Geschichte

Vorbild für viele und strategischer Kopf der SPD

von Renate Faerber-Husemann · 3. März 2014

Vor 50 Jahren wurde Fritz Erler Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Helmut Schmidt, Holger Börner, Erhard Eppler, Horst Ehmke: Sie und viele andere bewunderten diesen großen Sozialdemokraten, der leider viel zu früh verstorbenen ist.

Fritz Erler hatte nie ein Regierungsamt, er hat als Abgeordneter von 1949 bis zum viel zu frühen Tod 1967 seine Partei nur als ewige Opposition mit entsprechend wachsender Frustration erlebt. Die Jüngeren kennen heute kaum noch seinen Namen, für die Zeitgenossen aber war er ein Hoffnungsträger, der die Umgestaltung der SPD von der Arbeiter- zur Volkspartei forderte und förderte. Er brachte seine Partei dazu, Bundeswehr und NATO-Mitgliedschaft zu akzeptieren. Er knüpfte erste Kontakte nach Polen – teilweise gegen den Widerstand der Vertriebenen in der eigenen Partei. Er war als Außenpolitiker ein nüchterner, messerscharfer Denker, dem man auch in den USA zuhörte.

Strategischer Kopf der Partei

Es waren die großen Führungsfiguren in der SPD, die ihn ohne Einschränkungen bewunderten: Für Helmut Schmidt – sein Nachfolger als Oppositionschef im Bundestag – war Fritz Erler der strategische Kopf der Partei, der das Zeug zum Bundeskanzler hatte. Für Holger Börner war er politisches Vorbild. Erhard Eppler nennt ihn seinen Mentor, der ihn nach vielen Diskussionen dazu brachte, aus der christlich-pazifistischen GVP aus- und in die SPD einzutreten. Horst Ehmke schwärmt heute noch von dem brillanten Rhetoriker und leidenschaftlichen Sozialdemokraten.

Er kann einfach alles

Erler wurde nach dem Tod des Partei- und Fraktionschefs Erich Ollenhauer am 3. Februar 1964 zum Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion gewählt. Drei Jahre später starb er an Leukämie, eine Tragödie für ihn, seine Familie und für die SPD. „Er kann einfach alles“, hat Herbert Wehner einmal fast staunend über ihn gesagt. Vor allem aber wollte Erler – so zitiert Hans-Jochen Vogel ihn – „die Partei aus der Ohnmacht der Opposition“ herausführen. Auch Vogel hat Erler bewundert und erinnert sich an dessen „tief wurzelnde Toleranz“. Immer wieder habe Erler Rosa Luxemburg und ihren berühmten Satz zitiert, dass Freiheit immer auch die Freiheit des Andersdenkenden sei. Vom Krankenbett aus bestärkte er seine SPD darin, die große Koalition (1966 – 1969) zu wagen, ohne die der Regierungswechsel zur sozialliberalen Koalition wohl nicht gelungen wäre. Dass Willy Brandt drei Jahre später Regierungschef wurde, durfte er nicht mehr erleben. Was aber war Fritz Erler für ein Mensch – über den funkelnden Verstand und die rednerische Begabung hinaus?

Überzeugter Widerstandskämpfer

Geprägt hat den Sohn einer Berliner SPD-Familie der Abscheu vor den Nazis.  Er gehörte zu der noch in der Spätzeit der Weimarer Republik gegründeten Gruppe „Neu-Beginnen“, die dann zur Widerstandsgruppe wurde. Fritz Erler war Kurier und Verbindungsmann im In- und Ausland. 1938 wurde er festgenommen und vom Zweiten Senat des Volksgerichtshofs 1939 wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu zehn Jahren Zuchthaus und Zwangsarbeit verurteilt. Da war er gerade 26 Jahre alt. Eine von mehreren Stationen war das KZ Aschendorfermoor im Emsland. Jene Zeit als Moorsoldat sei eine „Schule für das Leben – in der Hölle“ gewesen, hat er nach dem Krieg einmal geschrieben. Neben dem physischen Terror sei besonders „die Einsamkeit im eigenen Volk“ quälend gewesen. Kurz vor Kriegsende konnte er während eines Transports nach Dachau fliehen.

Klarer Kompass

Wenige Monate nach Kriegsende fand er sich wieder hinter Stacheldraht, diesmal eingesperrt von den Besatzern. Der Grund? Hilfe für junge Landsleute bei der Flucht aus der Fremdenlegion. Er hatte eben einen klaren Kompass, und das zeigte sich immer wieder auch in Bundestagsdebatten. Bei einer der vielen Auseinandersetzungen im Bundestag über die 12 Jahre Naziterror und den Umgang mit jenen, die man Mitläufer nannte und die dennoch wieder in politische Ämter drängten, konterte er scharf: „Wer mitläuft, kann nicht führen.“

Er gehörte zu den Zierden der deutschen Demokratie

Nach seinem Tod im Februar 1967 schrieb der Berliner „Tagesspiegel“: „Obwohl er keinen Titel getragen und kein öffentliches Amt bekleidet hat, wird Fritz Erler von der Geschichte zu den zehn Männern gezählt werden, die in den ersten zwei Jahrzehnten der Nachkriegszeit den stärksten Einfluss auf die deutsche Politik ausgeübt haben. Denn kaum einer war so sehr wie er berufen, Verantwortung zu tragen und politische Entscheidungen zu treffen.“ Und mit dem damals noch üblichen Pathos hieß es dann weiter: „Er gehörte zu den Zierden der deutschen Demokratie“.

Autor*in
Renate Faerber-Husemann

(† 2023) war freie Journalistin in Bonn und Erhard-Eppler-Biografin.

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