Geschichte

Vom Zar geholt – von Stalin vertrieben

von Peter Brinkmann · 21. Mai 2012

Die Musikwelt schaut am Samstag nach Aserbaidschan zum „Eurovision Song Contest“. Das Land hat auch eine deutsche Geschichte: Zar Alexander I. hat einst deutsche Bauern aus dem Schwabenland hierher gelockt. Jetzt wird das deutsche Erbe restauriert.

Baku – Stadt des Glanzes und des Öls. Und der Sänger. Am 26. Mai schaut die ganze Musikwelt nach Baku, der Hauptstadt von Aserbaidschan, wo der nächste „Song Contest“ stattfinden wird. Überschattet von Demonstrationen, Diskussionen über Menschenrechten.

Viele fragen sich: was passiert da eigentlich?  Wo liegt denn Aserbaidschan überhaupt? Gehört das noch zu Europa? Dabei gibt es vielfältige und schon sehr alte Beziehungen zwischen Deutschland und der Republik am Kaspischen Meer. Berti Vogts trainiert deren Fussball-Team; Ex-Außenminister Joschka Fischer ist Berater des Gasprojektes „Nabucco“, das ab 2015 Energie aus Aserbaidschan nach Europa liefern soll. Und von 1819 bis zum Überfall Hitlers auf die Sowjetunion 1941 lebten über 20 000 Deutsche in Aserbaidschan.

Helenendorf

Die Uhr am Kirchturm des evangelischen Gotteshauses St. Johannis in Helenendorf, mitten im islamischen Aserbaidschan, schlägt präzise. Sie ist deutsche Wertarbeit und ist wie die Kirche 1857 im heutigen Khanlar von deutschen Kolonisten gebaut worden. Mit 200 000 Euro deutschen Steuergeldern gerade frisch renoviert.

Heute ist sie ein Museum der Geschichte der Deutschen in Aserbaidschan, früher ein Mittelpunkt des kulturellen und gesellschaftlichen Lebens, zu Sowjetzeiten von 1920 – 1992 eine Turnhalle. Alles, was an die Deutschen von 1819 bis 1940 erinnert, wird heute sorgsam wieder hergerichtet. Die Weinkellerei arbeitet wieder, die Bierbrauerei auch. Der Friedhof der Deutschen wird gepflegt. Hier liegt auch Viktor Klein begraben. Er starb 2007, war der letzte Deutsche in Aserbaidschan.

Der Zar rief .. und viele kamen

Fikret Ismailov führt uns durch Helenendorf, das heute Khanlar heißt. Er ist 77 und Architekt. Für die KfW hat er die Restaurierung der Kirche überwacht. In Helenendorf wuchs die erste Kolonie der gottesfürchtigen Schwaben im heutigen Aserbaidschan. 1819 rief Zar Alexander I. die Deutschen ins Land.

Fikret Ismailov ist stolz auf das deutsche Erbe: „Schon die Straßen sind anders als in den Dörfern Aserbaidschans: Wie alle Alleen gerade gezogen, gepflastert, mit Bäumen am Wegesrand. Und schauen Sie einfach auf die Häuser – solide gebaut, zum Teil noch mit Namensschildern aus der Zeit vor fast 100 Jahren,“ sagt er voller Begeisterung.

Zar Alexander I. hatte 1804 beschlossen, das zuvor eroberte, von Muslimen bewohnte Gebiet im Süd-Kaukasus, auch von Christen besiedeln zu lassen. Die religiösen Schwaben hatten davon gehört und übergaben Alexander bei seinem Besuch in Stuttgart eine Petition. Gebt uns Land für Obst und Weinbau, stand darin. Der Zar tat es, gab Geld für Landwirtschaft und Maschinen.

Gekommen für den Weinbau

Auch die Vorfahren des späteren Spions Richard Sorge gehörten zu den neuen Siedlern. Sorge wurde ganz in der Nähe von Helenendorf geboren. Ich gehe mit Fikret in die St.Johanniskirche. In die neu renovierte Kirche soll mehr Leben einziehen und es wäre schön, wenn hier ein „Deutsch-aserbaidschanisches Kulturzentrum“ entstehen würde, so die Idee von Fikret. Schon jetzt wird die Geschichte der Deutschen an Hand von Fotos und Dokumenten erzählt. Freude und Leid, Dramen, die Deportation durch Stalin.

Gekommen waren die Schwaben, um hier – mitten im muslimischen Teil Russlands – Wein anzubauen. Christoph Vohrer (1827-1916) wurde z. B. zum bekanntesten Weinhändler im Russland des 19. Jahrhunderts. Doch Reichtum und Selbstbewusstsein der Schwabendörfer erleichtern Übergriffe der Rotarmisten und Enteignung. 1940 schließlich wurden alle 20 000 Deutsche bis auf vier Familien von Stalin vertrieben. Einer der blieb, war Viktor Klein. Er war der letzte Deutsche.

Der letzte Deutsche

„Er war mein Freund“, sagt Fikret Ismailov. „Ich war bei ihm, als er in seinem Haus nicht weit entfernt von der Kirche, starb. Ich will nun daraus mit deutscher Hilfe ein Museum über die Deutschen machen.“  Fikret und Viktor waren Freunde, gingen zusammen zur Schule. Viktor Kleins Vater war Arzt und wie die Mutter Kommunistin. Die Sowjets brauchten Ärzte und liebten Kommunisten. Die Kleins durften bleiben wie drei andere Familien auch.

Viktor Klein wurde 1935 geboren, schrieb in Deutsch, dachte in Deutsch und wurde bis zu seinem Tode 2007 nur „der Deutsche“ gerufen. Sein Freund Fikret Ismailov zeigt mir sein Haus. Es ist dreckig, ein großes weißes Haus mit Riesenkeller für Weinfässer, großem Boden für Getreide, kleinen Zimmern. In der Küche hängt ein Leinentuch, darauf ist gestickt: „Reinlichkeit ist Gesundheit“.

Viktor Klein war Radiotechniker. In seinem Wohnzimmer steht ein uraltes Radio mit einem Zettel dran.: „Für Dich“ In den Biedermeierschränken stapeln sich deutsche Illustrierte neben „Brehms Tierleben“, Schallplatten von Bach und anderen deutschen Komponisten, deutsche Zeitungen. Auf dem Klavier alte Fotos von seinen Eltern. Und ein Plastik-Weihnachtsbaum. „Den hatte er hier immer stehen“, sagt Fikret.

Aserbaidschan heute

1991 wurde Aserbaidschan von Moskau unabhängig. Ex-KP-Chef Heydar Aliyew wurde Präsident, jetzt amtiert sein Sohn Ilham. Die beiden sind allgegenwärtig auf Riesenbildern an jeder Ecke. Doch außer dem Personenkult und einigen Stalin Emblemen an Häusern ist wenig geblieben von 70 Jahren Sowjetdiktatur. Die Marktwirtschaft ist angekommen im Kaukasus Land. Aserbaidschan verfügt über reichlich Öl und Gas. Und die Einnahmen fließen seit 1991 nicht mehr nach Moskau, sondern in die eigene Kasse. Und das sieht man auf Schritt und Tritt.

Mit Ex-Außenminister Joschka Fischer haben die Aserbaidschaner einen sachkundigen Berater an ihre Seite geholt, während sein ehemaliger Chef, Ex-Kanzler Gerhard Schröder beim Konkurrenten Gazprom aktiv ist. Das Thema „Menschenrechte“ ist überall virulent, aber angesichts der starken ökonomischen Interessen zwischen Deutschland und Afghanistan wird es eher totgeschwiegen. Es gibt Demonstrationen in Baku, aber die Polizei geht mit großer Härte vor. Es wäre gut, so sagen einige Bürger in Helenendorf, wenn die Regierung ein wenig mehr von der Toleranz der Deutschen  aus früheren Tagen lernen würde.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare