Was Willy Brandt über Ebert und Luxemburg dachte
„Gegen Ebert – für Luxemburg“ war der Titel einer Veranstaltung zu Willy Brandts Einschätzungen der Novemberrevolution 1918/1919. Um Komplexitätsreduktion ging es den anwesenden Historikern im Forum Willy Brandt wahrlich nicht. Besonders kompliziert wurde es, als der Vorsitzende der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung Ulrich Schöler darüber sprach, was Brandt über Ebert gesagt hatte. Drei Ebenen in einer Diskussion also. Dennoch stieß diese auf großes Interesse. Anwesend waren auch der ehemalige Vorsitzende der Historischen Kommission der SPD Siegfried Heimann sowie Markus Meckel, der vorletzte Außenminister der DDR und kein besonderer Freund von Rosa Luxemburg, wie sich später herausstellte.
Brandts erklärende, nicht verurteilende Kritik
Zunächst gab Schöler wieder, was Willy Brandt von Friedrich Ebert und Rosa Luxemburg gehalten habe. Demnach habe sich Brandts Sicht auf die beiden Politiker mit seiner biografischen und politischen Entwicklung verändert. Brandts „erklärende, nicht verurteilende Kritik“ an Ebert habe dessen Versagen, die Republik in Krisenzeiten zu stabilisieren, gegolten, so Schöler. Demnach beklagte Brandt „die Folgewirkungen eines zu zögerlichen Umgestaltungswillens der Mehrheitssozialdemokraten“. Dafür war auch die maßlose Überschätzung einer angeblichen Gefahr des „Bolschewismus“ und die daraus resultierende Bündnispolitik mit der monarchistischen Rechten mitverantwortlich. Die folgenschweren blutigen Auseinandersetzungen in der Arbeiterbewegung und der jahrelange Massenzuwachs für die KPD habe Brandt als Resultate ebendieser Fehleinschätzung gesehen.
Von dieser harschen Kritik an Eberts politischem Handeln habe sich Brandt in den Folgejahren etwas distanziert, meinte Schöler. So habe er später die „rationalen Motive“ Eberts und seiner Mitstreiter gewürdigt. Dazu habe auch seine Motivation, das damals „ausgeblutete und hungernde Volk möglichst rasch zu einigermaßen normalen Verhältnissen zurückführen“, gezählt.
Die radikal freiheitliche Sozialistin
Als die Historiker zu Brandts Sicht auf Rosa Luxemburg übergingen, kam Peter Brandt zu einem interessanten Fazit: Seiner Meinung nach habe sein Vater Willy Brandt die beiden Spartakusanführer – Liebknecht und Luxemburg – nie für Terroristen, sondern für radikal freiheitliche Sozialisten gehalten. Zu diesem Urteil sei Brandt unter anderem wegen Luxemburgs Kritik am Vorgehen der Bolschewiki gegen konkurrierende sozialistische Gruppierungen gelangt.
In der anschließenden Diskussionsrunde wurde über das politische Erbe Luxemburgs debattiert. Während sich heute SPD und Linke darüber streiten, wer Luxemburg für seine Erinnerungskultur beanspruchen dürfe, fand der ehemalige DDR-Außenminister Markus Merkel, dass man den „Mythos Luxemburg“ gar nicht brauche. Er frage sich, warum sie überhaupt so ein umstrittener „Fetisch“ sei. Seiner Ansicht nach sei Luxemburg „skeptisch gegenüber der parlamentarischen Demokratie“ gewesen und es deswegen nicht wert, sich um sie zu streiten.
Bekämpfung des Luxemburgismus in der DDR
Entgegen dieses Vorwurfs des Antiparlamentarismus verteidigte Schöler die Bedeutsamkeit von Luxemburgs politischem Erbe. Ihr komme wegen ihrer Rolle in der DDR so eine wichtige Bedeutung zu, weil die „stalinistische kommunistische SED“ Luxemburg wegen ihrer Verbindung zur Sozialdemokratie als „die Syphilis der Arbeiterbewegung“ diffamiert habe.
Wie der Titel der Veranstaltung „Gegen Ebert – für Luxemburg“ schon andeutete, lautete das Ergebnis der Diskussion, dass Brandt Luxemburg in seinen jungen Jahren verehrte. Man erinnere sich hier an Brandts eigene linksoppositionelle Haltung, die 1931 zu seinem Eintritt in die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands führte. In Brandts späteren Jahren habe sich diese jugendliche Begeisterung zwar gemäßigt, sich aber nicht zu einem „voreiligen Verdammungsurteil“ entwickelt, schlussfolgerte Schöler.
studiert Geschichte und Deutsche Literatur und war Praktikantin in der vorwärts-Redaktion von Oktober bis Dezember 2018.