Geschichte

Wie der „Vorwärts“ zur Plattform für linke Künstler wurde

Der „Vorwärts“ stärkt in der Weimarer Zeit seinen Erfolg, weil er nicht nur über Politik berichtet. Romane, Bilder und Karikaturen von namhaften Schriftstellern und Künstlern schmücken das Blatt.
von · 27. September 2016

Das Feuilleton hat in den Anfängen des „Vorwärts“ bei den Redakteuren und Politikern wenig Ansehen. Das ändert sich je mehr der „Vorwärts“ in der Weimarer Republik zu einem Leitmedium avanciert. Neben neuen, leserfreundlichen Rubriken wie „Unterhaltung und Wissen“, die Hintergründiges und Kurioses bietet, erscheinen zweimal wöchentlich die „Frauenstimme“ und einmal im Monat der „Jugend-Vorwärts“. Mit „Blick in die Bücherwelt“ wird eine Literatur- und Kunstbeilage eingeführt.

Beflissenen Kulturredakteuren ist es zu verdanken, dass sich der „Vorwärts“ in Richtung Kulturschaffender öffnet und somit auch zur Plattform für politisch links engagierte Künstler wird – und dieses bis heute auch bleibt.

Käthe Kollwitz: Nein zum Krieg

Die Bildhauerin Käthe Kollwitz etwa ist nicht nur eine regelmäßige Leserin des „Vorwärts“ sondern vertritt dort auch ihre politischen Positionen. So widerspricht sie Richard Dehmel, der kurz vor Kriegsende 1918 die Deutschen in einem Aufruf noch zum Durchhalten auffordert, um dem „Unterwerfungsfrieden“ zu entgehen. „Es ist genug gestorben! Keiner darf mehr fallen!“ erwidert Kollwitz im „Vorwärts“.

Die Werke namhafter internationaler und nationaler Autoren werden in der SPD-Zeitung veröffentlicht. Zu den ausländischen Schriftstellern zählen Guy de Maupassant, Emile Zola, Fjodor M. Dostojewski, Maxim Gorki und Lew N. Tolstoi, aber auch Skandinavier wie Martin Andersen-Nexö, dessen deutscher Erfolg von „Pelle der Eroberer“ mit der Veröffentlichung im „Vorwärts“ beginnt.

Zu den deutschsprachigen Schriftstellern gehören René Schickele und Joseph Roth. Letzterer schreibt parallel zu seiner Mitarbeit bei der damals renommierten „Frankfurter Zeitung“ als „der rote Joseph“ auch für den „Vorwärts“. Kurt Tucholsky zählt ebenfalls zu den Autoren, die in der SPD-Zeitung, publizieren – auch wenn er später der Sozialdemokratie eher kritisch gegenübersteht. Belege seines Schaffens für den „Vorwärts“ befinden sich noch heute im Kurt Tucholsky Literaturmuseum von Schloss Rheinsberg. 1925 wird schließlich B. Travens antikapitalistischer Fortsetzungsroman „Die Baumwollpflücker“ veröffentlicht, das proletarische Pedant zu bürgerlichen Fortsetzungsromanen à la Hedwig Courths-Mahler, wie man sie in Blättern wie der „Gartenlaube“ findet.

Direkte Angriffe auf Hitler

Angst vor Kontroversen hat der selbstbewusste „Vorwärts“ keine. Das zeigt auch sein Hang zur politischen Karikatur. Ab September 1929 persifliert Erich Ohser alias e. o. plauen mit spitzer Feder die totalitäre Linke und Rechte. Sein Lieblingsopfer: Adolf Hitler. Das soll ihn später teuer zu stehen kommen: 1944 wird Ohser denunziert – er nimmt sich in der Nacht vor seiner Hinrichtung das Leben.

Auch den Zeichner Hans Baluschek bringen seine Arbeiten in Gefahr: Er gehört zum linken Flügel der SPD, hat Sympathien für marxistische Ideen und stellt die unmenschlichen Lebensbedingungen des Proletariats in den Mittelpunkt seiner Kunst. Dafür wird er 1933 von den NS-Schergen als „marxistischer Künstler“ verurteilt.

Ein anderer Zeichner, der sich dem proletarischen „Milljöh“ widmet, ist Heinrich Zille. Sarkastisch-liebevoll hält er Szenen aus dem Alltag von Arbeitern fest und versieht sie mit in schnodderigem Berliner Dialekt verfassten Bildunterschriften. Wilhelminismus und Weimarer Republik kommen bei Zille nie gut weg.

Wichtiges Medium für Künstler

So staatstragend der „Vorwärts“ zu Weimarer Zeiten also ist, so kritisch ist er auch. Während die SPD einerseits offiziell die Weimarer Verfassung verteidigt, bietet der „Vorwärts“ andererseits kritischen Betrachtern wie Zille eine Plattform. Er wendet sich einerseits – ganz auf SPD-Linie – gegen die Kommunisten, beschäftigt aber andererseits Hans Baluschek, der mit kommunistischen Ideen liebäugelt. Ein ständiges Hin und Her zwischen Parteilinie und dem Wunsch, eigene Akzente zu setzen.

 Der „Vorwärts“ macht mit Kunst und Kultur Politik, und Künstler sehen in ihm offensichtlich ein Medium, das ihnen Platz und eine Stimme gibt – je nachdem auch die Groschen für eine warme Mahlzeit.

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