Vor 120 Jahren: Als die SPD-Frauen aufbegehrten
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Revolutionäres geschieht in der Mainzer Pfaffengasse. Es sind allerdings nicht die roten Fahnen vor der Gaststätte „Zur Wanz“ und ist nicht die am Eingang zum Wirtsgarten aufgestellte große Fotografie Liebknechts, die für Furore sorgen. Vielmehr ist es die erste Konferenz der sozialdemokratischen Frauen Deutschlands, die am Samstag, den 15. September 1900, von Ottilie Baader in der „Wanz“ eröffnet wird. Das hat es bis dahin noch nicht gegeben. Denn Frauen sind in den meisten deutschen Ländern politische Aktivitäten sowie Mitgliedschaft in Parteien und Vereinen untersagt.
Dem Aufruf zur ersten Frauenkonferenz der SPD, der in der sozialdemokratischen Zeitschrift „Die Gleichheit“ erscheint, folgen 60 Genossinnen aus ganz Deutschland, 20 davon sind Delegierte. Die Konferenz findet zwei Tage vor dem SPD-Parteitag statt. Ihr Ziel ist, der „sozialdemokratischen Frauenbewegung größere Einheitlichkeit und Stärke zu geben, um sie in den Stand zu setzen, alle ihr zufallenden Aufgaben im Dienst des weiblichen Proletariats und der Sozialdemokratie zu lösen“, sagt Baader bei der Eröffnung. Gemeinsam mit Clara Zetkin, der Chefredakteurin der „Gleichheit“, leitet sie die Konferenz.
Arbeiterinnen dürfen nicht in die SPD
Blick zurück. 1890, nach dem Ende des Sozialistengesetzes, können sich die Arbeiter in der SPD organisieren, die Arbeiterinnen, von denen es immer mehr in Deutschland gibt, dürfen das nicht. Das Vereinsgesetz verbietet es ihnen. Mit Frauenagitationskommissionen versucht die SPD ab 1891, dieses Verbot zu umgehen. Doch 1895 werden Agitationskommissionen nach dem Vereinsgesetz verboten. Ab 1896 versucht es die Partei mit weiblichen Vertrauenspersonen, die in jedem Wahlkreis für die politische und gewerkschaftliche Agitation unter den Arbeiterinnen zuständig sind.
Doch ihre Zahl nimmt nur langsam zu. Gründe gibt es viele: Die Frauen und ihre Arbeit werden vielfach nicht anerkannt, der Wert für die Partei mangels Wahlrecht nicht gesehen. Für Arbeiterinnen mit Familie ist es sowieso schwierig, sich auch noch politisch zu engagieren, da meist beide Elternteile zehn bis zwölf Stunden arbeiten und die Frauen dann noch Haushalt und Kinder versorgen. Und manche Männer verbieten ihren Frauen sogar ein politisches Engagement.
Arbeiterinnen und Arbeiter an einem Strang
Um Arbeiterinnen deutlich besser zu erreichen und in die Sozialdemokratie einzubinden, beschließt die Frauenkonferenz den Ausbau des Systems der Vertrauenspersonen, eine straffere Organisation, stärkere Vernetzung der Vertrauenspersonen untereinander, bessere Einbindung in die Partei und eine engere Zusammenarbeit mit den Genossen. Denn nur wenn Arbeiterinnen und Arbeiter gemeinsam agieren, sehen sie eine Chance, die Sozialdemokratie weiter erfolgreich auszubauen.
An der Spitze der Organisation steht die „Zentralvertrauensperson der Genossinnen Deutschlands“. In dieses wohl wichtigste Amt der proletarischen Frauenbewegung wird Ottilie Baader gewählt. „Die Fülle der Aufgaben ließ es fast vermessen erscheinen, diesen wichtigen Posten zu übernehmen, denn die Agitations- und Organisationsarbeit musste neben der Erwerbsarbeit geleistet werden, allein die Liebe zur Sache und das Versprechen der Genossin Zetkin, mir hilfreich zur Seite zu stehen, gab mir den Mut, das Amt zu übernehmen“, schreibt Baader später.
Tatsächlich gelingt es, die Zahl der Vertrauenspersonen massiv zu steigern. Der Kampf um Verbesserungen in der Lohnfrage, bei Arbeitszeit, Überstundenarbeit sowie bei den sanitären Bedingungen, dem gesetzlichen Schutz, der Gewerkschaftsorganisation, der Krankenversicherung und für das Wahlrecht der Frauen nimmt Fahrt auf. 1908 wird das Vereinsrecht reformiert. Von nun an können Arbeiterinnen offiziell der SPD beitreten. Erst mit dem Ende des Kaiserreichs wird im November 1918 das Wahlrecht für Frauen eingeführt. Der Kampf für Gleichberechtigung geht bis heute weiter.