Geschichte

Von der Schwierigkeit, einen Ausnahmemenschen zum Vater zu haben

von Renate Faerber-Husemann · 10. September 2013

Lars Brandt hat kürzlich in einem Interview mit dem „Spiegel“ den schönen Satz über seinen Vater Willy Brandt gesagt: „Wenn er im Zimmer war, war er präsent, aber es blieb Luft für andere, es waren nicht sofort, wums, alle an die Wand gedrängt. Es gibt ja Männer, die lieber an die Wand drängen.“

Viel ist geschrieben worden über die Begabung des Bundeskanzlers von 1969 bis 1974, ganze Marktplätze zu begeistern für sich und seine politischen Visionen –  im Zusammensein mit einzelnen Menschen dagegen zu verstummen, was die einen für Scheu hielten, die anderen für Desinteresse.

Willy Brandt als Vater und Ehemann

Der Schriftsteller Torsten Körner hat nun eine ganz besondere Biografie geschrieben über diesen Mann, den die Hälfte des Landes liebte, die andere Hälfte erbittert und oft genug persönlich verunglimpfend bekämpfte. Körner hat nicht in erster Linie der prominente Politiker interessiert, sondern der Privatmensch. Wie war dieser Willy Brandt, gesehen von seiner Tochter und seinen drei Söhnen? Wie war er als Vater, als Ehemann? „Familie Willy Brandt“ ist der eigenartige und doch so treffende Titel des dicken Buches, das man kaum aus der Hand legen möchte.  Lernt man diesen verschlossenen Ausnahmepolitiker nun besser kennen, der zumindest ältere Deutsche bis heute mehr beschäftigt als irgendein Politiker vor und nach ihm?

Torsten Körner muss ein sensibler Mann und ein guter Zuhörer sein, denn es ist ihm gelungen, Tochter und Söhne in intensiven Gesprächen zum Reden zu bringen. Sie schenkten ihm wohl ihr Vertrauen, denn sie stellten ihm viele  Briefe zur Verfügung, die der Vater an sie, der Ehemann an seine Frau Rut geschrieben hat. Es sind berührende Briefe, die vermuten lassen, dass es ihm aus der schreibenden Distanz leichter gelang, Nähe herzustellen als im persönlichen Gespräch.

Berührende Briefe

Ein gleichgültiger Vater war er sicher nicht, aber einer, der eher aus der Ferne beobachtete, der  respektierte, dass seine Kinder auf der Suche nach dem eigenen Lebensweg auch stolperten. Sie sind alle sehr politische Menschen, aber keine Politiker. Peter Brandt ist Historiker und reibt sich an diesem 20. Jahrhundert, das aus seinem Vater einen Emigranten gemacht hat, Lars Brandt ist Künstler und hat mit „Andenken“ ein wunderbares Buch über den Vater geschrieben, Matthias Brandt ist ein grandioser Schauspieler. Jedes der Kinder hat natürlich sein eigenes Vaterbild. Gemeinsam aber ist ihnen: Weder die norwegische Tochter Ninja, noch die drei Söhne klagen über ihre Kindheit und Jugend mit einem meist abwesenden Vater – anders als die Kohl- Söhne, die in Büchern und Talkshows mit ihrem Vater abrechnen. Sie klagen auch nicht über den von heute her gesehen unvorstellbaren Medienzirkus um die „Familie Willy Brandt“. Sie zogen sich irgendwann zurück, und auch das wurde von den Eltern akzeptiert.

Sicherlich hat Rut Brandt mit ihrer unkomplizierten Herzlichkeit vieles ausgeglichen und zum Beispiel dafür gesorgt, dass Freunde und Freundinnen der Kinder ohne Schwellenangst im Hause Brandt in Berlin wie in Bonn aus- und eingingen.

Schwierige Kindheit als Herbert Frahm

Willy Brandt - ein Natürlich versucht auch Körner, Gründe zu finden für die so oft beschriebene Distanziertheit, unter der die Familie bestimmt gelitten hat. Vielleicht, so deutet er an,  ist Willy Brandt durch die ersten zwanzig Jahre seines Lebens und die Flucht vor den Nazis nach Norwegen ein Heimatloser geworden und im tiefsten Inneren immer geblieben. In der öffentlichen Auseinandersetzung um den Namenswechsel nach seiner Heimkehr wird das deutlich: In Berlin wurde er von den eigenen Genossen heftig angegriffen, als er sich bei der Wiedereinbürgerung für den Namen Willy Brandt entschied, den er im Exil aus Sicherheitsgründen angenommen hatte. Willy Brandt alias Herbert Frahm höhnten ja nicht nur die politischen Gegner in der CDU. Offen wie selten schrieb er dazu 1952 an den Berliner Vorstand der SPD:

„Bei der Wiedereinbürgerung tauchte dann die Frage meines ursprünglichen Namens auf, mit dem mich fast nichts als eine schwierige Kindheit verband, den meine Mutter nicht mehr trug und den mein Vater nie getragen hatte. Jede andere Entscheidung hätte mich dem Vorwurf aussetzen können, dass ich aus den zurückliegenden Jahren etwas zu verbergen hätte.“

Ob die Söhne sich mit dem für sie meist so fernen Vater versöhnt haben? Diese Frage kann auch ein noch so einfühlsamer Biograf nicht beantworten. Zögernd, vorsichtig schreibt Körner gegen Ende seiner langen Reise durch das Leben der „Familie Willy Brandt“ als Fazit: „Vielleicht würden sie mir zustimmen, wenn ich vermute, dass die Familie Brandt eine starke Familie gewesen sein muss, sonst hätte sie nicht so starke Individuen entlassen.“



Info:

Torsten Körner: Die Familie Willy Brandt, Biographie

Fischer Verlag, Preis € (D) 19,99 | € (A) 20,60

ISBN: 978-3-10-401415-9

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Autor*in
Renate Faerber-Husemann

(† 2023) war freie Journalistin in Bonn und Erhard-Eppler-Biografin.

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