Geschichte

Wendepunkt der Republik

von ohne Autor · 26. Oktober 2012

Die »Spiegel-Affäre« verändert die Bundesrepublik: Strauß tritt ab, Adenauers Tage sind gezählt und die Pressefreiheit triumphiert

Es geschah am 26. Oktober 1961, um 21.30 Uhr, einem Freitagabend: Nach Redaktionsschluss der meisten Tageszeitungen und Nachrichtenschluss der beiden Fernsehsender – mehr gab es noch nicht – besetzte Polizei die Redaktion des „Spiegel“. Sperrte die Redaktion aus, beschlagnahmte Unterlagen und verhaftete Chefredakteur Rudolf Augstein sowie weitere Redakteure. In Spanien wurde mit Hilfe der Franco-Behörden der Redakteur Conrad Ahlers verhaftet. Die Nachrichten über Anlass und Umfang der Aktion blieben zunächst spärlich. Man sah im Fernsehen den damaligen Hamburger Innensenator Helmut Schmidt, dessen Polizisten Amtshilfe leisten mussten, mit skeptischer Miene. Die meisten Tageszeitungen blieben auf der Regierungslinie, dass der „Spiegel“ „Landesverrat“ begangen habe.

Was wurde dem „Spiegel“ vorgeworfen? Am 8. Oktober war unter der Überschrift „Bedingt abwehrbereit“ ein 17seitiger Artikel erschienen, der den mangelhaften Zustand der Bundeswehr beschrieb. Das sah die Bundesregierung als „Landesverrat“ und setzte die Bundesanwaltschaft in Marsch.

Im Schatten der Kuba-Krise
Der Termin war geschickt gewählt. Man konnte hoffen, im Schatten der Kuba-Krise operieren zu können. Außerdem würde der Bundestag wegen des Feiertags am 1. November nicht tagen, also hatte man Zeit für das Schaffen von Fakten.

Während die Medien zurückhaltend berichteten, geriet die Politik langsam in Bewegung, sodass am 8. November im Bundestag die Regierung gestellt wurde. Nach anfänglichem Zögern ging die SPD-Opposition zum Angriff über, gefolgt von einigen, aber nur einigen (!) Abgeordneten der FDP. Der Bundestag erlebte turbulente Sitzungen, in denen von Stunde zu Stunde deutlicher wurde, dass die Bundesregierung illegal gehandelt hatte. In ihrer wachsenden Bedrängnis bereicherte sie die politische Sprache mit seitdem vielverwandten Floskeln: „Ein Abgrund an Landesverrat“, „etwas außerhalb der Legalität“ und „Man kann nicht immer das Grundgesetz unter dem Arm tragen“. Für die SPD stritt besonders ihr stellvertretender Fraktionsvorsitzender Fritz Erler. Am Ende der Parlamentsgefechte, denen langsam die Öffentlichkeit folgte, war klar, dass die Regierungsparteien Konsequenzen ziehen mussten. Als erster Minister trat der FDP-Justizminister Stammberger zurück, der zuständig gewesen wäre, den aber der CDU/CSU-Teil der Regierung getäuscht hatte. Am 19. November folgten ihm die restlichen FDP-Minister. Schließlich musste am 30. November auch der Veranlasser und Antreiber der Aktion, Verteidigungsminister Franz Josef Strauß, gehen.

Adenauer musste eine neue Regierung bilden. Kurze Zeit deutete sich sogar eine Große Koalition an, doch zu Weihnachten saß die FDP wieder in der Regierung, freilich unter der Bedingung, dass die Kanzlerschaft Adenauers enden müsse.

Strauß erlitt einen Karrierebruch, von dem er sich nicht erholte, die Kanzlerschaft blieb ihm versperrt. Die juristische Aufarbeitung der Aktion vollendete die Niederlage der Regierung. Gegen keinen der beschuldigten Journalisten wurde die Anklage vom Bundesgerichtshof angenommen. Das Bundesverfassungsgericht lehnte die Verfassungsbeschwerde des „Spiegel“ gegen die Bundesregierung wegen Verletzung der Pressefreiheit mit 4:4 Richterstimmen zwar ab, doch das Votum von vier Richtern war eine Ohrfeige für die Regierung. Trotz der Sperre der Redaktionsräume überlebte der „Spiegel“. Auch die Absicht der wirtschaftlichen Vernichtung scheiterte. Und die Affäre hatte die Zivilgesellschaft gegen die Regierung mobilisiert. Die Adenauer-Regierung sah sich plötzlich einem breiten Widerstand ausgesetzt. Es war die Furcht vor einem Abgleiten in einen autoritären Staat, die tausende mobilisierte. Für viele war die Spiegel-Affäre der Anstoß zu stärkerem politischen Engagement – nicht zuletzt in der SPD.

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