Geschichte

Welche Folgen Adenauers SPD-Bespitzelung hatte

Fast zehn Jahre lang ließ Konrad Adenauer die SPD-Führung bespitzeln. Das hat der Historiker Klaus-Dietmar Henke herausgefunden. Was an den Erkenntnissen neu ist und welche Folgen die Spionage hatte, weiß Historikerin Kristina Meyer.
von Kai Doering · 16. April 2022
Angst vor der SPD: Konrad Adenauer mit Willy Brandt 1960
Angst vor der SPD: Konrad Adenauer mit Willy Brandt 1960

Es war ein wahrer Paukenschlag. In der vergangenen Woche wurde bekannt, dass der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) den SPD-Parteivorstand fast zehn Jahre lang mithilfe des Bundesnachrichtendienstes (BND) und zweiter SPD-Mitarbeiter ausspionieren ließ. Entsprechende Belege hat der Historiker Klaus-Dietmar Henke im BND-Archiv gefunden. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert sprach von einem „beispiellosen Vorgang“.

Klar gegen demokratische Grundsätze verstoßen

„Konrad Adenauer war über sämtliche strategische Erwägungen der SPD-Führung informiert und konnte entsprechend darauf reagieren“, fasst Kristina Meyer, die Vorsitzende des SPD-Geschichtsforums die Ereignisse aus der Anfangszeit der Bundesrepublik zusammen. Die Inhalte von rund 500 Besprechungen des Parteivorstands seinen zwischen 1953 und 1962 mithilfe des BND ans Kanzleramt weitergeleitet worden. „Alles, was im PV besprochen wurde, lag tags darauf auf dem Schreibtisch des Bundeskanzlers“, sagt Meyer im Podcast von spd.de.

„Brisant“ seien die Enthüllungen, „weil Adenauer, Globke und Gehlen klar gegen rechtsstaatliche und demokratische Grundsätze verstießen“. Denn: „Das Ausspionieren des politischen Gegners war und ist illegal.“ Dass Adenauer die SPD ausspionieren ließ, sei zwar bereits seit 2017 bekannt gewesen. Damals hatte der „Spiegel“ dementsprechende Recherchen vorgenommen. „Neu ist, dass Henke die genaue Vorgehensweise und Systematik, das enorme Ausmaß und die handelnden Personen der Aktion rekonstruieren und belegen kann“.

Welche Motive hatten die SPD-Mitarbeiter?

Diese „neuen Erkenntnisse werfen grelles Licht auf das autoritäre, obrigkeitsstaatliche Demokratieverständnis Konrad Adenauers und seines Kanzleramtschefs“ Globke, so Meyer. Sie berichtet von einer „geradezu obsessive Feindschaft gegenüber allem, was als links galt“. Adenauer und Globke hätten mit allen Mitteln versucht, die SPD „als Vorposten des kommunistischen Regimes in der Sowjetunion zu diskreditieren“. Diese Haltung habe auch nach dem Ende der Bespitzelung noch nachgewirkt, etwa in der Kampagne „Freiheit statt Sozialismus“ gegen die SPD in den 70er Jahren.

Sie „rechne damit, dass sich CDU und Konrad-Adenauer-Stiftung noch zu diesen neuesten Entwicklungen äußern werden“, sagt Kristina Meyer im spd.de-Podcast. Beide sollen „sich offener dazu bekennen, dass ihre Ikone Adenauer kein makelloser Übervater, sondern eine durchaus ambivalente Figur war“. Doch auch für die SPD bedeuteten die Enthüllungen offene Fragen. Sie sollte sich damit beschäftigen, „dass zwei Sozialdemokraten beteiligt waren“, meint Meyer.

Über die Motive der beiden Parteivorstandsmitarbeiter Siegfried Ortloff an Siegfried Ziegler könne man heute „nur mutmaßen“. Unzufriedenheit mit neuen, aufstrebenden Personen in der SPD wie Brandt, Erler und Wehner kämen ebenso infrage wie Karrieregründe. „Mit dem politischen Tagesgeschäft unserer Gegenwart“, stellt Meyer klar, „hat das alles allerdings nicht viel zu tun“.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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