Geschichte

Warum der „vorwärts“ nicht irgendeine Zeitung ist

Anfang der 1980er Jahre plante die SPD-Spitze, den „vorwärts“ einzustellen. Der Künstler Klaus Staeck wollte das nicht hinnehmen. Im Interview erklärt er, wie die Parteizeitung gerettet wurde - und: wie ihre Zukunft aussehen sollte.
von Renate Faerber-Husemann · 21. Oktober 2016

Herr Staeck, jene in der SPD, die ­damals für die Einstellung des ­„Vorwärts“ waren, konnten sich auf eine deprimierende Umfrage beziehen: 81 Prozent der Mitglieder waren zwar für den Erhalt des „Vorwärts“, aber nur 4 Prozent lasen ihn. Zeigt das nicht das ganze Dilemma einer Parteizeitung?

Wenn man die Zahlen so simpel gegeneinander stellt, trifft das sicherlich zu. Aber alle, die ich damals ansprach, waren der Meinung, der „Vorwärts“ ist ein Stück SPD-Geschichte, das ist nicht irgendeine Zeitung! Die muss gerettet werden! Ich gehöre zu den Leuten, die nicht immer jammern, wenn irgend etwas in Gefahr gerät, sondern ich frage mich sofort: Wo ist die Feuerwehr? Und kann man der Feuerwehr noch, wenn Not am Mann ist, beitreten, um zu löschen? Das ist mein Lebensprinzip. Und so haben wir gesagt: Wir machen noch einen Versuch unter dem Motto: „Rettet den Vorwärts“. Die Bereitschaft dabei zu helfen, war groß. Wir mussten nicht betteln gehen. Ich weiß noch, wie der Schatzmeister mit etwas grimmiger Miene in der Stadthalle saß und dem Treiben zusah. Und am Ende des Abends waren alle der Meinung: Nach so einer Veranstaltung kann man den „Vorwärts“ nicht einstellen. Das war einer der wenigen greifbaren Erfolge, die wir mit unseren Veranstaltungen je erlebt haben.

Was war denn das Besondere an ­diesem Abend?

Ich glaube, der wichtigste Verteidiger des „Vorwärts“ damals war Dieter Hildebrandt. Der war immer unser treuester Freund, wenn es darum ging, etwas zu retten, zu verteidigen und er verlangte nie auch nur einen Pfennig Honorar. Mit seiner wunderbaren satirischen Art drehte er die Stimmung: Aufbruch statt Weltuntergang. Das hätte ja auch eine Beerdigungsstimmung sein können, weil ja die Beerdigung des „Vorwärts“ drohte. Ich erinnere mich noch, dass wir Spenden sammelten, signierte Bücher und vieles andere verkauften, um damit den „Vorwärts“ zu unterstützen. Das war natürlich nur eine symbolische Geste, aber wir haben einiges Geld eingesammelt, das wir dann dem „Vorwärts“ zur Verfügung stellten. Das hat ihn bestimmt nicht gerettet, aber als Symbol war das wichtig.

Willy Brandt hat damals gesagt: Ein Blatt, das Bismarcks Sozialistengesetz und den Nationalsozialismus überlebt hat, darf nicht sterben.

Natürlich war das richtig. Eine Partei, die ein Instrument aufgibt, mit dem sie zumindest versucht, die ­Öffentlichkeit zu erreichen, gibt sich selber auf. Bei der augenblicklichen medialen Situation, das konnte man im jüngsten Bundestagswahlkampf ganz genau sehen, wird eine Partei, wenn sie keine neuen Wege findet, um die Menschen zu erreichen, nicht mehr gewinnen. Davon bin ich fest überzeugt.

Das heißt, der „vorwärts“ (ab 1994 klein geschrieben – Red.) wird vielleicht mehr denn je gebraucht?

Bei der vielen Konkurrenz, die es im Printmarkt gibt, müsste er in jeder Ausgabe, ein, zwei Neuigkeiten haben, und wenn sich nur der politische Gegner informiert: Was haben sie jetzt wieder vor? Also wenn ich mir die TTIP-­Debatte anschaue, dann müssen dazu natürlich kritische Artikel im „vorwärts“ und auf vorwärts.de stehen.
Wenn ein Parteivorstand allerdings glaubt, dieser „vorwärts“ ist nur ein Verlautbarungsorgan seiner Beschlüsse, dann wird er kaum eine Chance haben, was die mediale Verbreitung von politischen Ideen anbelangt.

Wie würden Sie sich den „vorwärts“ heute wünschen?

Man muss in der schwierigen ­Si­tuation, in der sich die Linke befindet, ein Forum bieten für spannende Debatten. Das klingt jetzt so allgemein, wenn man abstrakt darüber reden soll. Ich denke an Karikaturen, an ­einen Kunstteil zum Beispiel. Ein Wort noch an die Genossen: Die SPD war um ihre Mitglieder nie zu beneiden. Sie suchen den Gegner, sobald es einmal schwierig wird, zuerst in den eigenen Reihen, bevor sie versuchen, sich mit dem wahren Gegner zu messen. Wir vernachlässigen auch das wunderbare Wort Solidarität. Also, ich spreche nicht von Kadavergehorsam, sondern davon, die Balance zu halten. Das ist mühsam, man muss kämpfen. So­zialdemokraten habe ich leider oft als schreckhaft empfunden, die anderen sind viel frecher. Wir haben doch eine gute Botschaft! Wer kann denn schon auf mehr als 150 Jahre politischen Anstand zurückblicken? Da wird man nur wenige Organisationen finden in diesem Land. Daraus erwächst aber auch eine Verpflichtung!

Was wäre denn heute die Aufgabe ­einer Parteizeitung der SPD?

Auf jeden Fall muss sie das Gemeinschaftsgefühl fördern. Auch durch Kritik. Kritik ist ja nichts Negatives, sondern in der Regel bringt sie uns voran. Was denn sonst! Ich bin überzeugt, auch nach 56 Jahren Mitgliedschaft, dass die SPD dringender denn je gebraucht wird. Denn sie ist, was die ­Demokratie anbelangt, die einzige Konstante seit mehr als 150 Jahren.Und eine solche Stabilität ist wichtig für die Demokratie. Das Dilemma besteht darin, dass die Krönung in der Politik immer der bestmögliche Kompromiss ist. Am Kompromiss ist aber nichts faszinierend. Wenn lange gestritten wird und dann einigen sich die verschiedenen Parteien auf einen Weg, den möglichst viele mitgehen können, dann ist daran gar nichts faszinierend. Und dennoch immer wieder Begeisterung zu schaffen, das ist die Aufgabe.

Es waren immer Werte wie Freiheit und – ein großes Wort – politische Moral, die die SPD in schwierigen ­Zeiten zusammengehalten haben. Muss man sich selbst immer wieder daran erinnern?

Das Dilemma der Freiheit besteht darin, dass man ihren Wert oft erst über den Verlust erkennt. Wer die Unfreiheit nie erlebt hat, der kann die Freiheit nur schwer schätzen. Das ist die Sorge, die ich im Augenblick habe. Aber ich bin dennoch immer noch stolz auf diese Truppe, der ich vor 56 Jahren beigetreten bin, übrigens angeregt durch Fritz Erler.

Und der nun 140 Jahre alte „vorwärts“ – wie sehen Sie seine Zukunft?

Frohen Mutes werde ich für diesen „vorwärts“ immer wieder eintreten, auch wenn er erneut in Frage gestellt werden sollte. Ich glaube fest daran, dass wir, solange wir uns als analoge Wesen verstehen, auch das Gedruckte haben wollen.

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Autor*in
Renate Faerber-Husemann

(† 2023) war freie Journalistin in Bonn und Erhard-Eppler-Biografin.

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