Geschichte

Vor 50 Jahren: Wie die SPD das Bafög einführte

Nach heftigen Debatten setzt die sozialliberale Koalition unter Bundeskanzler Willy Brandt das Bundesausbildungsförderungsgesetz durch. Es tritt am 1. September 1971 in Kraft und leistet seit 50 Jahren einen wichtigen Beitrag zur Chancengleichheit.
von Thomas Horsmann · 1. September 2021
Geld für Bildung statt für Rüstung: Schüler*innen, Lehrer*innen und Eltern demonstrieren 1970.
Geld für Bildung statt für Rüstung: Schüler*innen, Lehrer*innen und Eltern demonstrieren 1970.

Am 1. September 1971 ist es soweit. Das Bundesausbildungsförderungsgesetz tritt in Kraft. Erstmals erhalten alle Student*innen in der Bundesrepublik Deutschland einen einklagbaren Rechtsanspruch auf Ausbildungsförderung. Ein wichtiger Schritt in Richtung Chancengleichheit und ein Meilenstein in der sozialdemokratischen und deutschen Sozial- und Bildungspolitik. 

Prekäre Lage von Studierenden nach dem Krieg

Ein Blick zurück: Die Finanzierung von Ausbildung und Studium ist bis in die 1960er Jahre Privatsache. Schüler*innen und Student*innen sind vom Wohlwollen ihrer Familien und deren finanziellen Möglichkeiten abhängig. Chancengleichheit ist nicht gewährleistet. Unterstützung gibt es lediglich für besondere Ausbildungsleistungen und bestimmte Härtefälle. 

1952 schlagen die Student*innenwerke im Nachkriegswestdeutschland Alarm. Die erste Sozialerhebung zeigt, dass der noch zaghafte Wirtschaftsaufschwung nach der Währungsreform nicht bei den Studierenden ankommt und Sozialleistungen sie nur unzureichend erreichen. Ihre Lage ist prekär. Viele müssen nebenher arbeiten, um sich das Studium zu finanzieren. Mit dem Honnefer Modell (1957) und dem Rhöndorfer Modell (1958) soll sich das ändern. Doch es gibt keinen Rechtsanspruch auf Förderung, die Vergabe ist kompliziert, von Bundesland zu Bundesland verschieden und beruht auf überdurchschnittlichen Studienleistungen. 

Der Druck wächst

Doch die finanzielle Lage der Studierenden bessert sich nur kurzfristig. Denn in der Zeit des Wirtschaftswunders steigen Löhne und Preise deutlich, die Fördersätze können nicht mithalten. Schon bald klagen die Hochschulen über „Werkstudententum“ und eine dadurch verlängerte Studienzeit. Die Sozialdemokrat*innen fordern dringend Reformen, darunter einen Rechtsanspruch auf Förderung und eine Regelung auf Bundesebene. Jugendliche und junge Erwachsene sollen unabhängig von ihrer sozialen und wirtschaftlichen Situation eine Ausbildung absolvieren können.

Allerdings verliert die Sozialdemokratie Anfang der 1960er Jahre den Kontakt zum Großteil der Student*innenschaft, besonders zum Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS), ihrem ehemaligen Hochschulverband. Er radikalisiert sich und übernimmt die Führung der Student*innenschaft, die sich durch die Parteien nicht mehr vertreten fühlt. Mit der Außerparlamentarischen Opposition (APO) versucht sie, sich Gehör zu verschaffen.

Mit der sozialliberalen Koalition kommt der Fortschritt

Während der Großen Koalition nehmen auch die Demonstrationen für eine Hochschulreform zu. Ein erster Schritt ist eine Grundgesetzänderung Anfang 1969, in dem der Bund die Kompetenz für die Regelung der Ausbildungsbeihilfen bekommt. Der Weg für eine einheitliche Regelung der Ausbildungsförderung ist frei. Wie sie aussehen soll, ist allerdings heftig umstritten.

Die sozialliberale Koalition, die 1969 die Regierung übernimmt, setzt ihre Vorstellungen schließlich durch. Zunächst wird 1970 die Ausbildungsförderung für Schüler*innen geregelt. 1971 folgt das BAfÖG.

Fast 50 Prozent profitieren

Der Gesetzesvorlage stimmt der Bundestag in Bonn am 24. Juni 1971 nach heftiger Debatte zu. Der Bundesrat ruft den Vermittlungsausschuss an, dessen wenige Änderungsempfehlungen der Bundestag abschließend am 19. Juli akzeptiert. In der Begründung des Gesetzes schreibt Käte Strobel (SPD), Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit: „Der soziale Rechtsstaat, der soziale Unterschiede durch eine differenzierte Sozialordnung auszugleichen hat, ist verpflichtet, durch Gewährung individueller Ausbildungsförderung auf eine berufliche Chancengleichheit hinzuwirken.“ 

Im ersten Jahr des BAfÖG werden fast 50 Prozent der Studierenden gefördert. Ein Wert, der nie wieder erreicht wird. Zudem erhalten sie die Förderung als nicht zurückzahlbaren Zuschuss. Nach dem Ende der sozialliberalen Koalition 1982 streicht die CDU sofort das Schüler-BAfÖG und stellt das Student*innen-BAfÖG auf Volldarlehen um.

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