Wie der „Vorwärts“ 1967 über den Tod Benno Ohnesorgs berichtete
Als am 2. Juni der tötliche Schuss auf den Studenten Benno Ohnesorg abgegeben wurde, war der „Vorwärts“ gerade am Tag zuvor erschienen. 1967 war er die „sozialdemokratische Wochenzeitung für Politik, Wirtschaft und Kultur“. Der Tod Ohnesorgs ist deshalb erst in der Augabe vom 8. Juni 1967 ein Thema, allerdings auch nur eher am Rande.
Ohnesorgs Tod und die Reaktion des Berliner Senats
Unter der Überschrift „FU in der Krise“ findet sich erst auf Seite 8 ein zweispaltiger Arikel (unter einem längeren Beitrag über die Deutsche Fußballmeisterschaft von Eintracht Braunschweig), in dem Autor Ernst Elitz den „harten Kurs gegen die Berliner Studenten“ in den Tagen nach dem Besuch des Schahs von Persien und seiner Frau im Westteil der Stadt beschreibt. In dem Bericht gibt Elitz die offizielle Version der Umstände von Ohnesorgs Tod wider. Dieser sei „von dem Zivilbeamten, der – wie der Polizeibericht siebzehn Stunden später meldete – aus Notwehr handelte, durch einen Schuß in den Hinterkopf getötet“ worden.
Im Folgenden schreibt Elitz über die Reaktionen des Berliner Senats, dessen Entscheidung, für die randalierenden Studenten Schnellgerichte einzuführen sowie „ein Demonstrationsverbot für das gesamte Stadtgebiet“ zu erlassen. Elitz beschreibt auch, dass sich am Tag nach Ohnesorgs Tod, einem (vorlesungsfreien) Samstag, „Tausende von Studenten auf dem Campus der FU“ versammelt hätten, um ihres Kommilitonen zu gedenken. „Jetzt hat sich die politische Führung der Stadt zu einem harten Kurs gegen die Studenten entschlossen. Mit welchem Ende freilich, das weiß noch niemand abzusehen“, schließt Elitz seinen Artikel.
Kritik am Fehlverhalten der Berliner Polizei
Eine Woche später, in der „Vorwärts“-Ausgabe vom 15. Juni 1967, haben es die Vorgänge um den Tod von Benno Ohnesorg auf die Titelseite geschafft – und das, obwohl in den Tagen zuvor der Sechs-Tage-Krieg in Israel getobt hat. Beide Ereignisse teilen sich die erste Seite. Unter der Überschrift „Die Gründe suchen“ spricht die Redaktion (der Artikel ist nur mit dem Kürzel „S.B.“ gekennnzeichnet) nun von einem „Fehlverhalten der Polizei während der Demonstrationen vor der Deutschen Oper“ (in deren Rahmen der tödliche Schuss auf Benno Ohnesorg fiel, Anm.d.Red), das „von Hilflosigkeit und Verwirrung“ zeuge. „Es dürfte an der Zeit sein“, wird der Autor deutlicher, „die Haltung und das Selbstverständnis gewisser staatlicher Stellen grundsätzlich zu überprüfen“.
Hart ins Gericht geht S.B. aber auch mit den Berliner Studenten. Sie trügen „ihre Mitschuld an den Vorgängen“ rund um den Schah-Besuch, denn Steine seien „ein schlechtes Argument“. Das Verhalten der Studenten beweise „nur wenig demokratisches Verständnis“. Der Autor rät ihnen: „Die jungen Leute müssen sich davor hüten, einseitig-radikalen Sprechern zu folgen, denen es nicht um eine Verständigung und der Verbesserung der Lage, sondern allein um die Durchsetzung des eigenen Willens geht.“ Er mag dabei Rudi Dutschke vor Augen gehabt haben.
„Wie wird Berlin den Studentenkonflikt bewältigen?“
Auf Seite 5 derselben Ausgabe widmet sich Autor Bruno Naumann der politischen Dimension von Ohnesorgs Tod und fragt: „Wie wird Berlin den Studentenkonflikt bewältigen?“. Es ist davon überzeugt: „Alle Beteiligten haben Grund zur kritischen – und selbstkritischen Untersuchung.“ Dass das Berliner Abgeordnetenhaus am 7. Juni einen Ausschuss eingerichtet hatte, „der ohne Rücksicht auf Personen nach allen Seiten die Vorgänge untersuchen und die Schuldigen ermitteln soll“, begrüßt Bruno Naumann ausdrücklich. Die Ermittlungen müssten schnell zu einem Ende geführt „und das Ergebnis der Öffentlichkeit“ bekanntgegeben werden, um den Eindruck zu zerstreuen, das Abgeordnetenhaus wolle die Polizei in Schutz nehmen.
Berlins Regierender Bürgermeister Heinrich Albertz hatte zunächst den demonstrierenden Studenten die alleinge Schuld an Ohnesorgs Tod gegeben und am 8. Juni vor dem Abgeordnetenhaus erklärt: „Der tote Student ist das hoffentlich letzte Oper einer Entwicklung, die von einer extremistischen Minderheit ausgelöst worden ist, die die Freiheit missbraucht, um zu ihrem Endziel, der Auflösung unserer demokratischen Grundordnung, zu gelangen.“ Auch diese Äußerung wird Bruno Naumann im Kopf gehabt haben, als er schrieb: „Die leidenschaftlichen Debatten der Parlamentarier und der Versuch einer sachlichen und eindringlichen Berichterstattung durch den Regierenden Bürgermeister Heinrich Albertz (...) konnten dem kritischen Beobachter das Gefühl einer Beruhigung nicht vermitteln.“
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.