Geschichte

Völkermord: Warum afrikanische Aktivisten die Bundesrepublik verklagen

Sie wollen eine Entschuldigung für die Verbrechen, die deutsche Truppen vor mehr als 100 Jahren in ihrem Land begangen haben. Deshalb haben Aktivisten aus Namibia vor einem New Yorker Gericht Klage gegen Deutschland eingereicht. Wie stehen ihre Chancen?
von Paul Starzmann · 11. Oktober 2017
Herero in NY
Herero in NY

Bei ihrem Feldzug gegen die Bevölkerung der Kolonie „Deutsch-Südwest“ vor mehr als 100 Jahren dachten sich die deutschen Offiziere immer neue Grausamkeiten aus: Sie legten ihre Gefangenen in Ketten, sperrten sie in Konzentrationslager, massakrierten Zehntausende. Vielen Toten ließen sie im Auftrag der „Rasseforschung“ sogar die Haut von den Knochen schälen. Die zügellose Gewalt gipfelte zwischen 1904 und 1908 in einen Völkermord – dem Genozid an den Herero und Nama auf dem Gebiet des heutigen Namibia.

Verhandlungen hinter verschlossenen Türen

Um dieses dunkle Kapitel deutscher Geschichte wird es am kommenden Donnerstag in einem Gerichtssaal in Manhattan gehen. Nachfahren der Genozid-Opfer, Vertreter von Herero- und Nama-Verbänden aus Namibia und den USA, haben vor dem „US District Court of New York“ eine Sammelklage gegen Deutschland eingereicht. Es geht bei dem Zivilprozess um die deutsche Geschichte, aber auch um die Wirren der internationalen Diplomatie.

Die Klage richtet sich gegen Deutschland als ehemalige Kolonialmacht. Seit 2015 verhandelt die Bundesrepublik mit der namibischen Regierung über eine Aufarbeitung der gemeinsamen Geschichte. Hinter verschlossenen Türen sprechen Sondergesandte über die Anerkennung der deutschen Schuld, eine offizielle Entschuldigung für den Genozid sowie Reparationszahlungen. Namibische Medien berichten derzeit über eine mögliche Entschädigungssumme von 25 Milliarden Euro.

Kläger pochen auf internationales Recht

„Die aktuellen Gespräche, selbst wenn sie abgeschlossen werden, sind für uns bedeutungslos“, sagt jedoch Esther Muinjangue, Vorsitzende des „Ovaherero Genocide Committe“ aus Namibia. Dass es nach jahrelangem Schweigen in der Politik jetzt überhaupt Verhandlungen über die Kolonialverbrechen gibt, ist Aktivisten wie ihr zu verdanken. Seit langem werben sie in beiden Ländern für eine Aufarbeitung der deutsch-namibischen Geschichte. Jetzt dürfen die Betroffenen bei den aktuellen Verhandlungen jedoch nicht mitreden.

Deshalb ziehen sie in New York vor Gericht, wollen einen Platz am Verhandlungstisch einklagen. Dabei berufen sich die Opfergruppen auf die „UN-Deklaration über die Rechte indigener Völker“ von 2007. Darin wird indigenen Gruppen das Recht eingeräumt, „an Entscheidungsprozessen in Angelegenheiten, die ihre Rechte berühren können, durch von ihnen selbstgemäß ihren eigenen Verfahren gewählte Vertreter mitzuwirken“. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Karamba Diaby unterstützt die Kläger aus Namibia: „Deutschland muss sich an die UN-Konvention für die Rechte indigener Völker halten und auch mit den Nachfahren der Herero verhandeln“, fordert er.

Verdrängen ist nicht mehr möglich

Unklar ist, ob das New Yorker Gericht dieser Argumentation folgen wird. Die Bundesrepublik akzeptiert bislang nicht einmal die Anklageschrift. Die deutsche Seite beruft sich auf die völkerrechtliche „Staatenimmunität“ und will deshalb auch keinen Vertreter nach New York schicken. Deshalb musste der Prozess seit Jahresbeginn bereits mehrfach vertagt werden. Jetzt könnte der „US District Court“ ab Donnerstag ohne deutsche Beteiligung weiterverhandeln. Ausgang offen. Ein Urteil gegen Deutschland ist nicht ausgeschlossen.

Dass sie das Gericht nun zum wiederholten Male anhört, können die Kläger aus Namibia bereits als Erfolg verbuchen. Ähnliche Vorstöße waren vor amerikanischen Gerichten bislang stets gescheitert. Auch könnte Deutschland durch den Prozess in New York nun weiter unter Druck geraten, offener mit seiner historischen Verantwortung umzugehen. Das Problem zu verdrängen, wie es Jahrzehnte lang getan wurde, ist jedenfalls nicht mehr möglich.

Opfergruppen: Bundestag muss sich entschuldigen

Die Nachfahren der Genozid-Opfer dürfte das freuen, da sie so ihrem Ziel möglicherweise ein Stück näherkommen: der offiziellen Anerkennung der deutschen Schuld. „Wir warten immer noch auf eine Entschuldigung“, sagt Esther Muinjangue mehr als 100 Jahre nach dem Völkermord. „Und die kann für uns nur vom Bundestag kommen.“ Ob sich das frisch gewählte deutsche Parlament mit seinen neuen Mehrheiten in der Sache bald bewegt, ist allerdings fraglich. Klar ist jedoch, dass die Opfergruppen auch in Zukunft auf eine Entschuldigung bestehen werden – unabhängig vom weiteren Verlauf des Verfahrens in New York.

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Autor*in
Paul Starzmann

ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.

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