Geschichte

Warum Ebert 1922 das „Deutschlandlied“ zur Nationalhymne erklärte

Die SPD tut sich nicht immer leicht mit nationalen Symbolen. Dass ausgerechnet ihr Reichspräsident Friedrich Ebert am 11. August 1922 das „Deutschlandlied“ zur Nationalhymne erklärt, überrascht viele. Er hat dafür gute Gründe. Sie gelten auch heute.
von Lars Haferkamp · 10. August 2022
„Einigkeit und Recht und Freiheit“: Das Singen der Nationalhymne ist für die deutsche Fußballnationalmannschaft inzwischen zur Normalität geworden, hier am 7. Juni 2022 beim Spiel gegen England.
„Einigkeit und Recht und Freiheit“: Das Singen der Nationalhymne ist für die deutsche Fußballnationalmannschaft inzwischen zur Normalität geworden, hier am 7. Juni 2022 beim Spiel gegen England.

Vor 100 Jahren – am 11. August 1922 – wartet Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD) mit einem politischen Paukenschlag auf: Er erklärt das „Lied der Deutschen“ zur Nationalhymne. Er tut dies ganz bewusst am dritten Verfassungstag der noch jungen und ungefestigten ersten deutschen Demokratie, der Weimarer Republik.

Zahlreiche deutsche Tageszeitungen drucken an diesem Tag die Ansprache Eberts zum Verfassungstag ab. Hierin erklärt der Reichspräsident seine Entscheidung: „Einigkeit und Recht und Freiheit! Dieser Dreiklang gab in Zeiten innerer Zersplitterung und Unterdrückung der Sehnsucht aller Deutschen Ausdruck; es soll auch jetzt unseren harten Weg zu einer besseren Zukunft begleiten.“

Ebert: Keinen Missbrauch als Kampfgesang

Ebert wünscht sich, dass die Hymne gesungen werde „gegen Zwietracht und Willkür“. Vor allem aber will er sie nicht den Demokratiefeind*innen und Republikverächter*innen von Rechtsaußen überlassen. Er drückt das so aus: Das Deutschlandlied „soll nicht Missbrauch finden im Parteikampf, es soll nicht der Kampfgesang derer werden, gegen die es gerichtet war, es soll auch nicht dienen als Ausdruck nationalistischer Überhebung“. Nicht wie die Nationalist*innen, sondern „so, wie einst der Dichter, so lieben wir heute Deutschland über alles“. Er wünscht sich, es „soll unter den schwarzrotgoldenen Fahnen der Sang von Einigkeit und Recht und Freiheit der festliche Ausdruck unserer vaterländischen Gefühle sein“.

Und so kommt es dann auch. Jedes Jahr bei den Verfassungsfeiern der Weimarer Republik in und vor dem Reichstag in Berlin wird die Hymne „Einigkeit und Recht und Freiheit“ gesungen. Sie wird damit zu einem Bekenntnis zu den Grundwerten der freiheitlichen parlamentarischen Demokratie. Ebert gelingt es, wenn auch nur für kurze Zeit, den Rechten das Lied ein Stück weit zu entwinden.

Kritik von der politischen Linken

1922 begrüßt die große Mehrheit der Öffentlichkeit die Entscheidung des Präsidenten für das Deutschlandlied. Sie ist der nicht ohne Erfolg gebliebene Versuch, sich auf der einen Seite klar von Nationalist*innen und Rechtsextremist*innen abzugrenzen und zugleich konservative Patriot*innen mit der jungen Republik zu versöhnen. Das gefällt nicht allen. So kommt vereinzelte Kritik an Eberts Votum auch aus dem Lager der politischen Linken im Reichstag. Hier kritisiert man besonders den Titel der ersten Strophe – „Deutschland, Deutschland über alles“ – der viele an den Imperialismus der Kaiserzeit erinnert.

Auch dies ein Grund, warum sich viele in der SPD zunächst nicht leicht tun mit nationalen Symbolen wie dem Deutschlandlied. Traditionell steht die Sozialdemokratie, wie nahezu alle Arbeiterparteien der 1920er Jahre, für Internationalismus. Sie kämpft gegen jede Form von Nationalismus oder Imperialismus, die Deutschland in die Katastrophen der beiden Weltkriege stürzen.

Von den Nazis missbraucht

Der Text des Deutschlandliedes ist jedoch deutlich älter, älter als die Weimarer Demokratie, älter sogar als die SPD. Er stammt vom Germanistik-Professor August Heinrich Hoffmann von Fallersleben aus dem Jahr 1841. Fallersleben drückt darin seine Sehnsucht nach Freiheit und Einheit der Deutschen aus. Das führt dazu, dass die preußischen Behörden ihm ein Jahr später seine Professur und Pension entziehen und ihn des Landes verweisen. Obwohl das Deutschlandlied also in der Tradition der Demokratiebewegung von 1848 steht, bleibt es umstritten.

Das hängt auch damit zusammen, dass es immer wieder von rechten Kräften instrumentalisiert und missbraucht wird. Ein besonders perfides Beispiel dafür ist das Agieren der Nationalsozialisten nach 1933: Sie singen die erste Strophe des Deutschlandliedes und dann unmittelbar daran anschließend das Horst-Wessel-Lied. Somit wird aus der Hymne für „Recht und Freiheit“ ein Kampflied der menschenverachtenden NS-Diktatur.

Langes Ringen nach dem Krieg

Das hat Folgen nach dem Krieg. Hoffmann von Fallerslebens Lied der Deutschen gilt vielen als geradezu kontaminiert, als Ausdruck nationalistischer oder sogar nationalsozialistischer Gesinnung. Entsprechend schwer tut sich die junge Bundesrepublik mit dem Thema Nationalhymne. Während Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) am Deutschlandlied festhält, lehnt es Bundespräsident Theodor Heuss (FDP) entschieden ab. Der Präsident startet sogar einen Wettbewerb für eine neue Nationalhymne, ohne – wie er selbst erkennen muss – überzeugende Ergebnisse.

Schließlich gibt Heuss nach. Er erkennt 1952 widerstrebend das Lied der Deutschen als Nationalhymne der Bundesrepublik an. Allerdings soll bei offiziellen Anlässen nur noch die dritte Strophe – „Einigkeit und Recht und Freiheit“ – gesungen werden, nicht mehr die erste Strophe – „Deutschland, Deutschland über alles“ .

Heute gelassener Umgang

So wird es bis heute praktiziert. Die Vorbehalte gegen die Hymne, besonders von der politischen Linken, verschwinden erst allmählich. Es ist kein Zufall, dass die CDU am Ende ihrer Parteitage das Deutschlandlied singt, während die SPD-Parteitage bis vor kurzem Arbeiterlieder – „Wann wir schreiten Seit‘ an Seit‘ – singen.

Die Schwierigkeiten vieler in der Bundesrepublik mit der Hymne zeigen sich auch im Fußball. Jahrelang hören die Spieler der deutschen Fußball-Nationalelf schweigend zu, wenn im Stadion vor einem Länderspiel das Deutschlandlied erklingt. Die Fußballweltmeisterschaft 2006 in der Bundesrepublik löst viele dieser Vorbehalte auf. Sie zeigt der Welt, dass die Deutschen endlich gelernt haben, sich zu ihrem Vaterland zu bekennen, fröhlich und entspannt, ohne sich über andere zu erheben. Doch bis dahin ist es ein weiter Weg. Eine wichtige Wegmarke ist dabei die Entscheidung Friedrich Eberts vom 11. August 1922 für das Deutschlandlied als Nationalhymne der Republik.

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