Wie aus der Friedlichen Revolution ein neuer Aufbruch für Ostdeutschland werden kann
Dirk Bleicker
Wo warst du am 7. Oktober 1989? Die Frage geistert am Montagabend durchs Atrium des Willy-Brandt-Hauses. 43 mutige Frauen und Männer hoben an diesem Tag, dem 40. Jahrestag der Gründung der DDR, in Schwante bei Berlin eine sozialdemokratische Partei aus der Taufe: die SDP. Genau 30 Jahre später erinnert SPD mit einer Festveranstaltung an das Ereignis.
SDP-Gründung war „ein Meilenstein für die deutsche Sozialdemokratie“
Dietmar Nietan, Schatzmeister der Partei und ihr Geschichtsbeauftragter, weiß noch genau, wo er sich am 7. Oktober 1989 aufgehalten hat: „bei Onkel Jürgen in Kölleda in Sachsen-Anhalt“. Schon damals, während einer einwöchigen Reise durch die DDR, sei die Veränderung an jeder Ecke zu spüren gewesen, erzählt Nietan, der aus dem Rheinland stammt.
Die Gründung der SDP sticht aus Nietans Sicht aus den Ereignissen im Herbst 1989 besonders hervor. „Es war ein Meilenstein für die deutsche Sozialdemokratie und die deutsche Demokratiegeschichte, dass mutige Menschen in der DDR gesagt haben, sie gründen eine Partei.“ Was heute einfach klingt, war zur damaligen Zeit schließlich illegal.
„Wir brauchen auch heute wieder einen Demokratieaufbruch“
„Wir dürfen stolz darauf sein, dass wir als Ostdeutsche der SPD-Geschichte ein eigenes Kapitel hinzugefügt haben“, findet auch Martin Dulig. „Das war mutig!“ Der heutige stellvertretende Ministerpräsident von Sachsen und Ostbeauftragte des SPD-Parteivorstands war im Herbst 1989 gerade 15 Jahre alt und erinnert sich an einen „Belagerungszustand“ des Dresdner Hauptbahnhofs: Ausreise- und Bleibewillige trafen hier aufeinander. „Es herrschte große Unsicherheit, aber auch eine große Verlockung“, erinnert sich Dulig.
Letztlich habe der Mut gesiegt, Mut, der auch 30 Jahre nach Friedlicher Revolution und Mauerfall nötig sei. „Wir brauchen auch heute wieder einen Demokratieaufbruch“, fordert Dulig. Die Kraft dafür könne man auch aus der Erinnerung an die Ereignisse von 1989 schöpfen.
Ein „historisches Wunder“
Als „historisches Wunder“ bezeichnet Wolfgang Thierse die Friedliche Revolution und ihr Ergebnis den Mauerfall. Allerdings sei das Wunder erst durch das Handeln von Menschen entstanden, nicht zuletzt derjenigen, die die SDP gründeten. „Sie war ein gewichtiger Teil der Friedlichen Revolution“, betont Thierse, der ihr erst im Januar 1990 beitrat und wenig später ihr Vorsitzender bis zum Zusammenschluss mit der westdeutschen SPD wurde.
Doch auf den Mut des Anfangs folgten Ernüchterung und Enttäuschung – spätestens bei der ersten freien Volkskammerwahl im März 1990, bei der die – mittlerweile umbenannte – Ost-SPD nur 21,9 Prozent der Stimmen holte. „Wir sind für unseren nüchternen, kritischen Blick 1989 nicht belohnt worden“, resümiert Thierse.
„Wir alle hatten den Willen, etwas zu schaffen.“
Wie schwer es die SPD in der DDR zu Anfang hatte, berichtet Barbara Rinke. Von 1994 bis 2012 war sie Oberbürgermeisterin der thüringischen Stadt Nordhausen. „Wir hatten zuerst nichts: kein Papier, keinen Raum, in dem wir uns treffen konnten“, erinnert sie sich an die ersten Monate nach Gründung der SDP. Eines aber hätten die Menschen parteiübergreifend geteilt: „Wir alle hatten den Willen, etwas zu schaffen.“ Den vermisse sie heute häufig. Stattdessen bestimme Sprachlosigkeit den politischen Alltag.
Dass es auch anders geht, zeigt Onno Eckert jede Woche. „Freitag ab eins macht Onno deins“, heißt das Format, bei dem Bürgerinnen und Bürger den Landrat in Gotha mit ihren Sorgen und Nöten aufsuchen können. „Die Politik ist darauf angewiesen, im Gespräch zu sein“, findet Eckert. Und: „Wir müssen wieder mehr raus und unsere Wohlfühlzone verlassen!“ Den Menschen in Ostdeutschland rät er: „Sucht euch Dinge, auf die ihr stolz sein könnt!“
„Ich wünsche mir, dass der Osten etwas bayerischer wird.“
„Nehmt eure Interessen selbst in die Hand“, fordert auch Markus Meckel, einer der beiden Initiatoren der SDP-Gründung. Es sei wichtig, den Menschen Mut zu machen, manchmal müsse man ihnen „aber auch mal in den Hintern treten“. Dazu zählt aus Meckels Sicht auch, dass sich Ostdeutschland besser organisiert und mit einer Stimme spricht.
Matthias Platzeck, langjähriger Ministerpräsident von Brandenburg und Vorsitzender der „Regierungskommission Deutsche Einheit“, bringt es auf die Formel: „Ich wünsche mir, dass der Osten etwas bayerischer wird.“ Vom „Urselbstbewusstsein“ der Bayern könnten sich die Ostdeutschen eine Scheibe abschneiden. Denn eigentlich, so Platzeck, seien die Chancen für eine Verbesserung der Situation in Ostdeutschland zurzeit sehr gut. „Durch Klima- und Strukturwandel werden sich völlig neue Wirtschaftsfelder entwickeln“, ist Platzeck überzeugt. Richtig angepackt könnte das einen Vorsprung für Ostdeutschland bedeuten.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.