Warum der Berliner Senat einen U-Bahn-Fahrer ehrt
Als Martin Dibobe im kamerunischen Bonapriso geboren wurde, war die Welt eine andere als heute. Es war das Jahr 1876: Die europäische Sozialdemokratie steckte noch in den Kinderschuhen, in Amerika war gerade erst das Telefon erfunden worden und Kolonialmächte wie England, Frankreich oder Deutschland herrschten noch über riesige Gebiete in Asien und Afrika.
Eine der deutschen Kolonien war Kamerun in Westafrika. Dort wurde Quane a Dibobe in einem Dorf der Duala geboren. Dass sein christlicher Taufname, Martin Dibobe, 140 Jahre später ein Mietshaus in einer Berliner Seitenstraße zieren würde, hätte damals wohl niemand gedacht.
„Völkerschau“ und „Rassekunde“
Am Montag enthüllte die SPD-Staatssekretärin Hella Dunger-Löper zusammen mit der Historikerin Katharina Oguntoye eine „Berliner Gedenktafel“ zu Ehren von Martin Dibobe im Stadtteil Prenzlauer Berg. Damit ehrt der Berliner Senat einen politischen Aktivisten, der sich für die Menschenrechte engagierte und der Sozialdemokratie nahe stand. Vor allem aber werde damit zum ersten Mal eine „Berliner Gedenktafel“ an einen Vertreter der afrikanischen Diaspora vergeben, wie Katharina Oguntoye vom Verein „Joliba“ in ihrer Laudatio betonte. Die weißen Porzellanplaketten, von denen es bisher rund 140 Stück in Berlin gibt, erinnern an historische Persönlichkeiten, die „dem Grundsatz der kulturellen Vielfalt verpflichtet“ seien, erklärte Dunger-Löper.
Für Martin Dibobe trifft dies in besonderem Maße zu. Es sei nicht zu unterschätzen, wie er den „Wechsel von einer Kultur zur anderen zu meistern“ verstand, sagte Oguntoye. Im Alter von 20 Jahren kam er nach Deutschland, um 1896 bei der Berliner Gewerbeausstellung seine Heimat zu repräsentieren. Er habe damals wohl gehofft, in Berlin in den Austausch mit Deutschen treten zu können, sagte Oguntoye. Diese Hoffnungen seien jedoch bitter enttäuscht worden: Im Rahmen der damals beliebten „Völkerschauen“ wurden Dibobe und seine Begleiter aus Westafrika sechs Monate lang ausgestellt wie Tiere im Zoo. Die Menschen „wurden zum exotischen Objekt“ degradiert, erklärte Katharina Oguntoye. Doch damit nicht genug: Auch entwürdigende Experimente durch „Rassekundler“ der Berliner Charité mussten sie über sich ergehen lassen. Dibobe wehrte sich zunächst gegen die rassistischen Versuche, „wurde aber verpflichtet, an diesen Untersuchungen teilzunehmen“, so Oguntoye.
Beamter mit Sympathien für die SPD
Nach dem schwierigen Start in Deutschland ging es aber aufwärts für Dibobe. In der Nähe von Berlin absolvierte er eine Lehre als Schlosser, heiratete später die Tochter seines Vermieters und trat 1902 eine Stelle bei der Berliner Hochbahn an, wo er nach kurzer Zeit zum Zugführer aufstieg – damals eine Position mit Beamtenstatus und hoher gesellschaftlicher Achtung.
„Politisch engagierte er sich im sozialdemokratischen Umfeld“, erläuterte Katharina Oguntoye. In einer Petition an die Weimarer Nationalversammlung forderten er und andere Mitglieder der afrikanischen Diaspora im Juni 1919 auch für den globalen Süden die „Selbstständigkeit und Gleichberechtigung, wie es jetzt in der neuen socialen Republik in Deutschland eingeführt ist“. Unterstützt wurde Dibobe damals von SPD-nahen Journalisten sowie sozialdemokratischen Politikern, sagte Katharina Oguntoye.
Ehrung für die afrikanische Diaspora
Die Idee für eine Gedenktafel zu Ehren von Martin Dibobe kam vom Verein „Berlin Postkolonial“ und dem Bündnis „Decolonize Berlin“, die sich für Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte stark machen.
Dass der Berliner Senat Dibobe mit einer Gedenktafel ehrt, ist ein Zeichen, dass die afrikanische Diaspora in Berlin nun auch von offizieller Seite gewürdigt wird. Mit Martin Dibobe geht die Auszeichnung dabei an einen typischen Berliner: multikulturell, kosmopolitisch und mehrsprachig war er – und als U-Bahnfahrer für den Vorgänger der heutigen BVG sogar so etwas wie ein echter Berufsberliner.
ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.