Verbrechen gegen die Ukraine: Was ist der Holodomor?
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Wenn der Bundestag am Mittwochabend über die Ukraine debattiert, wird es nicht um die Lieferung von Waffen oder Hilfsgütern gehen. Im Mittelpunkt steht ein Ereignis, das bereits 90 Jahre zurückliegt. Seit 1928 wurde Millionen Bauern in der damaligen Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik ihre Ernte weggenommen, um die Menschen in Städten und Fabriken der Sowjetunion zu versorgen. Auf diese Weise sollte die Industrialisierung der Sowjetunion beschleunigt werden.
Der „Holodomor“ gilt in der Ukraine als Genozid
Weil gleichzeitig auch noch Getreide exportiert wurde, um Devisen für Wirtschaftsgüter zu erhalten und die Zwangskollektivierung landwirtschaftlicher Betriebe vorangetrieben wurde, litten viele Menschen auf dem Gebiet der heutigen Ukraine Hunger, zwischen 2,4 und 7,5 Millionen Menschen starben. Diktator Josef Stalin betrieb dies auch, um die sowjetische Herrschaft über die Ukraine zu festigen. In der Ukraine ist diese Zeit als „Holodomor“ („Hungertod“) bekannt. Das ukrainische Parlament hat ihn zum Genozid am ukrainischen Volk erklärt.
Diese Einschätzung teilt auch der Bundestag. In einem gemeinsamen Antrag von SPD-, Grünen-, FDP- sowie CDU/CSU-Fraktion wird der Holodomor als Völkermord bezeichnet, eine Einstufung, die in Russland unter Strafe steht. Hier wird eine Aufarbeitung der stalinistischen Verbrechen als Bedrohung der russischen Staatsräson gesehen. Im ukrainischen Mariupol baute die russische Armee im Oktober ein Denkmal für die Opfer des Holodomor ab.
Nietan: Ereignisse vor 90 Jahren sind Mahnung
„Mit der historisch-politischen Einordnung des Holodomors als Völkermord setzt der Deutsche Bundestag ein wichtiges und überfälliges Zeichen“, findet Dietmar Nietan. Der Bundestagsabgeordnete aus Düren ist Berichterstatter der SPD-Fraktion für den Antrag „Holodomor in der Ukraine: Erinnern – Gedenken – Mahnen“, der am Mittwoch beschlossen werden soll. Ampelfraktionen und Union bezeichnen den Holodomor darin nicht nur als Völkermord, sondern auch als „Teil unserer gemeinsamen Geschichte als Europäerinnen und Europäer“. Die Bundesregierung wird aufgefordert, die Ereignisse vor 90 Jahren bekannter zu machen, aber auch die Ukraine heute weiter gegen Russland zu unterstützen.
„Die historischen Verbrechen am ukrainischen Volk sind eine Mahnung, Verantwortung für die Vergangenheit zu übernehmen und heute unsere europäische Friedensordnung mit allen Mitteln zu verteidigen“, sagt SPD-Politiker Dietmar Nietan. „Der Staatsterror totalitärer Systeme ist mit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine auf erschreckende Weise wieder sehr aktuell.“
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.