Geschichte

Wie die Märzrevolution zum Grundstein der Arbeiter*innenbewegung wurde

Wirtschaftliche Krisen, soziale Notlagen und das Vorenthalten von Grundrechten ließen die Menschen 1848 in vielen Regionen Europas aufbegehren. Am 18. März erreichte die Revolutionswelle Berlin – mit weitreichenden Folgen.
von Susanne Kitschun · 18. März 2023
Symbolische Aufbahrung der Opfer der Märzrevolution auf dem Berliner Gendarmenmarkt 2008: Wir kennen meist nur ihren Namen, Beruf, Alter und Wohnort.
Symbolische Aufbahrung der Opfer der Märzrevolution auf dem Berliner Gendarmenmarkt 2008: Wir kennen meist nur ihren Namen, Beruf, Alter und Wohnort.

Politische Mitwirkungsmöglichkeiten waren in Europa bis 1848 völlig unterentwickelt. Dagegen wandte sich eine kritische Öffentlichkeit: Liberal und demokratisch ausgerichtete Gruppen forderten Verfassungen, Presse- und Versammlungsfreiheit sowie die Ausweitung des Wahlrechtes. Auch viele Frauen engagierten sich. Die jüdische Bevölkerung setzte sich für Gleichberechtigung ein.

Ein Funke aus Paris entfacht ein europäisches Feuer

Die Bevölkerung Berlins hatte sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verdoppelt, Fabriken und Elendsquartiere waren entstanden. Die Mehrheit der Bevölkerung lebte am Rande des Existenzminimums oder sogar darunter. Die Unzufriedenheit mit den politischen und sozialen Zuständen wuchs. Die ersten Handwerker organisierten sich, es kam zu Streiks und Hungerunruhen. „Wir tanzen hier auf einem Vulkan“, schrieb Heinrich Heine bereits 1842.

Auch anderswo in Europa war die Not groß. Im Februar 1848 veröffentlichten Karl Marx und Friedrich Engels das „Kommunistische Manifest“, in dem sie die ausbeuterischen Lebens- und Arbeitsbedingungen anprangerten. Politische Wirkung entfaltete es erst später.

Um das Versammlungsverbot zu umgehen, traf man sich in Paris bei großen Tischgesellschaften unter freiem Himmel, in Wien in Kaffeehäusern, in Berlin im Tiergarten vor den Stadttoren. Das Verbot einer solchen Veranstaltung führte in Paris am 21. Februar zu heftigen Straßen- und Barrikadenkämpfen und zur Ausrufung der Republik. Der Funke sprang schnell über, und ein politischer Flächenbrand in ganz Europa war die Folge.

Barrikadenkämpfe in Berlin

Im März 1848 fanden in Berlin täglich Protestversammlungen statt. Forderungen nach demokratischen Rechten wurden diskutiert und Petitionen an den König formuliert. Immer mehr Menschen, auch Arbeiter*innen aus den Vorstädten, strömten zu den Versammlungen. Es kam zu Zusammenstößen mit der Polizei.

Am Vormittag des 18. März gab der preußische König Friedrich Wilhelm IV. nach, machte Zugeständnisse und gewährte die Pressefreiheit. Erfreut versammelten sich Tausende Berliner*innen vor dem Schloss. Besorgt um ihre Sicherheit forderten sie den Rückzug des Militärs. Die Situation eskalierte, als sich versehentlich zwei Schüsse lösten. Die Versammelten fühlten sich verraten. Unterstützt von immer mehr herbeieilenden Menschen errichteten sie spontan mehr als 900 Barrikaden und verteidigten sie gegen die anstürmenden Soldaten. Am Morgen des 19. März hatte die Revolution zunächst gesiegt.

Wer waren die Revolutionär*innen?

Rund 280 Revolutionär*innen starben bei den Berliner Barrikadenkämpfen oder erlagen später ihren Verletzungen. Wir kennen meist nur ihren Namen, Beruf, Alter und Wohnort. Rund 85 Prozent der Toten entstammten den besitzlosen Schichten. Es waren Menschen ohne anerkannte politische Stimme, vor allem verarmte Handwerker und Arbeiter*innen. Elf Frauen waren darunter. Mehr als ein Drittel der Gefallenen war jünger als 24 Jahre. Auch jüdische Menschen waren überproportional beteiligt.

Die revolutionären Akteur*innen der Straßenkämpfe waren damit – nicht nur in Berlin – deutlich diverser als das Paulskirchen-Parlament in Frankfurt am Main. Die starke Fokussierung der Erinnerungspolitik auf die Nationalversammlung verstellt damit bis heute den Blick auf revolutionäre Frauen und ärmere Teile der Bevölkerung, die die Revolution mittrugen. Zudem waren es erst die auf den Straßen errichteten Barrikaden, die es ermöglichten, dass im Parlament frei über die Zukunft diskutiert werden konnte.

Geburtsstunde der Arbeiter*innenbewegung

Die Barrikadenkämpfer*innen erstritten unter Einsatz ihres Lebens auch, dass sich Arbeiter und Gesellen organisieren konnten. Allein in Berlin gab es von Ende März bis Ende April 1848 vierzehn Arbeitsniederlegungen. Fast alle waren erfolgreich. Am 11. April gründete sich das „Central-Comité der Arbeiter“. Zum Präsidenten wurde der Frühsozialist und Buchdrucker Stephan Born gewählt. Die neue Organisation (aus Arbeitern und Gesellen) forderte insbesondere Mindestlöhne, feste Arbeitszeiten und kostenlose Schulbildung. Bereits Ende August 1848 gründete sich in einem Kongress eine erste gewerkschaftsähnliche Organisation auf nationaler Ebene: die „Allgemeine Deutsche Arbeiterverbrüderung“. 

Auch wenn die Revolution noch keinen Sieg erringen konnte: Die Organisationsmacht der Arbeiter*innen wuchs von da an weiter. Ein wichtiger Grundstein für die Arbeiter*nnenbewegung war gelegt.

Der Friedhof der Märzgefallenen – Gedenkort der Revolution

In Berlin errichteten die Aufständischen für die gefallenen Barrikadenkämpfer*innen einen eigenen Friedhof. Dort wurden – ungewöhnlich für die Zeit – insgesamt 255 Menschen unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit bestattet. Von Anfang an war der Friedhof immer beides: Ort individueller Trauer und Ort politischer Forderungen nach Demokratie und Freiheitsrechten.

Bereits im Sommer 1848 strömten Tausende auf den Friedhof, um die Forderungen der Märzrevolution zu bekräftigen. Das Gedenken ließ sich auch nach der Niederschlagung der Revolution nicht verbieten. Später kam die Erinnerung an die Pariser Commune vom 18. März 1871 hinzu. Gedacht wurde vor allem von Mitgliedern der Arbeiter*innenbewegung, aber auch von bürgerlichen Demokrat*innen.

So überrascht es wenig, dass für die Arbeiter*innenbewegung der 18. März lange der zentrale Tag des Jahres war – als Vorgänger des 1. Mai.

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Autor*in
Susanne Kitschun

ist Leiterin des Gedenk- und Ausstellungsortes Friedhof der Märzgefallenen.

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