergreifen“.
Worin diese Initiativen bestehen müssten, umriss Brandt in klaren Worten. „Nur eine Offensive für den gesicherten Frieden kann der Menschheit die Zukunft garantieren“, zeigte sich Brandt überzeugt. 1975 seien weltweit fast 300 Milliarden Dollar für die Rüstung ausgegeben worden. „Würde auch nur ein nennenswerter Teil der destruktiven Ausgaben konstruktiv zum Wohlergehen der Menschheit investiert, wie viel Not könnte gelindert, wie viel Elend aus der Welt geschafft werden!“ Den bestehenden Rüstungswettlauf bezeichnete Brandt als „Marathon des Irrationalismus“.
„Feldzug gegen den Hunger“
In seiner Rede plädierte Brandt auch für eine „neue Solidarität“ zwischen den Ländern der Erde. „Die reichen Nationen werden nicht reich bleiben, wenn die Armenhäuser der Menschheit wachsen“, sprach er den SI-Delegierten ins Gewissen – und plädierte „für neue Beziehungen zwischen Nord und Süd“. Es sei die Aufgabe der Sozialdemokratie, einen „Feldzug gegen den Hunger, gegen die Bevölkerungsexplosion, gegen das Genozid der Not“ zu führen.
Brandts Rede begeisterte nicht nur die Delegierten, sondern wurde auch Richtschnur für den Weg, den die Sozialistische Nationale in den folgenden Jahren einschlagen sollte. Wichtiger noch als die Rede auf offener Bühne waren für das Auferstehen der SI aber wohl Brandts Bemühungen hinter den Kulissen des Genfer Kongresses. Der „Vorwärts“ zumindest sah in seiner Ausgabe vom 2. Dezember 1976 dank diverser Gespräche, die Brand am Randes des Kongresses führte, „deutliche Anzeichen für einen Neubeginn der Zusammenarbeit in der SI“.
Die Parteien der SI rücken zusammen
In der Schweiz seien die europäischen Parteien der Sozialistischen Internationale „enger zusammengerückt“, was nicht zuletzt am „Aufeinanderzugehen und Zusammenwirken der französischen und der deutschen Partei“ gelegen habe. Eine wichtige Bedeutung hatte hier sicher auch die Wahl bedeutender internationaler Sozialdemokraten als stellvertretende SI-Vorsitzende, etwa des Österreichers Bruno Kreisky, des Schweden Olof Palme, des Franzosen Francois Mitterand und des Israelis Yitzack Rabin. Und so konnte der „Vorwärts“ zuversichtlich feststellen: „Die SI gewinnt neues Leben.“
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.