Geschichte

Was die SPD von Herbert Wehner lernen kann

Am 19. Januar 1990, starb in Bonn Herbert Wehner. Er war ein leidenschaftlicher Sozialdemokrat und ein herausragender Parlamentarier. Die SPD kann einiges von ihm lernen.
von Christoph Meyer · 17. Januar 2020

Herbert Wehners politischer Lebensweg begann mit einer schroffen Ablehnung des Parlamentarismus. Mit 16 wurde er Anarchist, mit 20 dann Kommunist. Jung kam er in Führungspositionen, leistete Widerstand gegen den Nationalsozialismus und wurde in die stalinistischen Säuberungen verstrickt. Anders als die meisten Kommunisten lernte Wehner aus dieser Erfahrung. Nach 1945 setzte er sich leidenschaftlich für die parlamentarische Demokratie ein.

Parlamentarischer Staatsmann

Von Anfang an war Herbert Wehner der gesamtdeutsche Spitzenpolitiker der SPD-Fraktion im Bundestag. Von 1949 bis 1966 leitete er als Vorsitzender den Ausschuss für gesamtdeutsche und Berliner Fragen. Mit seiner Grundsatzrede am 30. Juni 1960 erkannte Herbert Wehner im Namen der SPD die Mitgliedschaft der Bundesrepublik in den westlichen Bündnissen an. Und nicht nur das. Die Rede endete mit einem Paukenschlag, einem staatspolitischen Satz, ausgesprochen von einem Dresdner Ex-Kommunisten, der eigentlich in jedes Geschichtsbuch gehört: „Innenpolitische Gegnerschaft belebt die Demokratie. Aber ein Feindverhältnis, wie es von manchen ge­sucht und angestrebt wird, tötet schließlich die Demokratie, so harmlos das auch anfan­gen mag.“

Die Rede schuf die Voraussetzung dafür, gemeinsam mit der Union zu regieren. Im Herbst 1966 war es so weit. Als stellvertretender Parteivorsitzender und amtierender Vorsitzender der Bundestagsfraktion führte Herbert Wehner die Sozialdemokratie in die erste Große Koalition. Er wurde Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen.

Legendäre Rededuelle mit Franz-Josef Strauß

Es folgte die sozialliberale Koalition von 1969 bis 1982. Herbert Wehner trat als Vorsitzender an die Spitze der SPD-Bundestagsfraktion. In diesem Amt bleibt er vielen in lebendiger Erinnerung. Seine Rededuelle mit Franz Josef Strauß, oft live und schwarz-weiß im Hauptprogramm des Fernsehens übertragen, sind geradezu legendär. Wehners Schärfe wurzelte in der tiefen Empörung über die Versuche von Unionspolitikern, die Taktik des Kampfes um die Macht im Staate über das gemeinsame Ziel der Gestaltung der Demokratie zu stellen.

Als Mitglied der Parlamentarischen Versammlung der EGKS, dem Vorläufer des Europaparlaments, trat er in den 1950er Jahren für mehr parlamentarische Rechte und für ein soziales Europa ein. Von Anfang an wirkte er mit im von Jean Monnet gegründeten „Aktionskomitee für die Vereinigten Staaten von Europa“.

Das gegenwärtige Erstarken nationaler Interessenpolitik – teils unter dem Druck rechter Bewegungen – Herbert Wehner hätte es bekämpft, ebenso die Instrumentalisierung europäischer und internationaler Lebensfragen für Strategien des innenpolitischen Machtgewinns.

Helfer mit Leib und Seele

Wehner sagte einmal, er sei „mit Leib und Seele Parlamentarier“. Ebenfalls mit Leib und Seele war er ein Helfer. „Helfen. Und arbeiten und nicht verzweifeln“ war sein Leitsatz. 1973 nahm er den direkten Kontakt zu Erich Honecker auf. Tausende Menschen aus der damaligen DDR haben ihre Freiheit dem persönlichen Einsatz von Herbert Wehner und seiner späteren Frau Greta zu verdanken. Dafür wurde er zu Lebzeiten und nach seinem Tode angefeindet. Zu Unrecht, wie inzwischen wissenschaftlich erwiesen ist.

In die Zeit Herbert Wehners als stellvertretender Parteivorsitzender von 1958 bis 1973 fällt die Wandlung der SPD von der Klassen- zur Volkspartei. Wehner wurde zum unermüdlichen Vorkämpfer der Erneuerung. Das modische Gerede von der Suche nach „Kernkompetenzen“, der Jagd nach einer „Schärfung des Profils“ und der Orientierung an bestimmten Schichten der Gesellschaft, etwa der „neuen Mitte“ oder der „arbeitenden Mitte“ hätte ihm aber nicht gefallen.

Herbert Wehner wollte die SPD als Volkspartei für alle Schichten der Gesellschaft, ohne dabei ihre Wurzeln in der arbeitenden Bevölkerung zu vernachlässigen. Für Wehner sollte die Sozialdemokratie sich an einer Idee orientieren, und das war für ihn „die Idee von einem Gemeinwesen, in dem das Menschenmögliche an sozialer Gerechtigkeit verwirklicht wird.“

Die Wiedervereinigung nicht mehr erlebt

Als Herbert Wehner am 19. Januar 1990 starb, war die Mauer gefallen, die deutsche Einheit stand bevor. Die Erfüllung seines Lebenstraums konnte er nicht mehr bewusst miterleben. Die Bundesrepublik Deutschland gedachte seiner mit einem Staatsakt. Bundespräsident Richard von Weizsäcker, Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth und der SPD-Partei- und Fraktionsvorsitzende Hans-Jochen Vogel würdigten ihn mit bewegenden Ansprachen.

Herbert Wehners leidenschaftlicher Einsatz gereicht der Sozialdemokratischen Partei und der parlamentarischen Demokratie der Bundesrepublik Deutschland nicht allein zur Ehre, er kann auch Ansporn und Vorbild sein.

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Autor*in
Christoph Meyer

ist Vorsitzender der Herbert-und-Greta-Wehner-Stiftung. Er ist Autor der Biografie „Herbert Wehner“ (dtv, 2006).

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